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Graffiti in Berlin: Diese Crews gestalten das Stadtbild (illegal) mit

Wer darf das Stadtbild mitgestalten? Das ist die große Frage, die in der Debatte um Graffiti immer wieder aufkommt. Schauen wir uns die Wände, Dächer, Züge, Türme und Laster an, stellt man fest, dass nicht nur riesige Werbeplakate großer Firmen, sondern vor allem bunte Schriftzüge, erschaffen von Sprühern, das Erscheinungsbild der Stadt mitbestimmen. Writer nennen sich die Straßenkünstler:innen, die ihre Signaturen mit Araesol-Sprühdosen an die Wände bringen. Neben Bombings – Graffitis, die möglichst groß sein sollen und in kürzester Zeit entstehen müssen, gibt es noch Tags, die kleinen, meist mit einem Edding in die U-Bahn oder an Straßenschilder geschriebenen Wörter.

Berlin ist die Graffiti-Hauptstadt mit unzähligen bunten Wandmalereien, verteilt in der ganzen Stadt. Foto: Imago/ Marius Schwarz

Graffiti ist eine der vier Säulen der ursprünglichen Hip-Hop-Kultur. DJing, MCing (also das Rappen) und das Breakdancen sind die anderen drei. Oft haben sich die Künstler:innen zusammengefunden und Crews gebildet, um gemeinsam Kunst zu machen. Wir haben uns Berlin mal mit anderen Augen angeschaut und sind über einige Crew-Namen gestolpert, die wir euch in diesem Artikel vorstellen. Und vielleicht erkennt ihr den einen oder anderen Namen in eurem Kiez wieder.


One United Power – 1UP

Die riesigen Bombings der 1UP-Crew sind oft an Häuserwänden zu finden. Foto: Singlespeedfahrer/CC0

Die Bombings der 1UP-Crew sind nicht nur in ganz Berlin präsent, sondern können inzwischen weltweit bestaunt werden. Die Mitglieder haben sich die höchsten Mauern, Dächer und Türme zu eigen gemacht und in teils atemberaubender Höhe ihre Spuren hinterlassen. Es ist weder bekannt wer, noch wie viele Sprayer:innen Teil der Crew sind – und das sollte mit den tausenden Pieces, die inzwischen sämtliche Hauswände illegalerweise zieren, wohl auch so bleiben. Gegründet wurde die Crew zwar in Berlin, ist aber inzwischen ein internationales Kollektiv aus Sprüher:innen und Künstler:innen, die gemeinsam Farbe an die Wände bringen.

Neben dem Bemalen der höchsten, leicht einsehbaren Wänden beherrschen sie auch die Meisterdisziplin des Graffiti – das Besprayen oder „bomben“ von Zügen. In Berlin sind inzwischen zahlreiche U-Bahnen von dem anonymen Sprayer-Kollektiv „verschönert“ worden, langlebig sind die Malereien aber nicht, denn die BVG zieht die Züge schnell aus dem Verkehr und lässt sie reinigen. Doch die Mitwirkenden der 1UP-Crew sind nicht nur illegal aktiv, das Kollektiv ist auch in einigen Kunstausstellungen vertreten. Beispielsweise findet man sie in der Ausstellung „Talking…and other Banana Skins“ im Urban Nation Museum in Berlin.


Berlin Kidz

Lange Zeit haben die Mitglieder der Crew von BerlinKidz mit ihren schlichten, kaligrafischen, dafür großen und gut sichtbaren Schriftzügen Kritik am System geäußert. Kunst mit Message ist, was sie machten. Die Inspiration für ihren Stil holten sie sich in Brasilien von den Pixadores. Diese entwickelten den Pixação-Stil, eine Form der Straßenkunst, in der sie ausschließlich Typografie und Kaligrafie nutzen, um systemkritische Botschaften an die Wände zu bringen.

Durch den schlichten, unaufwändigen Stil unterscheiden sie sich vom klassischen Graffiti-Style. Inzwischen ist es ruhig geworden um die Jungs, und man hört hauptsächlich noch etwas von Mr. Paradox Paradise, einstiges Mitglied der Crew, der aber inzwischen wohl alleine operiert. Er hat den Stil beibehalten und veröffentlichte im Jahr 2021 seinen ersten Film als Solokünstler unter dem Namen „Spiritual Letters“. Neben seinen Schriftzügen schmückt er die Stadt inzwischen auch mit überdimensionalen Skulpturen, die er oft an Bahnhöfen aufhängt, beispielsweise an der Jannowitzbrücke und an der Warschauer Straße.


THC

Auch an dem Haus in Charlottenburg hat Frost von der THC Crew sein Unwesen getrieben. Foto: Imago

Die Berliner-Gruppe aus Kreuzberg, die lange Zeit mit dem Rapper Ufo361 unterwegs war, ist vielen inzwischen durch die 187 Straßenbande bekannt. Die Sprayer Frost und Mosie sind das Aushängeschild der Crew. Die drei Buchstaben THC wurden in Berlin so oft gesprüht und getaggt, dass die absolute Menge der Graffiti wahrscheinlich nicht bestimmbar ist. Auf Straßenschildern, in der U-Bahn, auf Mülleimern, auf Werbeplakaten, aber auch auf Wänden sind die Tags und Bombings der Truppe fast überall in Berlin zu finden und fester Bestandteil des Stadtbildes. Natürlich ist aber fraglich, ob alle diese kleinen Schriftzeichen wirklich von der Crew selbst angebracht wurden, oder ob sich da nicht ab und zu ein paar Cannabis-Liebhaber:innen dazu mitreißen haben lassen, ihren Stift zu zücken.


ADHS – All day hustlers

Mit Blick von der Oranienstraße auf das Kottbusser Tor prangt ganz oben auf dem Haus das Piece der ADHS-Crew. Foto: tipBerlin

ADHS steht für all day hustlers. Die Crew sprayt oder malt ihre vier Buchstaben in dickem Blockbuster-Style überall dorthin, wo Platz ist. Dieser Stil zeichnet sich durch große, schlichte, aber dicke Buchstaben aus, die es möglich machen, eine breite Fläche in kurzer Zeit abzudecken. Oft werden die Großbuchstaben in quadratischen oder rechteckigen Formen an die Wand gebracht – so groß und auffällig, dass sie nicht übersehen werden können. Genauere Hintergrundinformationen zu dieser Crew sind schwierig in Erfahrung zu bringen. Haltet die Augen auch auf der Autobahn offen, dort sind oft die Rückseiten der Verkehrsschilder von der Crew bemalt worden.


Clean Girl Dirty Hands

„Clean Girl Dirty Hands“ ist mehr eine Bewegung als eine Crew. Das Duo, das aus der Berliner Sprüherin Honey, bekannt als Honey Beebs und der Inderin Dizy besteht, zeigt im Gegenteil zu vielen männlichen Writern ihre Gesichter. Ihre Kunstwerke fotografieren sie und laden diese bei Instagram hoch, wodurch sie sich bereits eine große Reichweite aufbauen konnten. Während Honey zwischen Madrid und Berlin pendelt, lebt Dizy in Dehli und Berlin und ist außerdem Teil der ersten internationalen weiblichen Graffiti Crew, der Stick Up Girlz Crew.

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Pure Hate

Das PureHate-Graffiti könnt ihr von der Ringbahn aus erspähen. Zwischen Schönhauser Allee und Gesundbrunnen finden sich viele Bombings unterschiedlicher Sprüher und Crews. Foto: tipBerlin

Wenn ihr irgendwo PH an einer Hauswand lest, hat das nichts mit dem pH-Wert oder anderen möglichen Assoziationen zutun, sondern bezieht sich auf die Sprüher-Crew „PureHate“. Die Gruppe selbst bezeichnet sich als ein „in Berlin operierendes Netzwerk, welches weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht“. Ihre Tags und Bombings sind in ganz Berlin verteilt und werden laut eigenen Angaben genutzt, um laut gegen „Politiker zu sein, die sich einbilden, sie zu überwachen und ihnen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben“. Klingt ein wenig nach Verschwörungstheorie.

Sie sagen, dass sie sich aus der Position der Unterdrückung dazu entschieden, gegen die von ihnen gehasste Regierung mit „Purem Hass“ vorzugehen und nutzen das Bemalen der Straßen und Züge, um zu demonstrieren, dass sie immer und überall präsent sind. Einige der Sprüher sind auch im Hip-Hop-Bereich tätig und rappen über ihren Aktivismus auf der Straße. Ob Hass nun das geeignete Mittel, ist um politisch wirksam zu sein, lässt sich aber hinterfragen.


YG-Crew

XL YG findet man, wenn man drauf achtet, wirklich überall in der Stadt an Wänden wieder. Foto: tipArchiv

In der Berliner Untergrund-Spühszene fällt immer häufiger der Name Takhi 68. Er ist Teil der YG-Crew, zu der auch Creo gehört. Lässt man sein Auge mal mit einem anderen Blick durch die Stadt schweifen, werden einem die Bombing und Tags mit den Buchstaben YG XL oder Thaki 68 wirklich fast überall begegnen. Viel mehr weiß man nicht, nur, dass er das Stadtbild seit einiger Zeit mitgestaltet und sich mit seiner Omnipräsenz inzwischen einen Namen gemacht hat.


NHS-Crew

NHS-Bombing in der Nähe vom S-Bahnhof Wedding. Oft in Silberchrom gehalten. Foto: tipBerlin

NHS ist eine Crew, die ursprünglich aus Neukölln kommt und unter anderem von MOK in den 90ern gegründet wurde. Der Berliner Graffiti-Legende, die inzwischen auch einige Rap-Alben veröffentlicht hat, war es einige Zeit lang gezwungenermaßen nicht möglich zu malen. Auch jetzt ist ungewiss, ob er wieder aktiv ist. Doch während sich manche – offenbar – zur Ruhe setzen, kommen auch wieder neue Sprüher hinzu. Das neustes Mitglied der Crew ist Ikarus, der zuvor mit Paradox Teil von Berlin Kidz war.

Tahki68 ist Mitglied der YG-Crew und hat seine Throw-Ups inzwischen in der ganzen Stadt verteilt. Hier unweit der Schönhauser Allee. Foto: tipBerlin

Laut GRAB, langjähriges Mitglied besteht der harte Kern der Crew aus weniger als zehn Mitgliedern, die sich aber regelmäßig treffen, um zusammen zu malen. Andere bekannte Namen der NHS-Crew sind Otelo, Maho und Mess. Das Malen für eine Crew schließt das Malen für eine andere Crew nicht aus. GRAB ist zum Beispiel nicht nur bei den Bombings von NHS zu sehen, sondern auch von CMD (Criminal Minded) und THC, bei denen er angefangen haben soll. Die Outlines der Bombings, die von NHS Mitgliedern gesprayt wurden, sind meisten schwarz oder rot, das Fill In meist in Chromsilber gehalten.


OBS-Crew

Die OBS-Crew aus dem Norden von Berlin wurde 1993 gegründet und ist eine der bekanntesten und ältesten Crews Berlins. Zu ihnen gehört auch der Berliner Rapper Shacke One, der aber laut eigenen Angaben erst seit 2009 Mitglied ist. Ein langjähriges Mitglied, aber nicht Mitgründer ist Writer Planet 256. Wenn ihr mehr über Planet und das Leben als Sprüher erfahren wollt, hört den Podcast:

Der Wahlberliner, der über Jahrzehnte aktiv war, malt inzwischen nur noch auf legalen Wänden. Auf den Hall of Fames sind Graffiti im Gegenteil zu manchen Hauswänden nämlich gerne gesehen. Diese Orte zum legalen Sprühen gibt es in Berlin.

Rocco und seine Brüder

Das Künstlerkollektiv rund um Rocco und seine Brüder (laut eigenen Aussagen ist das genderneutral, es gäbe auch Schwestern) ist schon lange in der Graffiti-Szene unterwegs. Nachdem sie lange Zeit die U- und S-Bahnen der Stadt mit „Bombings“ verzierten, wurden sie zunehmend politischer. Ihr Hauptaugenmerk haben sie mittlerweile auf das Inszenieren von politischen, künstlerischen Aktionen gelegt. So bauten sie in einem Berliner U-Bahnhof ein ganzen Zimmer auf, um gegen die explodierenden Mietpreise zu demonstrieren und schlossen im Winter nach Mitternacht die U-Bahnhöfe für die Obdachlosen wieder auf, damit diesen ein wärmerer Platz zum Schlafen zur Verfügung steht. Auch sie sind in der der Ausstellung im Urban Nation Museum mit einer Installation aus Notbremsen, die in Zügen zu finden sind, vertreten.

WDS (WONDERS)

Mit dem Songs „Farbverbrecher*innen“ bekennt sich der Rapper PöbelMC zu der WDS-Crew. In der Gruppe hat das Hinterlassen von bunter Farbe auf Hausfassaden zumindest teilweise politische Hintergründe. Es geht um öffentliche Kritik, die Privatisierung der Stadt sei längst zu weit fortgeschritten. Dadurch gehe der öffentliche Raum verloren. Während die Großkonzerne aufgrund ihrer finanziellen Situation ihre Werbung überall in der Stadt aushängen können, müssen die Künstler:innen der Graffiti-Szene illegal malen, um das Stadtbild mitzugestalten. „Der Yuppie kauft den Block, denkt er, eignet sich ihr an, doch die Stadt ist Lebensraum und gehört niemals ’nem Mann!“ ist, was PöbelMC dazu zusagen hat. Es geht um Widerstand, um das Einstehen für mehr Sichtbarkeit! In seinen Worten: „Schmier’n bleibt Subversion, (Ja!) Action und Beglückung, (Ja!) Sauberkeit ist auch die Ästhetik der Unterdrückung!“. Wie man liest, geht es aber auch um das eigene Vergnügen, „Reviermarkierung“ und das Gefühl von Freiheit.


Mehr zum Thema

In Berlin tauchen immer mal wieder politische Sprüche auf Hauswänden auf. Wer steckt hinter den Wandsprüchen? Und ist Berlin überhaupt die Sprayer-Hauptstadt? Das sagt der Gründer der Graffity-Lobby dazu. Ihr möchtet anfangen zu sprayen, wollt aber im legalen Rahmen bewegen? Orte in Berlin, in denen legal gesprayed werden darf. Hip-Hop und Graffiti gehen oft Hand in Hand, diese Orte in Berlin kommen häufig in Raptexten vor. Mehr zum Thema Stadtleben in Berlin hier.

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