Nachgefragt

Heimat Berlin

Im Uhrzeigersinn: Abak Safei-Rad, Komet und Romano in einem Park in Mitte
Foto: Harry Schnitger

Wer ist heimisch, wer bleibt fremd? Seit ­Wochen erzählen Menschen unter dem Hashtag #vonhier, initiiert von der Journalistin Ferda Ataman, von Ausgrenzung im eigenen Land. Und zeigen damit: Die Frage nach der Herkunft, erst recht die nach der Heimat, ist keine unschuldige – sondern brisant. Denn „Heimat“ kann vieles sein. Für die einen ein geistiges Zuhause, das man bewohnen kann wie eine warme Stube. Für die anderen eine Festung, die man gegen das Fremde verteidigen muss – zur Not mit Mauern und Zäunen. Und für viele Menschen deshalb auch: Ein veraltetes, verhasstes Konzept, das alle ausschließt, an die man eben nicht sofort denkt, wenn man über „Heimatfilme“ oder „Heimatidylle” spricht. Wir wollten es genau wissen, haben dem Begriff in der Ideengeschichte nachgespürt und Lektüre zum Thema gesammelt. Vor allem aber haben wir Berliner*innen befragt: Brauchen wir überhaupt eine Heimat – und wenn ja, wie viele?

Romano

Der Sänger und Rapper, geboren 1977, wurde bekannt mit der Platte „Jenseits von Köpenick“ 

Romano alias Roman
Geike löste den „Hauptmann“ als berühmtesten Köpenicker ab

Foto: Harry Schnitger

„Ich bin Weltbürger und Köpenicker. Jeder Mensch hat ja eine räumliche Heimat, und eine, die im Kopf passiert. Bei mir liegen beide am selben Ort, ich habe Köpenick zu mir selbst gemacht. Ich bin dort geboren, sechsmal umgezogen, meine Familie wohnt immer noch dort. In einen anderen Bezirk oder eine andere Stadt bin ich nie gezogen. Das Tolle ist ja: Man fühlt sich hier wie in einer Klein- und Großstadt zugleich. Für die meisten Jobs, die ich in meinem Leben hatte, in verschiedenen Copyshops und Druckereien, musste ich immer in die City. Da haben mich viele gefragt, warum ich nicht lieber ins Zentrum ziehe, statt jeden Tag zwei Stunden zu fahren, aber ein Job ist halt nur mein Lebensunterhalt. Nicht meine Leidenschaft. In Köpenick kann ich am besten schreiben und kreativ sein, so richtig runterfahren. Ich sag immer: Wenn man rein in die Stadt fährt, zieht man sich Kleidung an. Und wenn man zurückkommt, dann steht man nackt am S-Bahnhof Köpenick, wirft sich den Bademantel über und rennt mit Schlappen durch die Gegend. Ich fühle mich an vielen Orten wohl, aber wenn ich nach Köpenick komme, ist das immer, als schließe ich die Wohnungstür hinter mir.“


Zeina Nassar

Geboren 1998, ist deutsche Boxmeisterin im Federgewicht

Deutschlands erste Boxmeisterin mit Hijab: Zeina Nassar
Foto: Kitty Kleist-Heinrich

„Wenn jemand „Heimat“ sagt, fallen mir als erstes die Schlagworte Familie, Geborgenheit und Gewohnheit ein. Und Berlin. Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich meine ganze Jugend verbracht. Aber ein Stück Heimat ist für mich natürlich auch im Libanon. Wenn ich dort Zeit mit meiner Familie verbringe, fühle ich mich sehr heimisch und spüre, dass meine Verwandten mir doch sehr ähnlich sind. Trotzdem, wenn ich mich irgendwohin sehne, dann immer nach Berlin. Ich bin weit gereist. Dabei habe ich herausgefunden: Berlin ist der Hotspot in Deutschland. Hier fühle ich mich am wohlsten, hier ist mein gewohntes Umfeld. Witzig ist, dass ich manchmal auf Türkisch angesprochen werde, obwohl ich gar kein Türkisch spreche. Gerade aber sehne ich mich nach Urlaub. Ich würde gern einfach mal ausspannen.“


Komet Bernhard

70, ist Schreiner, Performer und Berliner Party-Institution

Hier ausnahmsweise mal ohne sein 
 „Seifenblasenschwert“ unterwegs: Komet. Foto: Harry Schnitger
Hier ausnahmsweise mal ohne sein
„Seifenblasenschwert“ unterwegs: Komet

Foto: Harry Schnitger

„Meine Heimat ist da, wo ich mich mit Menschen wohlfühle. Zur Zeit wechselt das zwischen Mainz und Berlin. Einen besseren Ort als Berlin kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Besonders geborgen fühle ich mich hier in meiner Wohnung, aber auch bei Freund*innen – und im Schoß des Universums, was das Ganze ist, aus dem wir kommen und zu dem wir, als geistige Wesen, zurückkehren werden. Denn unser aller Heimat ist die Erde. Geformt sind wir aus dem Sternenstaub unserer Galaxie, der Milchstraße. Geboren bin ich in Mainz, habe fünfzig Jahre dort gelebt. Mein Zuhause ist immer da, wo ich gerade bin. Manchmal sehne ich mich nach einer gemeinsamen Zukunft, in der wir alle gewachsen sein werden und einer höheren Stufe des Gott-Menschen näher gekommen sind.“


Abak Safaei-Rad 

Die 1974 geborene Schauspielerin ist derzeit im Stück „Third Generation – Next Generation“ am Gorki zu sehen

Foto: Harry Schnitger

„Bis vor zehn Jahren dachte ich, das Theater sei meine Heimat. Aber diesem Gedanken bin ich entwachsen. Aus beruflichen Gründen bin ich oft umgezogen, und mittlerweile fühle ich mich tatsächlich heimatlos, bin also ein wenig „Lost in Space“. Das geht zwar ganz gut, andererseits hätte ich aber auch gerne wieder eine Heimat. Ursprünglich komme ich aus Köln, aber ich bin schon so lange weg, dass ich der Stadt gegenüber kaum etwas empfinde. Das Haus, in dem ich groß geworden bin und in dem nun andere Menschen leben, ist nur eine verblassende Erinnerung. Mein Zuhause ist immer da, wo meine dreiköpfige Familie und meine Freunde sind. Das soziale Gefüge ist für mich das Wichtigste im Leben, und wenn das stimmt, könnte ich überall leben. Aber zum wahren Glück muss es schon eine Großstadt sein. Berlin ist die Stadt, die mir gerade am meisten entspricht – weswegen es mich glücklich macht, hier leben und arbeiten zu können. Berlin ist hart, anstrengend, inspirierend, einfach toll. Was mich nervt ist, wenn Fremde oder flüchtige Bekannte mich fragen: „Wo kommst du eigentlich her?“ Ich glaube, mit über 50 werde ich bei dieser Frage gewalttätig werden, in mir wächst da eine unglaubliche Aggression. Zu viele Jahre habe ich solche Konversationen schon geführt. Bei der Frage „Darf ich mal deine Haare anfassen?“ bin ich mittlerweile ähnlich humorlos.“


Horst Evers

Der Kabarettist, 52, entlehnte sein Alias dem Ort Evershorst in seiner Heimat

Heißt eigentlich Gerd Winter: Horst Evers 
Foto: imago / Camera 4

„Mit dem Begriff „Heimat“ verbinde ich ein warmes Gefühl, aber irgendwie auch etwas Vergangenes. Eine Vergangenheit allerdings, die ich jederzeit und ohne ganz großen Aufwand besuchen kann. Sowohl mental, als auch sogar physisch, das beruhigt. Meine Heimat ist für mich der Ort, wo ich geboren, sozial geprägt wurde und aufgewachsen bin. In meinem Falle also der Landkreis Diepholz in Niedersachsen. Berlin hingegen ist mein Zuhause. Meine Gegenwart. Nahezu alles, was mir in meinem Leben wichtig ist, ist hier, mit Ausnahme meiner Herkunftsfamilie. Wenn ich unterwegs bin, sehne ich mich nach Berlin, aber geborgen fühlen kann ich mich fast überall. Vielleicht ist die Frage eher, „wann“ ich mich geborgen fühle. Da wäre die Antwort: Immer, wenn ich ohne Furcht bin.“


DJ Ipek

Die DJ und Produzentin, 47, wurde in München geboren und wuchs in Berlin auf

Ipek ist Berlinerin und ging in Izmir kurz zur Schule
Foto: Katja Oortman

Heimat“ ist ein Begriff, der einem gesellschaftlich aufgedrängt wird: Egal, ob du dich irgendwo zugehörig fühlst oder nicht – wenn du als Teil der Mehrheitsgesellschaft gesehen wirst, bist du automatisch Teil von ihr. Andere, die hier geboren sind und sich beheimatet fühlen, werden wegen ihres Aussehens, ihrer Religion oder der Herkunft der Eltern nicht dazugezählt. Der Heimatbegriff ist oft mit Sehnsucht, aber eben auch mit Diskrepanz verbunden. Meine Heimat ist in erster Linie Berlin. Hier fühle ich mich am selbstbewusstesten, geborgen und aufgenommen. Aber das hat Jahre gedauert – Berlin war nicht immer so divers, queer und international. Istanbul ist für mich die andere Stadt, in der ich ein Gefühl von Heimat habe, aber das entwickelt sich noch. Aktuell bin ich eher genervt, wenn ich auf meinen Immigrant*innen-Background reduziert werde, versuche aber, spielerisch mit dummen Fragen bezüglich Heimat umzugehen. Tatsache ist: Ich bin froh, dass ich wegen meiner Lebensgeschichte die Möglichkeit habe, mehrere Orte als Heimat zu verstehen.


Stefan Kaegi

Der 1972 geborene Regisseur ist Teil der Autoren-Regie-Gruppe Rimini Protokoll

Schweizer Kosmopolit: Stefan Kaegi
Foto: Anja Limbrunner

In der Schweiz, wo ich herkomme, wird der Begriff „Heimat“ gerne mit idyllischen Alpenlandschaften voller Kühe illustriert. Für eines meiner ersten Theaterstücke, „Mnemopark“, haben wir diese Landschaft dann mit Modelleisenbähnler*innen in 1:87 nachgebaut und aufgezeigt, wie künstlich diese Konstruktion von Natur in der hochsubventionierten Agrarwirtschaft der Schweiz ist. Als meine Heimat würde ich vorwiegend Europa bezeichnen – wobei ich auch schon mehrere Jahre in Südamerika gelebt habe. Ich spreche sieben Sprachen und passe mich schnell an. Zuhause bin ich letztendlich in meinem Laptop. 

Was ist Berlin für mich? Vor ein paar Jahren habe ich mit meinen Kollegen von Rimini Protokoll versucht, das herauszufinden, über das subjektive Empfinden hinaus. Wir holten 100 Menschen auf die Bühne, die zusammen „100% Berlin“ darstellen sollten, weil sie in Alter, Geschlecht, Herkunftsland, Wohnungsgröße und Bezirk ganz Berlin repräsentierten. Damals stand jede*r für 34.000 Bewohner*innen dieser Stadt – inzwischen sind es ein paar mehr geworden. Wäre interessant, den Versuch zu wiederholen. Bevor ich meine erste Wohnung in Berlin bezogen habe, war ich sieben Jahre lang nomadisch von einer Theatergästewohnung zur nächsten unterwegs und besaß nur alles, was in einen 20 Kilo schweren Koffer passt. Aus dieser Zeit habe ich ein gesundes Misstrauen gegenüber dem Kauf von Dingen. Meine Heimat schaffe ich mir da, wo ich bin mit den Menschen, die da sind. Geborgen fühle ich mich zwischen Buchdeckeln. An der Sonne. Auf dem Fahrrad. Und ich sehne mich: ins Wasser.

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