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Corona-Pandemie

Hilfe, mein Partner glaubt an Verschwörungstheorien – wie reagiere ich?

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Aber was tun, wenn der eigene Partner ihnen verfällt?

Gehorche – Schriftzug auf einer weggeworfenen Mund-Nasen-Maske am Rande einer Demonstration von Corona-Leugnern in Berlin. Foto: Imago Images/Seelinger

„Eure Angst darf uns nicht zu Gefangenen machen.“ – „Die Regierung hat die Medien gleichgeschaltet.“ – „Ich habe dafür Sorge zu tragen, dass meine Kinder in einer lebenswerten Gesellschaft aufwachsen.“ – „Ich lade euch dazu ein, am Samstag mit Millionen von anderen Mutigen unsere Zukunft zu retten.“ Solche Sätze und noch viele mehr hat Michael* (43) in die WhatsApp-Gruppe von etwa zehn alten Freundinnen geschrieben.

Einige davon leben in Berlin, andere auf dem Land, einige in anderen deutschen Städten. Sie alle sind zwischen Anfang 30 und 40. Hannah, Michaels Freundin, mit der er auch einen fünfjährigen Sohn hat, findet es zwar toll, dass er sich politisch engagiert. Seiner Linie und seinen Ideen aber kann sie nicht folgen. Sie liebt ihn und verteidigt ihn vor anderen. Sagt, dass er ein toller, verantwortungsvoller Vater sei. Doch über seine Einstellung zur Pandemie will sie nicht mehr mit ihm reden.

Denn Michael glaubt, dass die Corona-Krise und die Maßnahmen gegen sie eine Verschwörung der Pharmaindustrie, der Regierung und der Medien seien, dass Covid-19 harmloser als eine Grippe verlaufe, dass „die da oben“ mit der Pandemie Geld machen, die Bevölkerung gängeln und schröpfen wollten. Deswegen lief er schon bei der ersten Großdemonstration der „Querdenker“-Bewegung im. August mit. Mehr als drei Stunden saß er da im Zug, um anzureisen. Für „Querdenker“-Demos hat er Flyer gedruckt und verteilt.

Gemütlich ist anders: Corona-Demo im November. Was tun, wenn die Debatte auf dem Sofa weitergeht? Foto: Imago Images/Future Image

Was tun, wenn der Partner von Bill Gates und Chips schwadroniert?

Hannahs Geschichte wirft eine unangenehme Frage auf: Was macht man, wenn der Partner oder die Partnerin plötzlich überall Verschwörungen wittert? Davon redet, dass Bill Gates allen Menschen einen Chip einpflanzen wolle und die Bundesregierung das Trinkwasser mit Beruhigungsmitteln versetzen würde? Wenn die Person das gemeinsame Kind mit zu Demonstrationen nimmt, auf denen Reichskriegsflaggen im Wind wehen, auf denen Rechtsextreme neben scheinbar linken Esoteriker*innen marschieren – und niemand sich um Sicherheitsmaßnahmen schert?

Schwere Zeiten, also beispielsweise Wirtschaftskrisen, das Auftreten
neuer Krankheiten, Katastrophen oder Terroranschläge, können dazu führen, dass Verschwörungsideologien auf fruchtbaren Boden fallen. Auch als die Pest und die Spanische Grippe wüteten, hatten derartige Geschichten
Hochkonjunktur, viele von ihnen waren antisemitisch und schürten Hass gegen Gruppen, damals wie heute.

Lieber dunkle Mächte als Chaos und Zufall

„Verschwörungsideologien zeichnen zwar kein positives Bild von der Welt“, sagt die Aktivistin und Publizistin Katharina Nocun. „Aber sie benennen klare Schuldige und geben der Welt Struktur. Verschwörungsgläubige sehen sich lieber bösen Mächten ausgeliefert als dem Chaos und dem Zufall. Dabei zeigt die Geschichte: Immer wieder kam es zu Pandemien, weil Erreger durch Zufall vom Tier auf den Menschen übergesprungen sind.“

Nocun hat im Mai gemeinsam mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty ein Buch zum Thema herausgegeben: „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Sie meint, die Veranlagung dafür, an Verschwörungen zu glauben, stecke in jedem von uns, weil wir intuitiv davon ausgehen würden, dass es für große Ereignisse eine große Ursache – einen Plan – geben müsse.

Hört man sich um, kennen gerade viele Menschen eine Person in ihrem Umfeld, die Verschwörungsideologien verfallen ist. Mit manchen haben sie nur über soziale Netzwerke Kontakt, andere treffen sie persönlich. Bei Facebook kann man die Kontakte blockieren, Freundschaften zur Not beenden. Eine Liebesbeziehung aber werfen die wenigsten leichtfertig weg – besonders, wenn Kinder im Spiel sind.

Hilfe, mein Partner glaubt an Verschwörungsideologien: Manchmal betreffen die eigenen Entscheidungen eben auch die Gesundheit anderer Menschen.
Manchmal betreffen die eigenen Entscheidungen eben auch die Gesundheit anderer Menschen. Foto: imago images/Müller-Stauffenberg

Partner*innen mit grundsätzlich verschiedenen Wertvorstellungen sind selten

Grundsätzlich sind Beziehungen, in denen sich die Wertvorstellungen der Partner*innen entgegenstehen, eher selten. Ehen wie die von Trump-Beraterin Kellyanne Conway und ihrem Mann, dem erklärten Trump-Gegner George Conway, bleiben die Ausnahme. „Für gewöhnlich sondieren die meisten Menschen, wenn das Verliebtheitsgefühl nachlässt: Mag ich den Geruch des anderen, schäme ich mich in bestimmten Situationen fremd, passen wir wertemäßig zueinander?“, sagt die Berliner Paartherapeutin Anna Holfeld. „Gerade Grundwerte wie Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Kulturen oder Lebensformen spielen da eine große Rolle. Kommt man da nicht zusammen, geht die Beziehung in den meisten Fällen auseinander.“

Das Besondere an der jetzigen Situation ist aber, dass viele Menschen erst mit Beginn der Pandemie angefangen haben, „querzudenken“. Die Unsicherheit und die Angst treibt sie in die Arme von Verschwörungsideolog*innen, Rechtsextremist*innen und anderen Schwurblern. Viele Menschen sehen sich jetzt also nach Jahren von Beziehungen, nachdem sie Kinder mit den jeweiligen Partner*innen bekommen haben, damit konfrontiert, dass ihr Gegenüber Dinge sagt, die den eigenen Wertvorstellungen grundlegend widersprechen.

Hilfe, mein Partner glaubt an Verschwörungsideologien: Krisen befeuern Veschwörungsideologien und Menschen, die damit vorher nichts zu tun hatten, werden zu Anhänge*innen.
Krisen befeuern Veschwörungsideologien und Menschen, die damit vorher nichts zu tun hatten, werden zu Anhänge*innen. Foto: imago images/Müller-Stauffenberg

„Da muss man immer wieder neu evaluieren, sich immer wieder fragen, ob man diese Beziehung weiterführen kann“, sagt die Paartherapeutin Anna Holfeld. „Die Frage ist: Bin ich bereit, einen Kompromiss zu machen und zum Beispiel nicht mehr über diese Themen zu sprechen? Ist die Liebe stärker als meine Abneigung gegen die Einstellungen des anderen?“

Ab dem Punkt, an dem man sich selbst verleugne und den Partner zu Demos begleite, hinter denen man nicht steht, müsse man darüber nachdenken, sich zu trennen, sagt Holfeld. Aus Selbstschutz. Oder dann, wenn das Unwohlsein überwiege und man sich für den Partner oder die Partnerin in der Öffentlichkeit, im Freundeskreis schäme. Wenn die Differenzen die Beziehung überschatten.

Kontaktabbruch? Thema vermeiden?

Giulia Silberberger vom „Goldenen Aluhut“ – einer Organisation, die über Verschwörungsideologien aufklärt, Broschüren mit Handreichungen zu Faktenchecks herausgibt und Workshops für Pädagog*innen und Sozialarbeiter*innen anbietet – rät dazu, erstmal andere Register zu ziehen, bevor man den Kontakt abbricht – bei Partner*innen, vor allem aber bei Familienangehörigen. Möglichkeiten seien zum Beispiel, diese Themen zu vermeiden oder zumindest nicht vor den Kindern darüber zu sprechen.

„Vielleicht sind die Menschen ja noch nicht verloren, vielleicht kann man sie umstimmen, wenn nicht jetzt, dann eventuell zu einem anderen Zeitpunkt“, sagt Silberberger.

Auch Michael denkt, er kämpfe für eine bessere Zukunft für seine Kinder. Foto: imago images/Müller-Stauffenberg

Auch Katharina Nocun weist darauf hin, dass das private Umfeld am ehesten die Chance hat, Verschwörungsgläubige dazu zu bringen, ihre Ansichten zu hinterfragen — allerdings nie ohne auf das eigene Bauchgefühl zu hören und die eigene Sicherheit und Gesundheit im Blick zu behalten. „Man sollte immer fragen: Wie geht es mir selbst damit? Leide ich vielleicht zu sehr unter meiner Beziehung mit diesem Menschen?“

Quellen- und Faktenchecks machen

Je nachdem, wie tief der*die Partner*in im Verschwörungssumpf steckt, kann es Giulia Silberberger zufolge helfen, Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Woher hast du das? Warum glaubst du das? Und dann gemeinsam mit ihnen Quellen- und Faktenchecks zu machen. Dazu gehört unter anderem, zu prüfen, auf welchen Plattformen die Inhalte verbreitet werden, wer dahinter steckt und was für Bilder die Autor*innen verwenden. „Ein Bild mit einer großen Spritze, einem schreiendem Kind, schwarzem Hintergrund und einer fies grinsenden Merkel ist zum Beispiel schon mal verdächtig“, sagt Silberberger.

Meistens haben die Verschwörungsgläubigen einen Vorteil: Sie haben sich mit dem Thema beschäftigt. Stundenlang, tagelang im Internet gelesen, Youtube-Videos angeschaut. Das heißt, man muss sich selbst einlesen und sich über die Thesen, die die Verschwörungsideolog*innen vertreten, informieren. „Das müssen einem die Diskussionspartner auch zugestehen: dass man das macht, was sie nicht auf die Kette gekriegt haben, nämlich einen ordentlichen Quellencheck“, sagt Silberberger.

Mindestens genauso wichtig wie Quellen- und Faktenchecks ist laut Silberberger aber auch, zu fragen, warum die Menschen an Verschwörungsideologien glauben. „Wir müssen uns fragen, warum sie in diese Fantasiewelt fliehen, in der die Probleme, die sie in der realen Welt bedrohen, keinen Zugang haben. Und welche Emotionen sie dazu bringen, die Realität zu verweigern“, sagt sie.

Sekten und Verschwörungsideologien haben einige Parallelen

Der Einstieg in die Welt der Verschwörungen gleicht dem Beitritt zu einer Sekte. Silberberger war selbst in ihrer Kindheit Mitglied bei den Zeugen Jehovas und schaffte vor Jahren den Ausstieg. „Eigentlich macht es kaum einen Unterschied, ob sich die Menschen einer Sekte wie den Zeugen Jehovas oder den Mormonen anschließen, oder einer radikalen rechten verschwörungsideologischen Strömung“, sagt sie. „Beide nutzen emotionale Notlagen und Angst aus. Der Unterschied: Die einen predigen im Netz und auf der Straße, die anderen in ihren Kirchen.“

Mundtot gemacht wird in Deutschland niemand: Jeder darf seine Meinung sagen. Foto: imago images/Müller-Stauffenberg

Als Partner*in von Verschwörungsgläubigen kann man also auch fragen: Welche Schicksalsschläge, welche Verdrossenheit, welche Enttäuschungen und persönlichen Probleme bringen meinen Partner*in dazu, diesen Weg einzuschlagen?

Was man auf gar keinen Fall tun sollte: Die Menschen als Nazis, Rechte oder Schwurbler bezeichnen. Giulia Silberberg rät dazu, stattdessen zu sagen: „Sei mir nicht böse, aber das Gedankengut, was du hier teilst, ist nationalsozialistisch, ist rechts, ist antisemitisch, das muss man allein aus humanistischen Gründen verurteilen.“

Hilfe bei Beratungsstellen suchen

Wenn all das nichts bringt, sollte man sich an Beratungsstellen wenden, wie Familienberatungen, die mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus oder Sektenberatungsstellen, raten sowohl Silberberger als auch Nocun. Denn: Niemand muss mit so einer Situation alleine klar kommen, Hilfe kann man sich immer holen. Außerdem könne es helfen, sich mit anderen im Umfeld auszutauschen, sagt Nocun. Also in diesem Fall: den Familienangehörigen oder Freund*innen des Partners oder der Partnerin.

Richtig schwierig wird es allerdings, wenn verschwörungsgläubige Partner*innen die gemeinsamen Kinder mit zu den einschlägigen Demos nehmen. Genau das hat Hannahs Partner Michael getan: Er hat seinen zehnjährigen Sohn aus einer vorigen Beziehung mit auf die dreistündige Fahrt nach Berlin und zur Demo mitgenommen — ohne dass die Mutter seines Kindes davon wusste. „Wenn ich so etwas höre, wird mir schlecht“, sagt Giulia Silberberger. „So wächst die nächste Generation von Verschwörungsideologen heran – mit Traumata, die wir jetzt gar nicht überblicken können.“ Sie plädiert dafür, Kinder da rauszulassen, weil Angst sonst zu ihrem ständigen Begleiter werde: vor Chemtrails, vor Trinkwasser, vor finsteren Mächten.

Ob Michael auch nach dem Hin und Her zwischen Verbot und der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, die Demo unter Auflagen zuzulassen, nach Berlin kommen wird, wissen seine Freundinnen nicht. Eine andere Frage ist, ob seine Freundin immer noch über seine Aussagen und Taten hinwegsehen kann, falls er sich den militanten Demo-Teilnehmerinnen anschließt – und zusammen mit ihnen die Demos gegen die „Querdenker“-Bewegung angreift. Genau das haben einige Rechte aus der „Querdenker“-Front nämlich angekündigt. Und das macht Angst.

Der Text ist erstmals im August 2020 erschienen.


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