Holger Biermann ist Street Photographer, er lebt und arbeitet in in Berlin. Durch die Linse nimmt er am Berliner Großstadtgewimmel teil und hält prägnante Momente an vielen bekannten Orten fest. Nun klebt er die vor Jahren, teilweise Jahrzehnten entstandenen Fotos wieder zurück an den Ort, wo er sie aufgenommen hat. Wir begleiten Holger auf einem (langen) Spaziergang und gucken uns an, was aus seiner urbanen Kunstaktion unter dem Namen „Zurück woher wir kommen“ geworden ist.
Alexanderplatz – „DA KANNSTE NICHT MECKERN“
Am 29. Juni machte Holger Biermann mit den Kollegen und Freunden Alexander Langberg and Michael Wismar die große Runde und plakatierte seine Fotos dort, wo sie entstanden waren. Wir treffen uns am Alex unter der Weltzeituhr und laufen zur Karl-Liebknecht-, Ecke Dircksenstraße. „Mal gucken, ob sie überhaupt noch hängen, nach knapp einem Monat“, sagt Holger. Und siehe da, die insgesamt 40 Fotokacheln sind überraschenderweise fast alle noch intakt, nur ein paar vereinzelte Fotos wurden entrissen und tragen somit auch ein bisschen zum Charakter des chaotischen Ortes bei.
Bei Holgers Kunstaktion geht es darum, die Szenerie wieder zurückzubringen und den Ort fotografisch zu bespielen, für jene Menschen, die mit etwas Zeit und aufmerksam durch den öffentlichen Raum laufen.
Das dies möglich ist, liegt an dem Zeitabstand, denn Holgers Serie wachsen geduldig und beständig über viele Jahre. Die stärksten Bilder werden so zu einer Serie über den Ort. Die Chance, dass sich Menschen auf den Fotos wiedererkennen ist äußerste gering. Und wenn sind stets starke Momente, in denen es nicht um die Einzelperson geht sondern den Gehalt. Es ist ein Spiel mit der Zeit und dem Platz.
„Der Alex ist ein Durchgangsort. Erst waren hier die Punks mit ihren Hunden, da hatte man noch richtig das Gefühl vom Ost-Platz. Dann wurde es immer voller, als um 2010 mit den Billigfliegern die Touristen in die Stadt kamen und Party machten. Das veränderte auch den Alex. Und jetzt kommen die Hochhäuser dazu“, erzählt er.
Er zeigt auf zwei Gesichter von Menschen, die auf seinen Fotografien zu sehen sind und die er oft am Alex traf. „Solche Typen und Situationen wird man hier vielleicht bald nicht mehr sehen. Das besondere jener Tage erkennt man immer erst hinterher?“, sagt er. Die digitale Welt rast. „Wieso nicht das echte Leben zurückhängen und kurz verschnaufen?“, fragt er.
Rathausbrücke – „RÜCKBAU“
Die schwarz-weiße Fotostrecke „RÜCKBAU“ am Palast der Republik entstand 2004 bis 2010. Es ist eine Bildsammlung über das Verschwinden des Bauwerks. Holgers erste Fototouren führten durch Berlin-Mitte, sodass der Palast immer mal wieder auf Fotos auftauchte bis er dann gänzlich verschwand. Zum Fotoprojekt wurde es erst in der Rückschau. Wie lange die Fotos über die Geschichte des Palastes an der Rathausbrücke glänzten, wissen wir nicht. Zurück zum grauen Urgestein also. Schade!
Mauerpark – „TAG DES HERRN“
Wer mal am Sonntag im Mauerpark war, weiß wie es dort zu geht: Halligalli in Tüten. So hat es Holger in seiner Arbeit „TAG DES HERRN“ von 2010 bis 2019 dokumentiert. 40 wilde Farbfotografien, die den Mauerpark an einem Sonntag in seiner Fülle und Ektase festhält. Nur zu schade, dass der Sonntag irgendwann immer sein Ende erreicht.
Lychener Straße – „WO SIND DIE ZEITEN DAHIN“
Hintergrund hier ist die Szenerie des ehemaligen Spätis „Raumer 6″ in der Raumerstraße, der aufgrund eines Möbelgeschäfts weichen musste. Im Jahr 2020 wurde hier noch einmal zum Abschied groß gefeiert und angestoßen. „Vor allem für die jungen Leute, von der Schule nebenan war das ein sehr wichtiger und regelmäßiger, sozialer Treffpunkt“ erzählt Holger. Hier klebt jetzt vor allem viel Nostalgie.
Neben den oben genannten Orten wurde noch an drei weiteren Standpunkten mit Holgers Fotografie der urbane Raum geschmückt. Inzwischen wurden alle Fotos aber bereits entfernt.
- „ECKE EBERSWALDER“, plakatiert an der Eberswalder Straße, 2012-2022, Farbe
- „GOLD“, plakatiert am Spreebogenpark, Berliner Fanmeile 2006 und 2010
- „LUXUS FÜR ALLE“, plakatiert an der Bauakademie, 2003-2010, S/W, über die Brachflächen und die Weite in der Großstadt, nach dem Mauerfall
Mehr zu Kunst im urbanen Raum? Dann lest euch unseren Beitrag zu 360 Grad Straßenkunst: Michael Wismar und seine Litfaßsäule. Die ungesehene Stadt: Martin Walz’ Street-Photography-Band „Berlin Unseen“. Überblick verloren? Dann schaut einfach in unsere aktuellen Ausstellungs-Tipps in Berlin rein. Und das geht immer: Wir zeigen euch 12 wichtige Ausstellungshäuser, Galerien, Museen für Kunst in Berlin.