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Fotografin Ilse Ruppert über Ost-Punks, Christiane F. und Dennis Hopper

Wo Ilse Ruppert war, ging es ab. Die Fotografin dokumentierte Ende der 1970er-Jahre die Punk-Szene in New York, Los Angeles, London und West-Berlin. Zu der Mauerstadt hatte sie stets ein besonderes Verhältnis, hier kannte sie alle Clubs, Künstler und den Underground, zwischen Dschungel und Risiko machte Ilse Ruppert die Nacht zum Tage. In Ost-Berlin lernte sie eine Punk-Clique kennen, als man dachte, diese subversive Jugendkultur würde im Ostblock gar nicht existieren. Seit 1997 lebt sie, nach Stationen in München, Hamburg und Paris, in Berlin. Mit uns sprach Ilse Ruppert über die wilden 1980er, Punks in der Telefonzelle, Begegnungen mit Dennis Hopper, Keith Richards und Christiane F. und die Frage, warum sie eigentlich nicht schon früher nach Berlin ziehen wollte.

1982 fuhr Ilse Ruppert im Auftrag der Zeitschrift „Konkret“ nach Ost-Berlin, um die Jugend in der Hauptstadt der DDR zu porträtieren. Zufällig begegnete sie auch einigen Punks, die sie vor dem Lenin-Denkmal fotografierte. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12
1982 fuhr Ilse Ruppert im Auftrag der Zeitschrift „Konkret“ nach Ost-Berlin, um die Jugend in der Hauptstadt der DDR zu porträtieren. Zufällig begegnete sie auch einigen Punks, die sie vor dem Lenin-Denkmal fotografierte. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12

tipBerlin Frau Ruppert, erinnern Sie sich an den Moment, an dem Sie dachten, Fotografie ist die Sache, mit der ich mein Leben verbringen will?

Ilse Ruppert Sehr genau. Ich bin 1947 geboren und in einem kleinen Dorf aufgewachsen. In meiner Familie war alles spießig und ich wusste nicht, was ich werden will. Ich hatte aber Jobs, die ganz gut bezahlt wurden. Mit dem Geld bin ich rumgereist und suchte Interessantes. Mitte der 1970er-Jahre kam ich nach London und besuchte dort einen mexikanischen Freund, der an der Royal Academy of Arts studierte. Für ein Projekt fotografierte er mich. Ich lag auf dem Boden mit einer Kerze vor dem Gesicht, dann sah ich die Aufnahme und war geschockt. Da wusste ich, ich will Fotografin werden.

tipBerlin Sie mussten Geld verdienen, kamen dann gleich die ersten Aufträge?

Ilse Ruppert Es gab die „Szene München“, für die habe ich Titelbilder gemacht und für Schauspieler die Sedcards, unter anderem für Uwe Ochsenknecht. Damit verdiente ich, was ich so brauchte, und steckte alles wieder zurück in die Fotografie. Ich hatte einen Plan, ich wollte Karriere als Fotografin machen. Nur wie macht man das? Die Kollegen wollten es mir nicht verraten. Also bin ich nach New York gegangen, weil ich amerikanische Fotografen wie Elliot Erwin gut fand. Leute, die auch etwas Humor hatten.

Der New Yorker Musiker und Mitbegründer der legendären Proto-Punk-Formation Suicide Alan Vega. Foto: Ilse Ruppert
Der New Yorker Musiker und Mitbegründer der legendären Proto-Punk-Formation Suicide, Alan Vega. Foto: Ilse Ruppert

Ich wohnte in der Zeit nicht weit vom Mudd Club und vom CBGB’s

tipBerlin Was passierte in New York?

Ilse Ruppert Die erste Party und wen treffe ich? Den berühmten Fotografen Ernst Haas, der fragte mich, was ich in der Stadt mache und ich sagte, ich wolle Fotografin werden, und so stellte er mich einem Art Director vor, der auch auf der Party war, und schon hatte ich einen Job. Dann machte ich gleich sechs Seiten für das „Zeitmagazin“ über Deutsche in New York. So habe ich alle möglichen Leute kennengelernt und ich sah viele junge Bands und entdeckte Punk. Ich wohnte in der Zeit nicht weit vom Mudd Club und vom CBGB’s und dort ging ich immer hin. Da traf ich dann Leute wie den Sänger Klaus Nomi. Es ging alles sehr schnell.

tipBerlin Sie blieben aber nicht in New York, sondern gingen zurück nach München. Warum?

Ilse Ruppert In New York blieb ich sechs Monate. Irgendwann traf ich den Regisseur und Schauspieler Ulli Lommel, der musste gerade einen Film schneiden, wollte aber, dass jemand sein Auto in Los Angeles abholt und nach New York bringt. Ich sagte, okay, das mache ich, und am nächsten Tag fuhr ich in Lommels Cadillac den Sunset Strip rauf und runter und dann eine Woche lang quer durch die USA. Death Valley, Las Vegas, das war Amerika. Danach bin ich wieder zurück nach München.

tipBerlin Und Sie haben Musiker fotografiert, weil Sie Punk schon aus New York kannten und dort in den berühmten Clubs waren?

Christiane F. und ihr damaliger Partner, der Musiker Alexander Hacke, in Hamburg, 1983. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12
Christiane F. und ihr damaliger Partner, der Musiker Alexander Hacke, in Hamburg, 1983. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12

Ilse Ruppert Ich hatte einen guten Riecher für Bands, aus denen was werden könnte. In dem Hamburger Punkladen Rip Off traf ich die Musikerin Mona Mur. Wir haben uns befreundet und fingen an, zusammen Reportagen zu machen. Zunächst über Christiane F., die war ja damals in den 1980er-Jahren in der ganzen Welt unterwegs wegen dem Film. Dann haben wir eine Geschichte gemacht und sie dem tip vorgeschlagen, und bei Euch ist sie dann 1981 auch erschienen. Zwei Jahre später habe ich Christiane F. noch einmal in Hamburg fotografiert, während der Dreharbeiten zu dem Avantgarde-Film „Decoder“.

Aber ich wollte hier nicht wohnen

tipBerlin In dem Film spielte FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten die Hauptrolle. Waren Sie in den frühen 1980er-Jahren auch in West-Berlin?

Ilse Ruppert Andauernd, ich war ständig in West-Berlin und habe ständig fotografiert. Aber ich bin erst 1997 hierhergezogen. In den frühen 1980er-Jahren habe ich die Stadt sehr geliebt, es war exzessiv, sexy, intensiv, aber ich wollte hier nicht wohnen.

tipBerlin Warum nicht?

Ilse Ruppert Das Essen war zu schlecht.

tipBerlin Und deshalb sind Sie im Winter 1982 nach Paris gezogen?

Ilse Ruppert Nicht ganz. Ich verliebte mich in den französischen Schauspieler Tchéky Karyo, wir heirateten und ich blieb 15 Jahre in Paris, auch wenn ich mich schon nach sieben Jahren von meinem Mann scheiden ließ. Dort habe ich viel im Genre Pop und Musik gearbeitet, auch viel im Film und Theater. Ich machte jahrelang die Fotos und Plakate der Theater-Produktionen mit Hans-Peter Cloos, der war Gründungsmitglied des linken Theaterprojekts Rote Rübe. Ich lebte zwar in Paris, aber eigentlich war ich ständig unterwegs, heute Düsseldorf, morgen London und übermorgen West-Berlin. Eine ewige Rundreise.

Kopf der Einstürzenden Neubauten und Protagonist der West-Berliner Subkultur, Blixa Bargeld, 1983.
Kopf der Einstürzenden Neubauten und Protagonist der West-Berliner Subkultur, Blixa Bargeld, 1983. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12

Es war sehr aufregend, Drogen, Sex, you name it

tipBerlin Dann kehren wir noch einmal zurück nach West-Berlin, wie haben Sie die Stadt damals erlebt?

Ilse Ruppert Das Besondere war, dass ich irgendwann als Pariser Fotografin galt. Das hat mir viele Türen geöffnet. Denn in Berlin waren die Leute sehr ablehnend gegenüber Fotografen. In New York schmeißen sich alle sofort vor die Kamera, aber hier hatte niemand Lust darauf. Aber weil ich aus Paris kam, ging das. Damals habe ich die Einstürzenden Neubauten fotografiert, ich war bei der Modedesignerin Claudia Skoda, machte Fotos im Dschungel und von Nina Hagen und Malaria. Mit Mona Mur war ich jede Nacht unterwegs, das Tageslicht sahen wir nie. Es war sehr aufregend, Drogen, Sex, you name it. Und die Kamera immer dabei.

tipBerlin Sie waren aber nicht nur in West-Berlin, sondern auch auf der anderen Seite der Mauer, in Ost-Berlin, und haben dort 1982 eine Serie über Punk in der DDR gemacht. Wie kamen Sie dazu?

Ilse Ruppert Die Geschichte habe ich mir auch mit Mona Mur ausgedacht und wir haben sie dem Magazin „Konkret“ angeboten. Jugend in Ost-Berlin, das fanden die gut. Dann haben die Redakteure das ganz offiziell angemeldet und eine Woche später waren wir in der Hauptstadt der DDR. Ich hatte das Auto von der Redaktion, wir fuhren da rum und aus dem Fenster sehe ich eine Telefonzelle mit einem Punk drin. Ich denke, was, ein Punk, das kann doch nicht sein! Vollbremsung, ich steige aus, gleich mit der Kamera und fotografiere den Punk. Daneben steht ein Volkspolizist und regt sich auf. Das dürfe man nicht, sagt der. Ich mach die Tür von der Telefonzelle auf und frage, darf ich dich fotografieren? Der Punk sagt ja, aber er will nicht aus der Telefonzelle raus, sonst würde er verhaftet.

tipBerlin Wurde der Punk verhaftet?

Ilse Ruppert Nein, aber der Polizist nahm uns die Fotoausrüstung ab und wir mussten auf die ­Wache. Dort klärte sich alles, weil wir die Genehmigung hatten. Also gab man uns die Sachen zurück und wir fuhren wieder zu der Telefonzelle. Der Punk hat da zwei Stunden auf uns gewartet, der hatte ja nichts zu tun. Dann haben wir uns für den nächsten Tag verabredet. Mona und ich bekamen einen jungen Mann vom Kulturministerium zugewiesen, der auf uns aufpassen sollte. Den mussten wir abhängen. Ich sagte, ich will im Haus der jungen Talente fotografieren, der ging also los und machte die Verabredungen.

"Lieber Punker als Pauker" – Punks in Ost-Berlin, 1982.
„Lieber Punker als Pauker“ – Punks in Ost-Berlin, 1982. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12

Also fragte ich mich, was kann ich machen, damit es aussieht wie Ost-Berlin?

tipBerlin Und Sie konnten dann ungestört die Punks treffen?

Ilse Ruppert Genau, der war beschäftigt. Wir fuhren dann in die Christinenstraße nach Prenzlauer Berg und da fotografierte ich gleich alles. Aber irgendwie sah das alles genauso aus wie in West-Berlin. Dieselben Bands, als Graffiti an der Wand, dieselben Klamotten, dieselben Poster an der Wand. Also fragte ich mich, was kann ich machen, damit es aussieht wie Ost-Berlin?

Da kam mir die Idee mit dem Lenin-Denkmal, das gab es nicht im Westen. Wir sind hin, ich tat so als wäre ich eine Touristin und die Punks machten ihre Posen, viel besser als die Punks in West-Berlin. Allein von der Sache habe ich noch tausende Bilder im Archiv. „Konkret“ hat sechs Seiten zu der Geschichte gebracht und danach konnte ich das Thema in ganz Europa verkaufen. Aber in der DDR durfte ich danach nicht mehr arbeiten, die wollten nicht, dass man Punks zeigt, das stand nicht für das offizielle Bild des Sozialismus und so haben sie mich gesperrt.

tipBerlin Sie haben in West-Berlin in jener Zeit auch Leute wie Dennis Hopper getroffen und immer wieder auch Weltstars fotografiert, Bob Marley und Keith Richards etwa. Mochten Sie lieber den Glanz und Ruhm oder den Underground?

Ilse Ruppert Mein Ziel war fotografieren. Ob die Leute berühmt waren oder nicht, war mir egal. Im Sommer 1982 traf ich zufällig im Café Vaterland in der Nürnberger Straße den Drehbuchautor Fritz Müller-Scherz. Er hatte vom „Playboy“ den Auftrag, ein Interview mit Dennis Hopper zu machen. Geil, und ich mach die Fotos, dachte ich! Der „Playboy“ war einverstanden und wir zogen mit Dennis Hopper durch die Berliner Nacht.

Dennis Hopper auf dem Hotelbett in West-Berlin, 1981.
Dennis Hopper auf dem Hotelbett in West-Berlin, 1981. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo 12

Zuerst wollte er, dass ich Nacktfotos von ihm in der Sauna mache

tipBerlin Dennis Hopper soll nicht sehr einfach gewesen sein, hörte man.

Ilse Ruppert Er war sehr aggressiv, was auch mit Speed, Koks, Alkohol und Schlafentzug zu tun hatte. Zuerst wollte er, dass ich Nacktfotos von ihm in der Sauna mache. Natürlich ging das nicht, schon aus technischen Gründen. Die Linse beschlägt da ja. Wir trafen uns also in seiner Suite im Interconti. Seine Idee der Nacktfotos hatte er noch nicht vergessen. Wir gingen nach nebenan und er posierte für mich auf dem Bett mit Hut. Dann zog er sich plötzlich seine Hose aus und fuchtelte wild herum. Ich stieß ihn an die Wand. Dennis rutschte langsam herunter und lächelte. Actor’s Studio pur! Ein echtes „Blue Velvet“-Feeling! Am nächsten Morgen kamen wir wie verabredet am Film-Set vorbei. Dennis war sehr charmant, frisch geduscht und richtig zuvorkommend.

tipBerlin Was ist Ihre Formel, gibt es einen besonderen Ilse-Ruppert-Stil?

Ilse Ruppert Ja, ich habe einen Stil. Manche Bands wussten, wenn ich sie fotografiere, dann kommen sie in den „Musikexpress“ oder in „Sounds“. Ich wollte immer Fotos machen, die sonst niemand macht. Mein Ziel war es, hinter das Geheimnis zu kommen. Am liebsten war mir der dokumentarische Blick und ich habe mich immer gerne amüsiert, Spaß und Humor waren mir immer sehr wichtig. Aber viele Leute, die ich fotografiert habe, waren von meinen Bildern richtig erschrocken, weil sie sich so selbst nie gesehen hatten.

Ilse Ruppert wurde 1947 in Mespelbrunn im Spessart geboren. Sie begann ihre Karriere als Fotografin in den späten 1970er-Jahren in München. Von dort reiste sie nach New York und Los Angeles und dokumentierte die Anfänge der Punk-Szene. Nach Stationen in Hamburg und Paris lebt sie seit 1997 in Berlin. Ihre Arbeiten erschienen in Magazinen in der ganzen Welt. Mehr unter: www.ilseruppert.de
Ilse Ruppert wurde 1947 in Mespelbrunn im Spessart geboren. Sie begann ihre Karriere als Fotografin in den späten 1970er-Jahren in München. Von dort reiste sie nach New York und Los Angeles und dokumentierte die Anfänge der Punk-Szene. Nach Stationen in Hamburg und Paris lebt sie seit 1997 in Berlin. Ihre Arbeiten erschienen in Magazinen in der ganzen Welt.

Kulinarisch hat sich Berlin absolut entwickelt

tipBerlin Sie leben seit 1997 in Berlin, warum sind Sie hergezogen?

Ilse Ruppert Ich wollte mehr Zeit mit meiner Freundin Mona Mur verbringen. Wir haben uns immer gut ergänzt. Das ist bis heute so. In Paris kannte ich nach 15 Jahren alles, das reichte. 1997 war das mit dem Essen in Berlin auch etwas besser als in den 1980er-Jahren und heute kann ich mich überhaupt nicht beschweren. Kulinarisch hat sich Berlin absolut entwickelt. Und ich war Ende der 1990er-Jahre weniger unterwegs, hörte auf, für die Presse zu arbeiten und bin mit meinem zweiten Ehemann viel gereist.

tipBerlin Arbeiten Sie heute gar nicht mehr?

Ilse Ruppert Nicht so wie früher, aber ich will endlich ein Buch mit meinen Fotos machen. Derzeit arbeite mit dem neuseeländischen Grafiker Paul Snowden zusammen, wir haben ein Layout vorbereitet, mit dem ich sehr zufrieden bin. Vorher gab es Angebote von Verlagen, die fand ich aber alle nicht gut. Einfach nur so ein Buch brauche ich nicht, ich warte lieber, bis es so wird, wie ich es mir vorstelle und das kommt jetzt hoffentlich.


Mehr Fotos von Ilse Ruppert auf ihrer Website


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