Unsere Autorin wurde am Sonntag, den 6. Juni, im Impfzentrum am ehemaligen Flughafen Tegel gegen Corona geimpft. Die Impfung vertrug sie gut, doch der Weg dahin war eine Odyssee: Von der Bushaltestelle an der Aristide-Briand-Brücke bis zum rettenden Shuttle zu gelangen ist gar nicht so einfach. Und die Karten der BVG-App kennen sich in Tegel nicht aus. Eine Glosse.
Die Schicksalsgemeinschaft an der Bushaltestelle
Am Tag, an dem ich meine Impfung bekommen sollte, knallte die Sonne schon um halb zehn Uhr morgens so erbarmungslos auf Berlin herab, dass man ein Spiegelei auf dem Bürgersteig hätte braten können. Während die Menschen beim Bäcker Schlange standen, stieg ich in die Ringbahn.
Den Weg zum Impfzentrum im ehemaligen Flughafen Tegel hatte ich am Abend zuvor in der BVG-App nachgeschaut. Die Ringbahn bis zur Jungfernheide sollte ich nehmen, dort den M21er Bus in Richtung Rosenthal und dann an der Aristide-Briand-Brücke aussteigen. Von dort aus wären es zehn Minuten, also 723 Meter, zum Impfzentrum, sagte der Kartenanbieter der BVG-App, und ich wäre um 10.15 Uhr, 15 Minuten vor meinem Impftermin vor Ort.
Ich stieg um. Vier Haltestellen später hielt der Bus an der Aristide-Briand-Brücke. Mit mir stiegen aus: ein Mittdreißiger mit Umhängetasche und ein korpulenter älterer Mann mit Gesundheitslatschen, der offensichtlich Knieprobleme hatte. Umhängetasche und ich guckten erst auf unser Handy und dann uns an und fragten uns gegenseitig, ob wir auch ins Impfzentrum müssten. Der ältere Mann mit dem kaputten Knie und dem großen Bauch antwortete, er sei nur nicht mit dem Auto gekommen, weil diese schwachsinnigen Fahrradfahrer schon wieder demonstrierten und die Straßen gesperrt seien.
Von der Aristide-Briand-Brücke zum Impfzentrum Flughafen Tegel ist es weit
Also stiefelten wir alle drei los, ich mit Handy in der Hand. Gesundheitslatsche schwitzte. Irgendwann fiel mir dann auf, dass hier irgendwas nicht stimmen konnte. 1,8 Kilometer Fußweg zeigte das Handy an, 22 Minuten sollte man brauchen. Das Handy von Umhängetasche gab dieselbe Auskunft. Fanden wir komisch. Inzwischen zeigte die Uhr 10.10 Uhr. Noch zwanzig Minuten bis zum Termin.
An einer Straßenecke begegneten wir einem weißhaarigen Mann mit Schweizer Akzent, der fragte, ob wir auch zum Impfzentrum wollten. Als wir bejahten, sagte er, er werde ganz bestimmt nicht laufen und gucken, ob hier nicht doch irgendwo noch ein Bus fuhr und drehte um.
Wir anderen gingen weiter. Umhängetasche und ich schnellen Schrittes, doch Gesundheitslatsche fiel immer weiter zurück. Irgendwann drehten wir uns um und blickten ihn fragend an. Ich war inzwischen ziemlich impfgeil, seit Wochen schon hatte ich mich auf meine Dosis Moderna gefreut.
Die Karten der BVG-App kennen sich in Tegel nicht aus
Und jetzt drohte der Impftermin mir zwischen den Fingern zu zerrinnen, nur weil die Kartenanbieter der BVG-App sich nicht in Tegel auskannten. Aber Gesundheitslatsche verstand. Er wollte uns Jüngeren nicht zur Last fallen, hob den Arm und rief uns über die inzwischen 25 Meter, die zwischen uns waren, zu: „Wartet nicht auf mich! Ich schaffe das schon…“
Umhängetasche und ich blickten uns an, winkten Gesundheitslatsche zu und gingen, nun ungebremst, weiter. Die Route führte uns ins den Wald, zwischen abgesperrten ehemaligen Militärgebieten der Franzosen und den endlosen Wiesen von TXL hindurch. Ich erfuhr, dass Umhängetasche Erzieher ist und heute seine zweite Dosis bekommt.
Es hätte ein schöner Spaziergang sein können, wäre da nicht die Angst gewesen, dass wir unseren Termin verpassen könnten – und das schlechte Gewissen, dass wir Gesundheitslatsche zurückgelassen hatten, wie einen verletzten Kameraden im Krieg. Mit dem Unterschied, dass uns jetzt nicht direkt der Tod drohte, wenn wir nicht schnell genug weitergehen würden. Sozialdarwinismus at its best.
Weiter gings eine Böschung hoch und über einen Zaun
Nachdem wir unter einer Brücke hindurchgegangen waren, erkannte Umhängetasche am Ende einer Böschung und hinter einem Zaun die Station, an der er das letzte Mal aus dem Impfshuttle ausgestiegen war. Er hatte sich nämlich schon gewundert, dass das abgeschafft worden war. Wir kletterten die Böschung hoch und über den Zaun. Ein Mann mit orangefarbener Weste kontrollierte, ob wir auch wirklich einen Termin hatten und ließ uns ins Shuttle einsteigen.
Während ich durchs Impfzentrum geschleust wurde (dort läuft alles sehr organisiert ab und man meldet sich an den Schaltern mit den Laufbändern an, wo man früher seine Koffer abgegeben hat), musste ich immer wieder an Gesundheitslatsche denken. Die Böschung und den Zaun hätte er nicht geschafft.
Vielleicht stimulierte die Umgebung mit den ganzen Kabinen und Pfeilen auf dem Boden meine Fantasie, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, ich befände mich in einem dystopischen Film, in dem man beweisen muss, dass man fit oder schlau genug für die Impfung ist. Und wenn man aus dem Impfzentrum am Flughafen Tegel heraustritt, kommt kitschige Musik. Happy End. Fehlte nur noch, dass draußen Gesundheitslatsche gestanden hätte. Er wäre auch schon geimpft worden, weil er nämlich früh genug realisiert hätte, dass er es zu Fuß nicht schafft und sich ein Taxi genommen hätte.
Aber das Leben ist selten so wie im Film. Gesundheitslatsche war nicht da. Dafür traf ich den weißhaarigen Schweizer dort an der General-Ganeval-Brücke, wo nicht nur die Shuttles zum Flughafen hielten, sondern auch ein Bus, der direkt zur S-Bahnstation Jungfernheide fuhr.
Noch nicht geimpft? Alle Infos rund ums Thema Impfen findet ihr hier. Geimpft, genesen oder getestet winken diesen Sommer endlich wieder Aktivitäten, die Spaß machen. Das aktuelle Open-Air-Filmprogramm zum Beispiel findet ihr hier. Und draußen trinken geht in den Berliner Clubs, die ihre Gärten öffnen – mehr dazu im Club-Update.