Kolumne

Jackie A. entdeckt… Greatest Hits

Böse Menschen haben keine Lieder und Leute, die alt werden, hören mit Leidenschaft nur noch die Greatest Hits aus ihrer Jugend. Ich weiß, wovon ich spreche! Sind wir damit Fälle für die Oldie-Party, rückwärtsgewandt und vom Leben abgegessen? Hat der explodierende Hormonhaushalt unserer einst jugendlichen, noch in der Bauphase befindlichen Hirnareale damals so ausgiebig in all der grandiosen Biochemie gebadet, dass bis heute im Vergleich emotional nur noch warmer Tee möglich ist?

Meine Facebook-Akquise hat ergeben, auch bei euch werden die großen Emotionen zielgenau durch Tracks der eigenen Jugend getriggert. „Definiere Jugend“, bat hierzu mein Freund Wolle.  Berechtigter Einwand. Ist mensch, zumal in Berlin, nicht so jung, wie er sich fühlt? Ich fürchte, nee. Es hat vermutlich keinen großen Effekt, mit 50 oder 60 besonders viel neue Musik zu hören oder sich jugendlich zu kleiden, denn das letzte Wort haben die Hormone.  Die explosive  Kombination von hochaktiver Biochemie und vielen großen ersten Malen bleibt allein der Jugend vorbehalten: das erste Aufbegehren, der erste Liebeskummer, das erste Abhauen in eine andere Stadt.  Und immer gibt es diesen einen Track dazu, den es ein Leben lang zu würdigen gilt.

Und damit willkommen im Club irgendwie Gereifter mit Augenringen und relaxter Biochemie, ich habe uns eine  Nostalgiebadewanne eingelassen! Ihr habt freundlicherweise das Badesalz dazu gestiftet und an die 100 Tracks eurer Jugend gepostet. Danke dafür, denn plötzlich war alles wieder da: das erste Punk-Konzert, der Track der Dead Kennedys: „California über alles“. Der Junge mit der Martin-Gore-Frisur, der nach dem Tanzen im Husemann-Club zu „Geisha Boys und Temple Girls“ von The Human Like drohte, sich umzubringen (wenn ich in den letzten Zug nach Hause steige). Die Party, bei der ich meiner ersten großen und unerfüllten Liebe betrunken in den Schoß kotzte  – Track: „Fade to Gray“ von Visage. Da war auch noch der Geruch von zu viel Haarspray und Zigarrenrauch in der Wohnung in Hohenschönhausen, in dieser Nacht, in der Torsten und ich uns zum ersten Mal küssten. Ein  fragiler, geheimnisvoller Austausch, so spannend und intensiv, dass er bis zum Morgen ging. Das Wertvollste, was es in dieser Wohnung gab, war „Back to Nature“ von Fad Gadget auf Kassette, die im „VEB Stern“-Recorder auf Dauerschleife lief, der Soundtrack meiner Jugend. Und welcher war nun deiner?

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