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Jahnsportpark: Jetzt ist die Tribüne weg. Ein persönlicher Abschied mit Wladimir Kaminer

Der Abriss des Stadions im Jahnsportpark geht weiter – trotz vieler Proteste von Umweltschützern und Anwohnern. Jetzt ist die markante Haupttribüne vollständig abgerissen worden. Die Abbrucharbeiten am Ostmoderne-Bau hatte der Berliner Senat im Oktober aufgenommen. Unser Autor traf sich kurz danach mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer am Stadion. Ein doppelt persönlicher Abschied.

Abriss des Jahnsportparks: Von der Haupttribüne ist am 10. März nichts mehr übrig. Foto: Iris Braun

Abriss des Jahnsportparks: Wladimir Kaminer kauft Brot und Fisch und ärgert sich über den Abbau Ost

In den vergangenen Jahren hat der Ost-Identitätsdiskurs an Fahrt aufgenommen. Ganz besonders emotional ist dieser Diskurs zum Beispiel, wenn die Abrissbirne über Bauten der Ost-Moderne schwingt. Palast der Republik, Ahornblatt, SEZ.

Der vielleicht überraschendste Protagonist dieser Abbau-Ost-Debatte aber ist das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Dort kickte einst der BFC Dynamo, unbeliebtester Fußballverein der DDR, zehnfacher Oberliga-Meister. Er galt als Stasi-Klub, Erich Mielke war Fan. Die Schiedsrichter auch.

Ende März kommt über dieses Thema übrigens ein neuer, sehenswerter Dokumentarfilm von Daniel Gordon, Arne Birkenstock und Zakaria Rahmani in die Kinos, der „Stasi FC“ heißt.

Jetzt wird es abgetragen, ein inklusiver Sportpark ist geplant, die Kosten haben sich jetzt schon auf rund 200 Millionen Euro verdoppelt. Seit einigen Jahren kämpft eine Bürgerinitiative gegen das Vorhaben. Der Schriftsteller Wladimir Kaminer, der wenige Gehminuten vom Stadion entfernt wohnt, ist ein Freund der Initiative. Als die Bagger anrollen, treffe ich ihn an den Trümmern.

Jahnsportpark: Trümmer statt Trbüne

Selbst ein Gerichtsbeschluss aus Artenschutzgründen, es ging unter anderem um Brutstätten des Haussperlings, konnte den Abriss nur kurz stoppen. Ende Januar erwirkte der Senat einen Änderungsbeschluss. Nach dreimonatigem Abrissstopp gehen die Abbrucharbeiten jetzt weiter.

Am 10. März ist von der Hauptribüne nur noch ein Trümmerberg übrig. Die Flutlichtmasten ragen wie traurige Beschützer in den Himmel, für die es nichts mehr zu beschützen gibt.

Einen Tag, nachdem der ursprüngliche Abriss am 8. Oktober beginnt, treffe ich Waldimir Kaminer am Sportpark auf einen Spaziergang. Da haben die Bagger bereits tiefe Krater in die rote Tribüne geschlagen. Kaminer ist pünktlich. Gelbe Lederjacke, bunter Schal, schelmisches Lächeln. Schon vor einem Jahr hat er auf Facebook gewettert: „Sozialistische Architektur wird entsorgt.“

Schriftsteller Wladimir Kaminer: „Ach, euch gefallen die blühenden Landschaften nicht?“ Foto: Urban Zintel

Wladimir Kaminer kam 1990 aus Moskau mit dem Zug in Lichtenberg an, als Kontingentflüchtling. Er blieb im Osten, „denn dort gingen kreative Menschen hin, die sich nicht ausbeuten lassen wollten“, wurde auf Lesebühnen bekannt, schrieb Bestseller, erfand die legendäre „Russendisko“ im Kaffee Burger.

Als vor der Wende,  in den 80er-Jahren, der alte Stadionturm weichen musste, regte sich keiner darüber auf. 1987 wurde dort die rote Haupttribüne mit der beschichteten Glasfassade gebaut, Anlass war die 750-Jahr-Feier Berlins. Aber durch das neue Dach sah man im DDR-Fernsehen fortan auch nicht mehr die Mauer über der Gegentribüne.

Wie ich mal beinahe auf der Stadion-Baustelle verhaftet wurde

Ich erzähle Kaminer, wie ich damals, beim Umbau, beinahe verhaftet wurde. Mein Verein hatte ein Punktspiel auf dem Nebenplatz. Eine Stunde vor dem Anpfiff entdeckte ich ein offenes Baustellentor. Ging die Traverse hoch. Ein Polizist kam. Ein zweiter. Irgendwann waren es fünf. Sie wollten mich mitnehmen.

Da schnaufte mein Trainer den Tribünenhang hoch. „Was ist denn hier los?“ – „Der wollte über die Mauer abhauen“, sagte ein Volkspolizist streng. Mein Trainer polterte: „Der wollte nicht abhauen, der steht gleich bei uns im Tor.“ Auf der Heimfahrt saß ich hinten im Trabant, meine Eltern vorn. Sie brüllten mich an. Ich hätte mir vielleicht die Zukunft verbaut. Das Abitur auch. Ob mir das klar sei?

Ich sah in ihren Augen nackte Panik.

Abriss der Haupttribüne des Jahnsportparks: Am 22. Februar 2025 war der entkernte Bau noch zu erkennen. Foto: IMAGO/Andreas Gora

Kaminer und ich laufen an der Tribüne vorbei, in Richtung Eberswalder Straße, er redet über das „unglaublich schnuckelige“ Stadion, DDR-Nostalgie, die „Nicht-Regierung“ von Olaf Scholz, „Kultur als Brücke in die Zukunft“, die auf vielen Säulen stehe. „Ostdeutschland, die DDR-Vergangenheit, ist eine wichtige Säule. Wenn du die rausnimmst, fällt die Brücke zusammen“, sagt er.

Kurze Gehpause an der hippen Bäckerei Zeit für Brot. Kaminer benötigt Gebäck.

„Diese Stadt scheißt auf ihre Geschichte“, macht er dann weiter. „Ich weiß auch nicht, woher das kommt. Alles, was an die DDR, an frühere Zeiten erinnert, soll schnellstmöglich aus dem Stadtbild verschwinden.“

Schriftsteller Kaminer: „Ich bin Berliner, ich glaube an diese Stadt“

Manchmal, sagt Kaminer, habe er das Gefühl, diese Abrisse seien die Rache für „die falschen Wahlergebnisse“ in den neuen Bundesländern: „Ach, euch gefallen die blühenden Landschaften nicht, die wir euch gebaut haben? Dann reißen wir eure DDR jetzt ganz ab.“ Er hört sich selbst hinterher, verzückt. „Oh, schreib das, das ist ein guter Satz.“ Bitte sehr.

Am Ende sitzen wir vor einem Fischladen an der Schönhauser Allee, Kaminers Bestellung ist noch in Arbeit. „Ich bin Berliner, ich glaube an diese Stadt“, sagt er. „Wir brauchen diese Diskussion über die Zukunft der Urbanität. Dass wir es gemeinsam schaffen, diese Stadt für die Menschen zu gestalten. Nicht für Geldanleger, nicht für Großunternehmer.“

Und was ist mit Ost-Berlin? „Ost-Berlin bleibt Ost-Berlin“, antwortet Wladimir Kaminer. „Weil vor 35 Jahren das Spannendste passiert ist, was einer Stadt passieren kann.“ Er lacht: „Eine Mauer zu bauen, wieder abzureißen und damit anzugeben, als wäre es ein Fortschritt, das können nur die Deutschen!“


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