Berlin verstehen

Jugend in Ost-Berlin der 1980er: Hausbesetzer, Boheme und FDJ

Die Jugend in Ost-Berlin der 1980er wuchs anders auf als die gleichaltrigen Teenies westlich der Mauer. Trotzdem lebten die jungen Leute nicht hinterm Mond. Den Tratsch, die Trends und Musik der westlichen Welt bekam man hier auch mit, wenn man wusste wie. Der West-Berliner Radiosender RIAS versorgte auch die Ost-Berliner:innen mit aktuellen Hits und Verwandte schmuggelten Zeitschriften, Schallplatten und andere Jugendschätze. West-Fernsehen gab es eh. Und man hatte mit DT64, dem Jugendprogramm des DDR-Rundfunks, selbst ein Medium, das die Bedürfnisse der Jugend ernst nahm. Wir haben 12 Fotos aus den Jahren 1979 bis 1989 herausgesucht, die zeigen, wie es war, seine Jugend in Ost-Berlin zu verbringen.


Feuchtfröhlicher Spaß: Auch so war die Jugend in Ost-Berlin

FDJ in Ost-Berlin: Jugendliche vergnügen sich in den Wasserkaskaden am Fernsehturm, Aufnahme vom Juni 1979.
Juni 1979: Die Jugend in Ost-Berlin suchte Wege der Abkühlung im heißen Sommer – und fand sie zum Beispiel am Alexanderplatz.. Foto: Imago/SMID

Zwar unterdrückte das SED-Regime Aufmüpfigkeit und Popkultur, wo es nur konnte. Die Trends, Moden und Hypes, die über den Eisernen Vorhang strömten, konnten die Bonzen um Honecker und Mielke aber nicht aufhalten. Punk war in der DDR genauso präsent wie New Wave und Disco. Auch Hip-Hop und Reggae wurden gehört, von Jazz und Rock gar nicht zu sprechen.

In Prenzlauer Berg standen viele Wohnungen leer. Künstler, Musiker und Schriftsteller bewohnten die verfallenden Altbauten. Eine Boheme entstand, es gab Hinterhofkonzerte, Happenings, wilde Partys, Lesungen und Dachgeschoss-Vernissagen. In den Kirchen regte sich der Protest, und einige Ost-Berliner Institutionen wie das Haus der Jungen Talente, die Umweltbibliothek und der Jazzkeller Treptow boten der aufkeimenden Szene eine Heimat. Zwischendurch planschten Jugendliche am Alexanderplatz.


Gruftis in Marzahn

Jugend in Ost-Berlin: Gruftis in einem Jugendclub in Marzahn, März 1989.
Gruftis in einem Jugendclub in Marzahn, März 1989. Foto: Imago/Christian Thiel

Punk in Ost-Berlin ist relativ gut erforscht, auch die Metal- und Hard-Rock-Szene wurde in dem lesenswerten Buch „Red Metal“ ausführlich beschrieben, doch die DDR-Gothics und Gruftis sind ein Kuriosum. Zwar hat die Jugendkultur bis heute, vor allem durch das alljährlich stattfindende Leipziger Wave-Gotik-Treffen, eine enorme Bedeutung, doch die Anfangszeiten werden oft vergessen. Dieses Foto zeigt die Pioniere der dunklen Seite der DDR-Jugend.


Jugend in Ost-Berlin: Schüler in Prenzlauer Berg

Jugend in Ost-Berlin: Schüler posieren vor einer Schule in der Erich-Weinert-Strasse in, Frühling 1989.
Schüler posieren vor einer Schule in der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg, Frühling 1989. Foto: Imago/Seeliger

Schon bald sollte nichts mehr so sein, wie es war. Das Foto entstand im letzten Sommer der DDR vor einer Schule in der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg. Gorbatschows Perestroika sorgte für Wirbel in der sozialistischen Welt, die Friedensbewegung nahm an Fahrt auf, Proteste formierten sich – und die Jugend in Ost-Berlin war bereit für Veränderungen. Oder zumindest ein Teil der Jugend.


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Benefiz in der Erlöserkirche

Protest in Ost-Berlin: Nach einer Fürbittandacht fand am 29. Januar 1988 in der Berliner Erlöserkirche eine mehrstündige Benefiz-Veranstaltung statt, bei der Punkbands, Liedermacher, Schriftsteller, Schauspieler und Musiker die Freilassung politischer Gefangener forderten.
Nach einer Fürbittandacht fand am 29. Januar 1988 in der Berliner Erlöserkirche eine mehrstündige Benefiz-Veranstaltung statt, bei der Punkbands, Liedermacher, Schriftsteller, Schauspieler und Musiker die Freilassung politischer Gefangener forderten. Foto: Imago/epd

Als sich in Ost-Berlin eine Subkultur formierte, fehlte es an einer Infrastruktur. Bars und Konzertorte, wo sich die schräge TeR-Jugend treffen konnte, existierten kaum bis gar nicht. So mussten kritische Künstler, subversive Bands und revolutionäre Poeten auf illegale oder inoffizielle Räume ausweichen. Auch die Kirchen spielten eine wichtige Rolle als Auftrittsort.


Abhängen an der Schönhauser Allee

Jugend in Ost-Berlin: Halbstarke am S und U-Bahnhof Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, Aufnahme von 1986.
Jugendliche am S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, Aufnahme von 1986. Foto: Imago/Christian Thiel

In martialischem Look gekleidet hängt eine Clique am S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg ab. So richtig viel zu tun gab es nicht. Man konnte versuchen, im tschechischen oder polnischen Kulturinstitut an rare Schallplatten ranzukommen, die es in der DDR-Läden nicht gab. Ansonsten blieb den Jungs nicht viel mehr als Kassetten hören, „Club“ oder „Karo“ rauchen, Rumgammeln, Bier trinken und Mädchen nachschauen. Ganz normales Elend eben. Prenzlauer Berg sah damals noch ganz anders aus.


Jugend im Ost-Berlin der 1980er: Punks und Passanten

Punk in Ost-Berlin: Passant unterhält sich mit zwei Punkern. (Aufnahme vom September 1985.
Straßenszene in Ost-Berlin: Passant unterhält sich mit zwei Punks. (Aufnahme vom September 1985). Foto: Imago/Frank Sorge

Punk zu sein in der DDR, das war mehr als nur die Entscheidung für eine außergewöhnliche Frisur oder ein Loch in der Hose. Viel mehr. Es war eine Entscheidung, die nicht selten im Gefängnis endete. Diese Zeit ist verewigt auf „Too Much Future– Punkrock GDR 1980-1989“, einer von dem Berliner Henryk Gericke und Maik Reichenbach aus Leipzig zusammengestellten Compilation mit Punkbands, die zu DDR-Zeiten niemals offiziell auftreten konnten oder wollten. 


Live in der Brache

Avantgarde in Ost-Berlin: Privat organisiertes Punkkonzert im Hirschhof, Oderberger Strasse in Prenzlauer Berg. Aufnahme vom 18. Mai 1985.
Privat organisiertes Punkkonzert der Band Rosa Extra im Hirschhof, Schliemannstraße in Prenzlauer Berg. Aufnahme vom 18. Mai 1985. Foto: Imago/Frank Sorge

In den Bezirken der Unangepassten, der Punks, der Boheme-Literaten, der Andersdenkenden, Anderslebenden, in Prenzlauer Berg, in Friedrichshain und den abgerockten Teilen von Mitte, traf man sich dagegen zu Wohnungs-Szenelesungen und -performances oder auch zu Hinterhof-Konzerten. Da wurde wilde, ungeschliffene, akkord-übersichtliche Gitarrenmusik geschrammelt. Manchmal vielleicht sogar auf Kassette aufgenommen, weitergereicht, überspielt. Und rundherum standen die sozialistischen Ruinen der verfallenen Innenstadt. Hier sind berühmte Brachen in Berlin: Die Geschichte der Leere.


Jugend in Ost-Berlin: FDJ-Versammlung

Jugend in Ost-Berlin: Schülerinnen während einer FDJ-Versammlung in der Aula der 6. Polytechnischen Oberschule (POS) Karl-Friedrich-Schinkel in Prenzlauer Berg, Aufnahme um 1985.
Schülerinnen während einer FDJ-Versammlung in der Aula der 6. Polytechnischen Oberschule (POS) Karl-Friedrich-Schinkel in Pankow, Aufnahme um 1985. Foto: Imago/Seeliger

Zwar sind die Punks, Gruftis und schrägen Künstlertypen fotogen und lassen sich bis heute gut erzählen, doch der Großteil der Jugend in Ost-Berlin gehörte keiner Subkultur an. Die meisten DDR-Kids gingen zu Schule, hörten Radio, lasen die gängigen Zeitschriften, kauften das an DDR-Mode, was das SED-Regime so zuließ, und hingen mit ihren Freunden ab. Und nicht wenige waren in der FDJ organisiert, der zentralen Jugendorganisation im Arbeiter- und Bauernstaat.


Free Jazz im Haus der Jungen Talente

Jazz in Ost-Berlin: Fans und Musiker nach einem Free Jazz-Konzert im Keller im Haus der Jungen Talente in Mitte. Aufnahme von 1982.
Fans und Musiker nach einem Free-Jazz-Konzert im Keller im Haus der Jungen Talente in Mitte. Aufnahme von 1982. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12

Die biederen SED-Bonzen haben die Rechnung ohne die Freaks, subversiven Künstler und Rockfans gemacht. Die hatten meist keinen Bock auf Saufen bei schlechtem Licht und an hässlichen Resopaltischen. Man hörte westliche Popmusik, Punk oder Jazz, ließ die Bärte und Haare wachsen und diskutierte jenseits der staatlichen Ordnung über den Klassenfeind, einen Sozialismus mit anderem Antlitz. Das Foto zeigt einige Vertreter der jungen Generation im Jahre 1982 bei einem Konzert im Haus der Jungen Talente.


Besetzte Wohnungen

Punk in Ost-Berlin: Von Punks besetzte Wohnung in Ost-Berlin. Aufnahme von 1982.
Von Punks besetzte Wohnung in Ost-Berlin. Aufnahme von 1982. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12

Viele Leute aus Prenzlauer Berg hatten keine Lust mehr auf die maroden Wohnungen ohne vernünftige Heizung, oft mit Außentoilette und undichten Fenstern. Man zog gerne nach Marzahn in die Platte. Dort funktionierte alles und war sauber. In den 1980er-Jahren begannen so Wohnungen leer zu stehen, die dann findige Ost-Punks kurzerhand besetzten. Die Geschichte der besetzten Häuser in Berlin erzählt auch die Geschichte der Stadt.

Das Foto stammt übrigens von Ilse Ruppert, die einen ganz eigenen Blick auf Ost-Punks hatte – ein Interview.


Kiezkantine in der Oderberger Straße

Jugend in Ost-Berlin: Mittagessen in der Kiezkantine in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, Aufnahme von 1981.
Mittagessen in der Kiezkantine in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, Aufnahme von 1981. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Interessanterweise existiert heute in der Oderberger Straße immer noch die Kiezkantine. In dieser besonderen Einrichtung in Prenzlauer Berg bereiten psychisch erkrankte Menschen gutes und günstiges Essen für alle zu. Die Geschichte dieser Kiezkantine geht auf das Jahr 2003 zurück, doch schon 1981 gab es dort eine Kiezkantine, wo man sich relativ ungezwungen zum gemeinsamen Mittagessen verabreden konnte.


Jugend in Ost-Berlin: FDJ-Aufmarsch auf der Karl-Marx-Allee

FDJ in Ost-Berlin: Nationales Jugendfestival in Ost-Berlin im Juni 1979. Die FDJ beim Aufmarsch auf der Karl-Marx-Allee in Mitte.
Nationales Jugendfestival in Ost-Berlin im Juni 1979. Die FDJ beim Aufmarsch auf der Karl-Marx-Allee in Mitte. Foto: Imago/SMID

Während die alten preußischen Prunkstraßen und Plätze im Ostteil der Stadt unrenoviert oder im kümmerlichen Zustand vor sich hin vegetierten, blühte der Alexanderplatz auf. Hier wurden die Verheißungen des Sozialismus für einen Moment wahr. Die farbenfrohen Mosaike an den Fassaden, die hell erleuchteten Geschäfte, allen voran das Centrum Warenhaus, der futuristische Fernsehturm und das neue Wahrzeichen des Platzes schlechthin, die Weltzeituhr, standen für eine der Zukunft zugewandte Gesellschaft, die dem Kapitalismus trotzte und stolz auf ihre Errungenschaften war. Dort versammelte sich die FDJ und marschierte 1979 über die Karl-Marx-Allee, deren Geschichte wir hier erzählen.


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Das Pop-Chamäleon lebte in Schöneberg: 12 Dinge, die man über David Bowie in Berlin wissen sollte. Kennt ihr die hier? Berliner Sprüche, die immer gehen. Neu hier? An diese Dinge müssen sich Zugezogene in Berlin erstmal gewöhnen. Ihr lebt schon immer oder zumindest seit einer halben Ewigkeit hier? Diese Dinge kennt jeder, der im West-Berlin der 1980er gelebt hat. Nicht eure Zeit? Wenn ihr seit den 2000er-Jahren in Prenzlauer Berg aufgewachsen seid, kennt ihr diese Dinge. Besuche bei Berühmtheiten: Hier sind die Gräber von Größen wie Brecht, Juhnke und Knef. Wir blicken gern zurück – in unserer Rubrik zur Berliner Geschichte.

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