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Interview

Jugendkulturkarte: Warum Berliner Jugendliche 50 Euro bekommen

Die Berliner Kulturverwaltung hat gemeinsam mit Kulturprojekte Berlin die Jugendkulturkarte initiiert: Jugendliche zwischen 18 und 23 Jahren können von Februar bis April mit einem Guthaben von 50 Euro Kulturorte besuchen. Zum Start der Aktion haben wir mit Corinna Scheller von den Kulturprojekten gesprochen – über die Hintergründe der Guthabenaktion, die teilnehmenden Orte von Theater bis Club und die wichtigsten Fragen zum Angebot. 

Die Jugendkulturkarte wurde erstmalig am 12. Dezember vorgestellt. V.l.: Moritz van Dülmen (Geschäftsführer Kulturprojekte Berlin), Klaus Lederer (Senator für Kultur und Europa), Corinna Scheller (Abteilungsleiterin Kulturprojekte Berlin). Foto: Kulturprojekte Berlin/Antje Schröder

Jugendkulturkarte: Angebote von Kiezmuseum bis Clubcommission

tipBerlin Was für Orte kann man mit der Jugendkulturkarte besuchen?

Corinna Scheller Uns ist es wichtig, eine Vielfalt an Kulturorten abzubilden. Von großen Stadttheatern bis zur freien Theaterszene, von staatlichen Museen bis zu kleinen Kiezmuseen, landesgeförderte, aber auch private Einrichtungen: Das Angebot soll eine große Bandbreite liefern, weil ja junge Menschen selbst sehr unterschiedlich sind in ihren Neigungen und Interessen. Wir haben uns für eine maximale Anzahl von etwa 200 Orten entschieden, damit das Angebot überschaubar bleibt, wobei 200 verschiedene Einrichtungen aber trotzdem noch eine Menge sind. 

Was für uns wichtig war, ist, dass alle Veranstalter, die an unserem Projekt teilhaben, die Jugendkulturkarte für alle Angebote einlösbar machen. Also alle Eintrittsangebote inklusive, zum Beispiel Dauer- und Sonderausstellungen.

tipBerlin Haben Sie als Kulturprojekte die Auswahl der Kulturorte getroffen oder sind die Einrichtungen selbst auf Sie zugekommen?

Corinna Scheller Sowohl als auch. Wir haben bei unserer Auswahl mit Interessenvertretungen der einzelnen Sparten kooperiert, beispielsweise mit dem Landesverband der Berliner Museen oder Berlin Bühnen, dem Stadtportal der Berliner Theater, aber auch mit der Clubcommission. Gemeinsam haben wir uns dann den speziellen Einrichtungen genähert, andere Orte sind direkt auf uns zugekommen.

Die meisten Veranstalter waren generell sehr schnell bei der Aktion dabei, weil viele die Notwendigkeit sehen, dass junge Menschen die Möglichkeit für kostenlose Kulturbesuche erhalten. Und umgekehrt genauso, dass die Einrichtungen wieder mehr junges Publikum brauchen. Vor allem die Bibliotheken, wo die Jugendkulturkarten abgeholt werden können, profitieren ja auch davon, wenn durch das Projekt tausende an jungen Leser:innen ihre nächstgelegene Bibliothek vielleicht zum ersten Mal besuchen.

Viele dieser Einrichtungen haben auch gelitten in den letzten Jahren und ihnen mangelt es allmählich an Nachwuchspublikum. Kinos zum Beispiel: Junge Leute greifen immer öfter zuhause auf Streaminganbieter zurück, anstatt ins Kino zu gehen. Da ist es vielleicht mal eine Abwechslung, wenn man wieder merkt, was für ein Gefühl das ist, vor so einer Riesenleinwand zu sitzen. Da versuchen wir mit unserem Angebot eben zu helfen.

Kritik: „Viele befürchten, die Jugendlichen würden das Senatsgeld nur zum Trinken ausgeben“

tipBerlin Es nehmen nicht nur Museen und Theater teil, sondern auch Clubs. Was hat Sie dazu bewegt, diese Auswahl zu treffen?

Corinna Scheller Die Einordnung der Clubs ist, würde ich sagen, eher eine Haltungssache. In Berlin redet man ja auch von Clubkultur, die eine wichtige Rolle für die Stadt spielt und auch von der Kulturverwaltung gefördert wird. Gemeinsam mit der Clubcommission haben wir Kriterien entwickelt, um zu entscheiden, welche Clubs wir in die Auswahl mit aufnehmen, und das sind Kriterien, die sich ohnehin schon etabliert haben, um die kulturelle Relevanz von Clubs einzuschätzen.

Natürlich gibt es jetzt Stimmen, die befürchten, die Jugendlichen würden das Senatsgeld nur zum Trinken ausgeben werden. Aber das Geld auf der Jugendkulturkarte ist tatsächlich nur für Eintritte, damit kann man weder Popcorn im Kino noch ein Bier im Club kaufen. Es gibt aber keine Reglementierung, wie etwa nur einmal Eintritt für Kino, Club oder Theater. Wir wollen keinen pädagogisierenden Ansatz verfolgen, weil letztlich jede und jeder selbst entscheiden soll, wohin sie mit der Jugendkulturkarte gehen. Es sind ja mündige Menschen.

tipBerlin Wieso sprechen Sie gerade diese Zielgruppe mit Ihrem Projekt an? 

Corinna Scheller Das Projekt entstand mitten in der Coronazeit, und vor dem Hintergrund haben wir uns gedacht, dass wir genau dieser Altersgruppe was Gutes tun wollen. Das sind Jahrgänge, die ihren Schulabschluss unter schwierigen Bedingungen machen mussten, die konnten zwei Jahre nicht weggehen, und die konnten vor allem genau in der Zeit, in der man anfängt, eigenständig Kultur zu erleben, dies nur ziemlich reduziert tun. 

„Die Jugendkulturkarte ist keine spontane Wahlidee“

tipBerlin Die Wahl der Altersgrenze wird kritisiert, weil damit kurz vor den bevorstehenden Neuwahlen ausschließlich wahlfähige Personen adressiert werden. 

Corinna Scheller Die Idee einer Jugendkulturkarte verfolgen wir tatsächlich schon seit knapp anderthalb Jahren, festgelegt wurde sie unter dem Namen Jugendkulturticket bereits im Koalitionsvertrag von 2021, das ist also keine spontane Wahlidee. Die Senatsverwaltung für Kultur hat sich anschließend mit uns, den Kulturprojekten als landeseigener GmbH, zusammengesetzt, um an der genauen Ausgestaltung zu arbeiten.

Tatsächlich hat die Altersgrenze von 18 Jahren eher damit zu tun, dass man ab 18 voll geschäftsfähig ist. Bei Minderjährigen hätten für die 50 Euro noch die Eltern zustimmen müssen, und so etwas wollten wir eben vermeiden. Ab 18 Jahren kann man eben im Internet selbstständig Käufe tätigen und sich offiziell für die Karte anmelden, das macht es juristisch einfach leichter. Außerdem profitieren Menschen unter 18 im besten Fall schon von zusätzlichen Preisermäßigungen.

Nach oben hin haben wir uns sowohl überlegt, wie das mit unserem Budget vereinbar ist, aber auch bis zu welcher Altersgruppe man überhaupt noch von Jugendlichen sprechen kann. Mit beispielsweise 26 zählt man sich wahrscheinlich schon zu den Erwachsenen. 

tipBerlin Wie genau kann man an seine Jugendkulturkarte kommen? 

Corinna Scheller Nach der Online-Registrierung auf der Website www.jugendkulturkarte.berlin bekommt man einen QR-Code, mit dem man anschließend in einer der 40 teilnehmenden Bibliotheken die Karte abholen kann, vor Ort wird die Jugendkulturkarte dann personalisiert.

Zusätzlich dazu findet man im Internet auch eine sortierte Übersicht der mitmachenden Kulturorte, inklusive Standort und Öffnungszeiten. Das kann man sich auch gefiltert anzeigen lassen, beispielsweise nur Museen in Mitte oder alle Clubs in Friedrichshain.

Auf der Website gibt es zusätzlich einen speziellen Login-Bereich, mit dem man seinen Kontostand jederzeit nachgucken und verfolgen kann, wo und wie man das Guthaben bisher ausgegeben hat. 

Nur Buchungen gehen online nicht, das muss man dann vor Ort bei den teilnehmenden Institutionen erledigen. 

„Kultur macht zu zweit einfach mehr Spaß“

tipBerlin Gehen mit der Jugendkulturkarte auch ermäßigte Preis einher?

Corinna Scheller Für die Zielgruppe gibt es ja häufig schon Ermäßigungen, etwa für Studierende, Azubis oder Schüler:innen. Ein eigens reduzierter Preis für die Jugendkulturkarte wäre bei so vielen unterschiedlichen Einrichtungen schwer organisierbar. Wir haben aber schon mitbekommen, dass manche Häuser sich bereits überlegt haben, zusätzliche Ermäßigungen anzubieten.

tipBerlin Ist das Guthaben auf der Karte auf andere übertragbar?

Corinna Scheller Das Guthaben auf der Karte ist zwar nicht auf andere Personen übertragbar, dafür ist es jedoch möglich, Begleitpersonen mitzunehmen und einzuladen. Wir haben gesagt, Kultur macht zu zweit einfach mehr Spaß, deshalb soll es auch möglich sein, zum Beispiel ein Familienmitglied, das selbst nicht an der Jugendkulturkarte teilnehmen kann, mitzunehmen, vor allem, wenn momentan ein Kulturbesuch für die Familie vielleicht nicht immer erschwinglich ist.  

tipBerlin Die Karte kann man nur im Februar abholen; Wie planen Sie, die Zielgruppe in der Zeit über das Projekt zu informieren? Und wie wollen Sie sicherstellen, dass gerade bildungsfernere Jugendliche davon erfahren?

Corinna Scheller Wir planen für die Jugendkulturkarte mehrere Kampagnen auf Social Media, unter anderem über projekteigene Kanäle auf TikTok und Instagram. Zusätzlich werden wir mit verschiedenen Influencer:innen zusammenarbeiten. Darüber hinaus werden wir auch verschiedene Verteilaktionen veranlassen, nicht nur an Universitäten, sondern auch an Oberschulen und berufsausbildenden Schulen oder Jugendzentren. 

Es wird auf jeden Fall auch Plakate im Straßenraum und Flyer in den Einrichtungen geben. 

Letztlich geht es in dieser speziellen Zielgruppe viel um Mund-zu-Mund-Propaganda, deshalb werden die Kampagnen sowohl im Stadtraum sichtbar sein, aber auch gezielt digital, um die Jugendlichen zu erreichen. Wir wollen, dass das Ganze so eine Art Aktionscharakter bekommt und eine Dynamik entwickelt, also dass es sich rumspricht, dass man die Jugendkulturkarte kostenlos abholen und direkt einlösen kann, aber abholen eben auch nur im Februar. 

„Für uns ist jede einzelne Person ein Erfolg“

tipBerlin Mit welcher Nachfrage rechnen Sie bei der Jugendkulturkarte? Ist das Budget des Berliner Senats unbegrenzt, falls tatsächlich ein großer Teil der Zielgruppe davon Gebrauch machen sollte? 

Corinna Scheller Die Mittel werden auf jeden Fall ausreichen. Das haben wir alles tatsächlich mal mithilfe von Statista ausgerechnet. So kamen wir dann auch unter anderem auf die Alterskohorte von 18 bis 23 Jahren. Das sind laut unserer Berechnungen 220.000 junge Menschen in Berlin, für die das Geld ganz sicher ausreichen wird, inklusive von knapp 5.000 jungen Menschen mit Berliner Zweitwohnsitz.

tipBerlin Gab es für das Projekt der Jugendkulturkarte ein Vorbild? 

Corinna Scheller Wir haben für das Projekt viel recherchiert, und es war ganz interessant zu sehen, dass es solche Überlegungen zum Beispiel auch in Stuttgart schon länger gibt. Die Idee, dass man die Jugendkulturkarte in einer von Berlins öffentlichen Bibliotheken bekommt, haben wir uns von einem ähnlichen Projekt in New York abgeguckt. Das trifft sich ganz gut, weil wir eine verlässliche und gute Infrastruktur gesucht haben für die Vor-Ort-Abholung, und die Bibliotheken waren sehr schnell begeistert von der Idee. 

tipBerlin Welchen Erfolg versprechen Sie sich von der Aktion und wird diese eventuell ähnliche Nachfolgeprojekte mit sich bringen?

Corinna Scheller Mit dem Erfolg ist das so eine Sache… Wir haben immer gesagt: Für uns zählt eigentlich jede Person, die sich die Karte abholt, als Erfolg, weil sie Lust auf Kultur hat und das Angebot annehmen möchte. Natürlich wird es da auch einige geben, die vielleicht einfach kein Interesse an dem Projekt haben, aber wir freuen uns über alle, die das eben doch erreicht und die dann vielleicht an einen Kulturort gehen, den sie vorher gar nicht kannten oder der normalerweise zu teuer wäre. Und wie es danach weiter geht, muss die Berliner Politik entscheiden.

Zur Person

Corinna Scheller ist Abteilungsleiterin bei den Berliner Kulturprojekten. Foto: Marcelina Wellmer

Corinna Scheller leitet seit 2018 bei der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH die Abteilung für Kulturförderung, Museumsdienste und Beratung. Dabei betreut sie unter anderem Projekte wie den Museumsdienst Berlin, die stadtweiten Kulturportale Berlin Bühnen und das Museumsportal sowie das Beratungszentrum für Kultur- und Kreativschaffende – Kreativ Kultur Berlin, das Stipendien-Sonderprogramm des Landes Berlin für Berliner Künstler:innen, die Plattform Draussenstadt, den Kulturzug Berlin-Wrocław und den eintrittsfreien Museumssonntag.


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