• Stadtleben
  • Warum gilt in Berlin sehr oft noch Cash only?

Kommentar

Warum gilt in Berlin sehr oft noch Cash only?

Ist nur Bares Wahres? Im Gegensatz zu vielen anderen Städten wird in Berlin sehr oft noch Cash verlangt, in Restaurants, Eisdielen und Spätis genauso wie in kleineren Läden, Kneipen und Bars. Warum traut man in der deutschen Hauptstadt eher dem Bargeld statt der Kartenzahlung? Für Tourist*innen und viele Zugezogene ist das merkwürdig. Ein Kommentar von Jacek Slaski.

In Berlin wird oft und gerne mit Bargeld bezahlt. Oft geht es gar nicht anders.
In Berlin wird oft und gerne mit Bargeld bezahlt. Oft geht es gar nicht anders. Foto: Imago/Cavan Images

Ein Bier in der Kneipe, Chips und Zigaretten aus dem Späti oder eine Pizza um die Ecke: Die kleinen Dinge des Alltags, die man täglich besorgt, muss man in Berlin sehr oft mit Bargeld bezahlen. Ausschließlich. Viele Ladenbesitzer und Wirte akzeptieren keine Karten. Warum ist das so?

Die Liebe der Deutschen zum Bargeld wird immer wieder beschworen. Man sei hier noch nicht so weit wie in anderen Ländern, wo die Bereitschaft zu bargeldlosen Transaktionen wesentlich höher ist, heißt es. So als wäre es ein Naturgesetz. Dabei ist Deutschland eines der reichsten und am höchsten entwickelten Länder weltweit.

Berlin und Cash: Mit dem Handy zu bezahlen ist bislang noch eine Ausnahme

Traut man den virtuellen Geldströmen hier nicht ganz oder will man so am Finanzamt vorbei wirtschaften? Die Gründe für die Karten-Muffigkeit können vielerlei sein, und mit dem Handy zu bezahlen ist bislang noch eine Ausnahme.

Mal sind es die Anschaffungskosten für die Technik und später anfallende Gebühren, die die Unternehmer vor einer Umstellung zum bargeldlosen Geschäft abhalten. Mal ist es eine allgemeine Zukunftsskepsis oder ein nostalgischer Hang zu Banknoten und Münzen. Manchmal auch schnöde Faulheit oder eine mürrische Einstellung a la „ditt is schon immer so jewesen!“.

Wer im Ausland unterwegs ist, kann sich über das archaische Gebaren der Berliner*innen nur wundern

Jenseits der international operierenden Marken, großen Ketten und der Shopping Malls ist das bargeldlose Zahlen in Berlin alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Nicht selten muss man sogar in hippen Restaurants, wo man zu zweit schnell mal 100 Euro und mehr lässt, zum Bargeld greifen.

Wer im Ausland unterwegs ist, kann sich über das archaische Gebaren der Berliner*innen nur wundern. Nicht nur in Schweden oder Island, wo das Bargeld faktisch aus dem Alltag verschwunden ist, ist das virtuelle Bezahlen via Handy oder Karte der Normalfall und wer sein Bargeld hervorholt, wird schon mal schräg angeschaut.

In Helsinki konnte man schon vor Jahren in jeder Kneipe den Deckel problemlos mit der Karte begleichen, in Japan, Australien oder den USA ist das genauso und selbst in weniger entwickelten Ländern setzen sich Bezahl-Apps und andere Formen des mobilen Bezahlens durch.

Die Gegenargumente von Cash-Befürwortern wirken dagegen recht verstaubt. Das Bargeld verschaffe Anonymität und biete vermeintliche Sicherheit. Ist das wirklich so? Aber diese Sicht ist dem deutschen Gemüt nahe. In einem Land, in dem so viele Häuser auf Google Maps gepixelt werden mussten wie nirgendwo sonst auf der Welt, ist die Sorge um die Privatsphäre hoch im Kurs.

Oftmals ist der sture Verzicht auf Karte oder Smartphone einfach nur eine Erschwernis im Alltag

Dass sich die Internetkonzerne unsere Daten ohnehin auf anderen Wegen holen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die meisten von uns sind längst zu gläsernen Usern geworden und die Algorithmen von Facebook und Amazon kennen uns in- und auswendig. Bargeld hin und Bargeld her.

Oftmals ist der sture Verzicht auf Karte oder Smartphone der Laden- und Restaurantbesitzer einfach nur eine Erschwernis im Alltag. Wer kennt das nicht: Man hat gerade kein Geld gezogen und die Bank ist weit weg. Es fehlen doch noch fünf Euro für den Blumenstrauß. Oder der Bäcker will den 100-Euro-Schein, den der blöde Geldautomat ausgespuckt hat, partout nicht wechseln.

Das ist alles unnötiger Ärger, der für Ur-Berliner*innen und hier aufgewachsene irgendwie zu verkraften ist. Man ist ja gewohnt, dass der Weg steinig ist und man durch das Leben irgendwie durch muss. Wer aber die stoische Haltung der brandenburgischen Mark nicht verinnerlicht hat, ist schnell irritiert.

In diversen Facebook-Gruppen tauschen sich Touristen und Zugezogene über die Karten-Verweigerung der Berliner regelmäßig aus. Halb verärgert, halb amüsiert, attestieren sie den hiesigen Ladenbesitzern und Barbetreibern ein antiquiertes Verhalten.

Berlin und Cash, das passt dann doch zusammen! Etwas sperrig sein, gehört zum Berliner eben immer dazu. Aber wir drucken nicht mehr mit Bleisatz, die Telefonzelle ist verschwunden und auch die Kunst des Briefeschreibens stirbt aus. Die Dinge verändern sich. Unser Alltag auch.

Vielleicht wird es langsam Zeit, sich auch vom Bargeld zu verabschieden. Es wäre nicht das Ende der Welt. In Berlin wird das etwas länger dauern als anderswo.


Was uns auch noch bewegt:

Alle wollen nach Kreuzberg. Das haben auch Immobilienmakler verstanden und wollen Eigentumswohnungen mit schlimmsten Makler-Sprech verkaufen. Das Resultat: Die Einheiten in einem Block aus den 1950er-Jahren sind nun Mid-Century-Wohnungen. Suchen ist anstrengend. Zum Berliner Wohn-Irrsinn gehört auch die WG in Mitte, 27 Euro pro Quadratmeter. 

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad