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Berlin verstehen

Kleingärten in Berlin: Geschichte der grünen Stadtoasen

Berlin und seine Kleingärten, das ist eine lange Geschichte und immer wieder auch ein Politikum. Von den grünen Oasen, die zur Kaiserzeit im Großstadtmoloch entstanden, über die Laubenpieper-Ära auf beiden Seiten der Mauer bis zur Entdeckung der Parzelle durch Hipster und Gartenaktivisten, zieht sich ein grüner Faden durch die Stadt. Oftmals kritisiert, als spießig verrufen und doch heiß begehrt, gehören die Kleingärten zu Berlin wie die berühmte Berliner Luft, der Fernsehturm und der Ku’damm. Hier ist ihre Geschichte.


Seit mehr als 130 Jahren gibt es Kleingärten in Berlin

Kolonie Zur Linde e.V., gegründet 1887. Foto: Archiv Zur Linde e.V.
Kolonie Zur Linde e.V., gegründet 1887. Foto: Archiv Zur Linde e.V.

Man nennt ihn Kleingarten, Schrebergarten, Parzelle, Laube oder Datsche. Das eingezäunte Stück gepachtetes Land, mitten im Trubel der Stadt, zwei, dreihundert Quadratmeter groß, vereinsmäßig organisiert, dem Anbau von Obst und Gemüse vorbehalten. Das Glück der kleinen Leute! In Berlin haben sich die ersten „Pflanzvereine“ bereits im späten 19. Jahrhundert organisiert. Vom Lärm und Stress der hektischen Großstadt, flüchteten die Menschen in die Gärten. Mit ihren 145 Parzellen ist die vor mehr als 130 Jahren gegründete Kolonie „Zur Linde“ in Treptow an der Kiefholz­straße die älteste Kleingartenanlage Berlins.


Kleingartenkolonie in Wilmersdorf, gegründet 1921

Kleingärten in Berlin: Sommerliche Idylle in der Kleingartenkolonie Württemberg e.V. (gegründet 1921) in Wilmersdorf. Foto: Imago/Raimund Müller
Sommerliche Idylle in der Kleingartenkolonie Württemberg e.V. (gegründet 1921) in Wilmersdorf. Foto: Imago/Raimund Müller

Die Kleingärten oder Armengärten, wie sie anfangs noch hießen, waren ein Teil der Sozialpolitik in Preußen. Die Stadtbevölkerung stieg im 19. Jahrhundert rasant an und im Zuge der Industrialisierung verelendeten viele Menschen. Um Hunger und Elend beizukommen, verpachteten wohlhabende Förderer kleine Parzellen von etwa 400 Quadratmeter Größe an die Ärmsten und Armen. Dadurch verbesserte sich ihre Lebensqualität, man kam aus den stickigen und überfüllten Wohnungen raus, konnte auf den kleinen Ackerflächen Nahrungsmittel anbauen und knüpfte soziale Kontakte.


Die Kultur der Laubenpieper entsteht

Erntezeit im Schrebergarten, Ost-Berlin, späte 1940er-Jahre. Foto: ADN-ZB/Archiv Berlin 1948/Blunck
Erntezeit im Schrebergarten, Ost-Berlin, späte 1940er-Jahre. Foto: ADN-ZB/Archiv Berlin 1948/Blunck

Während die Oberschicht seit jeher in ihren prächtigen Gärten weilte, Picknicks veranstaltete und sich am satten Grün und üppigen Blumen erfreute, war das Leben der sozial schwächer gestellten lange grau. Die Kleingärten sorgten für eine Veränderung. Wie fast alles in Deutschland, wurden auch die Kleingärten in einer Vereinsstruktur organisiert, mit Festen, Treffen, gemeinsamen Arbeitseinsätzen, einem strengen Regelwerk und Vereinsheimen. Während des Krieges versorgten die Kleingärten viele Berliner zudem mit immer knapper werdenden Nahrungsmitteln und erwiesen sich dadurch als lebensnotwendig. Auch nach Kriegsende und Teilung der Stadt wurde die Kleingarten-Kultur auf beiden Seiten der Mauer fortgeführt.


Geburtsstunde des Guerilla Gardening in Kreuzberg

Sonnenblumen an der intakten Berliner Mauer in Kreuzberg, Nähe Mariannenplatz, 1980er-Jahre. Foto: Imago/Brigani Art
Sonnenblumen an der intakten Berliner Mauer in Kreuzberg, Nähe Mariannenplatz, 1980er-Jahre. Foto: Imago/Brigani Art

In Ost-Berlin, wie in der gesamten DDR, wurde die Idee der Kleingärten in den SED-Staat einverleibt und gefördert. Die „Datsche“ entwickelte sich zum festen Bestandteil des Alltags im Sozialismus. Für die Volkswirtschaft war der Aspekt der (teilweisen) Selbstversorgung mit Obst und Gemüse ebenfalls nicht unwichtig. Auch in West-Berlin gab es tausende Kleingärten. Besonders skurill waren die Parzellen an der Mauer. Manche wurden im politischen Niemandsland wild angelegt, wie etwa in Kreuzberg, wo schon in den 1980er-Jahren eine Art Vorstufe des Guerilla Gardening entstand.


Gartenglück an der Startbahn

Schrebergärten am Rollfeld des Flughafens Tempelhof. Foto: Imago/Lem
Schrebergärten am Rollfeld des Flughafens Tempelhof. Foto: Imago/Lem

Kleingärten gibt es in Berlin an Ausfallstraßen und Autobahnen, entlang von Bahngleisen und Industriegebieten, und wie das Foto hier zeigt, auch Kleingärten direkt am Rollfeld des alten Flughafens Tempelhof, heute liegen sie am Tempelhofer Feld. Immerhin 25 Prozent von Berlins öffentlichen Grünflächen sind Kleingartenanlagen. „Die kleingärtnerisch genutzte Fläche in Berlin beträgt cirka 3.060 Hektar und nimmt somit rund drei Prozent der ­gesamten Stadtfläche ein“, heißt es beim ­Landesverband Berlin der Gartenfreunde e.V., einer Vereinigung, die rund 18 Bezirksverbände und mehr als 67.000 Kleingartenpächter vertritt.


Schrebergärten sind Teil der Stadt

Kleingärten in Berlin: Schrebergartenkolonie am Westkreuz. Foto: Imago/Schöning
Schrebergartenkolonie am Westkreuz. Foto: Imago/Schöning

In kaum einer anderen westeuropäischen Stadt nehmen die Kleingärten so viel Raum ein wie in Berlin.  Weder in London noch in Paris wird man – wie in Berlin in jedem Bezirk gleich vielfach – mitten in der City durch teils riesige Flächen mit Kleingärten spazieren können. Übrigens: Ganz im Gegensatz zu dem immer noch existierenden Image von Schrebergarten­kolonien als hermetische Rückzugsorte des kleinen, privaten Glücks, zählen Kleingärten in Wirklichkeit zu Berlins öffentlichen Grünanlagen. Zusammen mit Parks und Friedhöfen sollen sie als allgemein zugängliche Erholungsflächen sowie als Garanten für ein gesundes Stadtklima und der Artenvielfalt dienen. 


Refugien für Flora und Fauna

Imkerin steht in einem Schrebergarten inmitten eines Bienenschwarms. Foto: Imago/Frank Sorge
Imkerin steht in einem Schrebergarten inmitten eines Bienenschwarms. Foto: Imago/Frank Sorge

Kleingärten erfreuen in Berlin nicht nur die Menschen, die sich in ihren Lauben, beim Grillen und am Gemüsebeet etwas Erholung vom Alltagsstress holen, sie bilden auch ein wichtiges Biotop für die städtische Tierwelt. Vögel nisten in den Hecken und Bäumen, Bienen können hier ihrem Tagwerk nachgehen, Insekten finden die benötigten Schutzräume und auch Igel, Füchse und andere Säuger leben zwischen den Parzellen besser als in den Straßen, manchmal zum Ärger der Laubenpieper, die sie als fresswütige Konkurrenten wahrnehmen. Dank der Kleingärten haben die wild in Berlin lebenden Tiere aber in jedem Fall mehr Rückzugsräume.


Jackpot Kleingarten

Datschen auf der Havel, Liebesinsel. Foto: Imago/Shotshop
Datschen auf der Havel, Liebesinsel. Foto: Imago/Shotshop

Schon in den 1990er-Jahren begann ein Umdenken. Nach und nach galten die Kleingärten nicht mehr als Manifestation der Spießigkeit, wo Gartenzwerg und Deutschlandfahne dominieren. Immer mehr Migranten, junge, ökologisch-bewusste Familien und Gartenaktivisten begannen sich für die kleinen Grünflächen zu interessieren und änderten die soziale Zusammensetzung der Vereine. Doch die Parzellen sind begehrt, wer sich ein hübsches Fleckchen, wie etwa hier auf der Liebesinsel auf der Havel, gesichert hat, gibt es nicht so schnell her. Die Wartelisten für einen Kleingarten sind lang und oft muss man Jahre warten, bis man den Zuschlag bekommt.


Bedrohte Oasen

Kleingärten in Berlin: Planieren auf der A100-Trasse. In der Neuköllner Kolonie Stadtbär zwischen Kiefholzstraße und Dieselstraße wurden Bäume gefällt und Lauben abgerissen, Februar 2012. Foto: Imago/Thomas Lebie
Planieren auf der A100-Trasse. In der Neuköllner Kolonie Stadtbär zwischen Kiefholzstraße und Dieselstraße wurden Bäume gefällt und Lauben abgerissen, Februar 2012. Foto: Imago/Thomas Lebie

Immer wieder geraten Kleingärten in die Schlagzeilen, vor allem dann, wenn sie großen Bauvorhaben im Wege stehen. Dann gründen sich Initiativen und verärgerte Laubenpieper gehen mit Transparenten auf die Straßen, um ihre geliebten Lauben zu retten. Doch nicht selten folgt der Abriss, wie etwa hier, als 2012 die Neuköllner Kolonie Stadtbär der Verlängerung der Autobahn A100 weichen musste.


Kleingarten oder Wohnungsbau?

In Schmargendorf wurden 2016 etwa 150 von 300 Lauben in der Kleingartenkolonie Oeynhausen abgerissen. Die Laubenpieper mussten ihre Parzellen für den Neubau von Wohnungen räumen. Foto: Imago/Reiner Zensen
In Schmargendorf wurden 2016 etwa 150 von 300 Lauben in der Kleingartenkolonie Oeynhausen abgerissen. Die Laubenpieper mussten ihre Parzellen für den Neubau von Wohnungen räumen. Foto: Imago/Reiner Zensen

Grundsätzlich stellt sich Journalisten, Stadtplanern und Politikern immer wieder die Frage, nach der Verhältnismäßigkeit. Die Kleingärten nehmen relativ viel Fläche in Beschlag und das in einer Stadt, in der akuter Wohnungsmangel herrscht. Wo ein paar hundert Menschen sich während der Sommermonate an ihren grünen Oasen erfreuen, könnten Tausende ganz normal wohnen, so das Argument. 2016 musste eine Kolonie in Schmargendorf weg, damit dort Häuser entstehen konnten. Der kontroverse Journalist Ulf Poschardt nannte die Berliner Kleingärten einst die „Favelas von Berlin“ und forderte den kompletten Abriss aller Anlagen, auch wir haben die Problematik schon einmal diskutiert und wurden mit Kritik überschüttet.


Grüne Alternativen

Kleingärten in Berlin: Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofes Feld in dem mehrere hundert Menschen gärtnern und durchatmen. Gepflanzt wird in Kisten und Töpfen, nicht im Boden selbst, der möglicherweise verseucht ist. Die Wartelisten für ein paar Quadratmeter sind lang. Foto: Imago/Winfried Rothermel
Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofes Feld, in dem mehrere hundert Menschen gärtnern und durchatmen. Gepflanzt wird in Kisten und Töpfen, nicht im Boden selbst, der möglicherweise verseucht ist. Die Wartelisten für ein paar Quadratmeter sind lang. Foto: Imago/Winfried Rothermel

Tatsächlich entstanden in den letzten Jahren zahlreiche Alternativen im Stadtraum, die dem individuellen Kleingarten Konkurrenz machen. Gartenprojekte, Gemeinschaftsgärten und Nachbarschaftsgärten etwa. Auf dem Tempelhofes Feld wird in Hochbeeten gegärtnert, doch auch dort sind die Kisten heiß begehrt und die Konkurrenz groß. Der Städter sehnt sich nun einmal, nach ein wenig Grün.


Kleingarten für immer!

Kleingärtner in der Kolonie Kaulsdorfer Busch in Marzahn-Hellersdorf. Foto: Imago/Lars Reimann

Die Kleingärten gehören zu Berlin, das ist nun mal so. Eine Abschaffung würde eine gewaltige Wunde in die Stadt reißen. Die Idee, die vor mehr als 150 Jahren entstand, ist immer noch sinnvoll und richtig. Sie bietet Mensch und Tier einen Rückzugsraum, sorgt für ein ökologisches Gleichgewicht und kann auf eine Tradition zurückblicken, die sich nicht einfach so wegwischen lässt. Mit dem Berliner Umland haben wir aber zugleich ein gewaltiges Stück Natur gleich in der Nähe und es wird immer wieder Situationen geben, in denen auch harte Entscheidungen getroffen werden und Kleingärten der Abrissbirne zum Opfer fallen werden. Etwa für Schulen oder sozialen Wohnungsbau. So bleibt es ein Abwägen. Aber trotzdem sagen wir: Kleingarten für immer!

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Ausflüge in und um Berlin

Am Ufer grüßen Fischreiher und der 1. FC Union: Wir empfehlen den Wuhletal-Wanderweg. Sei kein Horst, geh in den Forst: Unsere Tipps für schöne Waldspaziergänge in Berlin findet ihr hier. Wenn die richtige Strecke nicht dabei ist, haben wir noch mehr schöne Spaziergänge in der Natur und in der Stadt für euch. Immer einen Besuch wert: die schönsten Parks in Berlin.

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