• Stadtleben
  • Den Kosmos erklärt: Der Planetariumsdirektor im Gespräch

Stadtleben

Den Kosmos erklärt: Der Planetariumsdirektor im Gespräch

Die „Lange Nacht der Astronomie“ macht den Blick ins All möglich. Am 19. Oktober könnt ihr ein kostenloses Angebot besuchen, diesmal sogar bundesweit. In Berlin ist es das Zeiss-Großplanetarium, das ein vielfältiges Programm präsentiert. Wir haben dazu mit Tim Florian Horn gesprochen, dem Direktor des Zeiss-Großplanetariums und Gründungsvorstand der Stiftung Planetarium Berlin. Im Interview spricht er über die „Lange Nacht der Astronomie“, seine Demut vor dem Universum – und erzählt, wieso der Blick aufs Weltall für die Gesellschaft so wichtig ist.

Planetariumsdirektor Tim Florian Horn leitet das Zeiss-Großplanetarium und die Archenhold-Sternwarte. © SPB, Foto: Bernd Jaworek

Planetariumsdirektor Tim Florian Horn über die „Lange Nacht der Astronomie“

tipBerlin Herr Horn, was war Ihr astronomisches Highlight in diesem Jahr?

Tim Florian Horn Bisher war für mich das größte Highlight, das erste Mal den neuen Kometen C/2023 A3 zu sehen. Seine Geschichte über die letzten Wochen und Monate zu verfolgen, wie er immer heller wird und besser zu sehen ist, war total spannend.

tipBerlin Erzählen Sie ein bisschen über die „Lange Nacht der Astronomie“. Wie gestaltet sich das Programm?

Tim Florian Horn Bisher hatten wir „Die Lange Nacht der Astronomie“ zehn Mal in Berlin mit wechselnden Orten vorgestellt: Im Park am Gleisdreieck oder auf dem Tempelhofer Feld. Das war immer sehr erfolgreich. Wir sind deshalb sehr glücklich, eine Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zu haben. Dieses Jahr ist es das erste Mal, dass wir die „Lange Nacht der Astronomie“ bundesweit durchführen dürfen. Bundesweit heißt, dass Planetarien und vor allem astronomische Institute mitmachen, die über die Astronomische Gesellschaft organisiert sind, und wir einen Livestream anbieten, zwischen dem einzelnen Einrichtungen hin und her schalten, sodass nicht nur die Leute, die zu uns oder zu den Einrichtungen kommen, sondern auch jeder von zu Hause an dieser Langen Nacht teilnehmen kann. Wenn es klappt, kann man sogar durch Teleskope den Kometen C/2023 A3 beobachten oder zum Saturn schauen. Durch Vorträge nähern wir uns der Astronomie, auch weltweit.

tipBerlin Wie können Interessierte die „Lange Nacht der Astronomie“ weltweit verfolgen?

Tim Florian Horn Über YouTube oder über unsere Internetseite „lange-nacht-der-astronomie.de“ kann jeder die Lange Nacht verfolgen und die Highlights der astronomischen Forschung erleben. Das, was hinter verschlossenen Türen, hinter den astronomischen Einrichtungen oder in den astronomischen Instituten alles passiert, wird hier als allerneuste Wissenschaft und Forschung vorgestellt, und das wirklich für alle in den teilnehmenden Einrichtungen, in den Planetarien, aber auch über den Livestream.

Es wird zu Hause auch keiner ein neues Auto erfinden. Aber in der Astronomie, mit den Teleskopen, die man als Amateur kaufen kann, können Sie selber Forschung betreiben. Wie genial ist das denn?

Tim Florian Horn, Direktor des Zeiss-Großplanetariums

tipBerlin Welche Expert:innen treten in dem Livestream auf?

Tim Florian Horn Das sind Kollegen und Kolleginnen von Planetarien, von Forschungseinrichtungen, aber auch von Volkssternwarten. Das ist das Besondere an der Astronomie. Man hat so viele, so unterschiedliche Teilnehmer der Spitzenforschung, die tolle Inhalte anbieten können, wo vielleicht nur fünf Leute weltweit dran arbeiten bis hin zu Volkssternwarten, wo Jugendgruppen selber beobachten und selber Bürgerwissenschaften betreiben. Das riesige Spektrum wollen wir damit zeigen.

tipBerlin Das ist dann auch das Ziel der „Langen Nacht der Astronomie“?

Tim Florian Horn Ja, genau. Jeder kann einen Einblick bekommen in die unglaublich tolle Forschung, die in Deutschland passiert und sehen: „Hey, das kann ich ja auch machen. Ich kann zum amateur-astronomischen Verein bei mir in Reutlingen oder in Neumünster gehen oder natürlich auch in Berlin, Potsdam oder Eberswalde. Ich kann selber Astronomie betreiben und kann sogar zur Erforschung des Kosmos etwas beitragen.“ Und in welcher Wissenschaft geht das? In der Chemie geht das eher schwer, sich zu Hause ein Labor einzurichten. Es wird zu Hause auch keiner ein neues Auto erfinden. Aber in der Astronomie, mit den Teleskopen, die man als Amateur kaufen kann, können Sie selber Forschung betreiben. Wie genial ist das denn?

Tim Florian Horn: „Wir sehen, dass das Universum anders funktioniert, als wir gedacht haben“

tipBerlin Was fasziniert Sie an der Astronomie?

Tim Florian Horn Eigentlich die Dimensionen, über die man so spricht in der Astronomie. Man wird ehrfürchtig vor der besonderen Rolle der Erde im Kosmos. Wir kennen ein paar tausend Exoplaneten. Planeten, die Sonnen umrunden. Keine zweite Erde. Das heißt, dass selbst der Blick nach draußen dazu führt, dass man zurückschaut im Perspektivwechsel auf die Erde und merkt: „Das hier ist ein genialer Ort, und diese Demut vor dem Universum empfinde ich als das Faszinierende in der Astronomie.“

tipBerlin Haben Sie sich deshalb für diesen Beruf entschieden?

Tim Florian Horn Ich würde sagen, dass mein Weg nicht ganz so gradlinig war. Ich kann mich erinnern, dass ich Astronomie als Hobby angefangen habe, weil ich mich erst für Flugzeuge interessiert habe und dann für die Raumfahrt. Dann haben wir in einem kleineren Vorort gewohnt, dort konnte man noch gut Sterne sehen. Ich habe dann mit zwölf Jahren angefangen, im Planetarium in Kiel in einer Jugendgruppe meine Freizeit zu verbringen und gemerkt, dass ich gerne Kommunikator zwischen der Forschung und der Allgemeinheit bin. Für mich ist ein Traum wahr geworden, weil ich erst Multimedia Production studiert habe. Ich war Produktionsleiter im Planetarium in Hamburg und Producer für Klima- und Erddatenvisualisierung am Planetarium in San Francisco. Danach habe ich dann nochmal Astronomie studiert. Also bin ich ein bisschen später in das eigentliche Thema zurückgekehrt und hier im Zeiss-Großplanetarium Direktor geworden, um meinen Wunsch zu erfüllen und Astronomie so zu präsentieren, dass sie einen Wert für unsere Gesellschaft hat. Das ist unheimlich spannend, wie viel neue Dinge entdeckt werden und was alles in der Astronomie in den letzten Jahren passiert ist. Darüber muss man sprechen, das muss man zeigen, und dieses Feuer möchte ich gerne weitergeben.

tipBerlin Was hat sich in der Astronomie entwickelt? Was ist herausragend für die Astronomie?

Tim Florian Horn Bis 1995 kannten wir nur ein Planetensystem, nämlich unseres. Jetzt kennen wir über fünfeinhalbtausend. Das ist herausragend. Durch neue Technik haben wir herausgefunden, dass jeder zweite Stern ein Planetensystem hat. Vorher wussten wir das nicht. Oder wir wissen über Gravitationswellen, die erstmals gemessen wurden, wie Schwarze Löcher miteinander verschmelzen. Wir suchen nach einer bestimmten Massengröße an Schwarzen Löchern. Die sind erst seit Kurzem entdeckt. Wir sehen, dass das Universum anders funktioniert, als wir gedacht haben. Wir reden über Dunkle Materie oder sogar Dunkle Energie. Wo wir nicht so richtig den Schimmer haben, was das eigentlich ist. Wir sehen aber, dass das Universum sich immer schneller ausdehnt. Also muss es sie ja geben. Das sind die großen Entdeckungen und Fragestellungen, die in den letzten Jahrzehnten dazugekommen sind. Denn mit jeder Frage, die man beantwortet, kommen zehn neue. So ein bisschen wie eine Job-Security (lacht).

Aber nichtsdestotrotz unheimlich spannend. Weil wir dadurch unseren Platz im Kosmos viel besser verorten können. Was ich eingangs auch sagte, diesen Wert unserer Erde auch immer noch besser zu verstehen. Wir gucken nach draußen und merken irgendwann, dass wir auch zurückschauen müssen auf diesen Planeten. Und das aus der Astronomie quasi als Wert mitzunehmen und die Einmaligkeit der Erde. Das war für mich als 12- oder 14-jähriger eine riesige Erkenntnis und das ist jetzt 30 Jahre her (lacht). Und trotzdem ist das mein täglicher Ansporn, einen guten Job zu machen und gut zu kommunizieren.

tipBerlin Was macht Ihnen am meisten Spaß an dem Beruf?

Tim Florian Horn Tagesaktuell neue Erkenntnisse in die Planetarien bringen. Dass es die Möglichkeit gibt, durch die digitale Technik in den Planetarien Forschungsergebnisse unmittelbar zu visualisieren und zu präsentieren. Wenn ich in meinem Vortrag das zeigen kann, dann bringt das unheimlich Spaß und dabei oftmals die Reaktion der Kinder zu sehen, die bei uns vielleicht zum ersten Mal einen richtigen Sternenhimmel sehen. 300 Kinder, die staunen. Es gibt eigentlich nichts Schöneres.

tipBerlin Was ist aktuell eine Herausforderung in der Astronomie?

Tim Florian Horn Ich glaube, die größte Herausforderung ist gerade, verschiedene Theorien miteinander zu vereinen. Wir haben für Teilbereiche der Physik wunderbare Erklärungen. Gravitation zum Beispiel, wenn wir Richtung Einstein schauen. Aber um die vielen Naturkräfte vernünftig zu erklären, müsste man eine vereinheitlichte Theorie entwickeln. Da knobeln Hunderte von Wissenschaftler:innen seit Jahrzehnten daran, die Naturkräfte wirklich im Innersten zu verstehen und zu verstehen, was das Universum im Innersten zusammenhält. Um ein bisschen Goethe da drin zu lassen (lacht).

Wenn wir wirklich die einzigen einigermaßen intelligenten Lebewesen im All sind, dann sollten wir uns nicht über Fußball oder über Religion streiten oder Kriege führen.

Tim Florian Horn, Direktor des Zeiss-Großplanetariums

tipBerlin Warum ist der Mensch so fasziniert vom Weltraum?

Tim Florian Horn Es scheint ein archaisches Gefühl zu sein, unterm Sternenhimmel zu stehen und eine gewisse Größe und Einmaligkeit zu spüren. Das ist ein hochemotionales Erlebnis, unter einem Sternenhimmel zu stehen. Genauso wie wir uns fühlen, wenn wir in einer wunderschönen Natur stehen. Das macht was mit uns. Gerade die Astronomie, gerade der Blick in den Kosmos wirft große Fragen auf. Wie ist das alles entstanden? Sind wir allein im Kosmos? Was ist mein Platz in all diesem großen Ganzen? Gerade unter Corona merkte man die Veränderungen bei vielen unserer Gäste und auch die Fragen, die wir bekommen haben bei unseren Livestreams. Viele haben neu überlegt, wo sie hin wollen im Leben. Und wir sehen nach Corona, dass unsere Besucherzahlen explodiert sind. Weil viele eine neue Heimat oder eine neue Orientierung suchen. Und das kann der Blick in die Sterne gut geben. Früher war es die Navigation und die Zeitmessung. Heute ist es eher das Gefühl, ich gehöre zu einem guten Universum. Ich darf auf einer wunderbaren Erde leben.

tipBerlin Manchmal kann die Vorstellung vom All aber auch beängstigend sein.

Tim Florian Horn Es kann beängstigend sein. Deswegen ist das, was Sie heute hier in unseren Planetarien und Sternwarten erleben oder auch bei der „Langen Nacht der Astronomie“ genau andersherum. Ich erinnere mich daran, als ich das erste Mal im Planetarium Hamburg war. Da wurde genau dieses Gefühl befeuert. Die Erde ist klein. Das Sonnensystem ist klein. Die Milchstraße ist nur eine von zig Milliarden und du lieber Gast bist ganz ganz klein. So ging ich da mit zwölf raus und dachte: „Nee. Das ist eigentlich andersherum.“ Das versuchen wir hier auch darzustellen. Das ganze Universum hat daran gearbeitet, dass wir hier heute zusammensitzen, dass Menschen zur Langen Nacht kommen, dass sie mit der BVG durch die Stadt fahren. Ich sage jetzt nicht, das ganze Universum sei dafür da gewesen, dass wir hier sitzen. Aber ich glaube, dass wir als Statthalter im Kosmos diesen Wert auch ruhig leben dürfen. Wenn wir wirklich die einzigen einigermaßen intelligenten Lebewesen im All sind, dann sollten wir uns nicht über Fußball oder über Religion streiten oder Kriege führen.

Wir hatten am 8. Oktober die Aktionswoche gegen Antisemitismus. Wir haben eine Veranstaltung im Kino gemacht und ich habe versucht, das kosmisch einzuordnen. Ich habe ein Satellitenbild von Gaza und Israel ohne Grenzen gezeigt und habe gesagt, das war dieser Teil der Welt vor dem 7. Oktober und dann habe ich dasselbe Bild nochmal gezeigt und gesagt und das war die Welt, aus dem All gesehen, nach dem 7. Oktober. Es gab keine Veränderung. Denn aus der kosmischen Perspektive sind die Grenzen, die wir zeichnen nur in unseren Köpfen. Über was streitet man sich denn? Oder über was ärgert man sich? Das ist doch ein riesiges Geschenk, dass wir hier sein dürfen.

Planetariumsdirektor Tim Florian Horn und das Zeiss-Großplanetarium

tipBerlin Was ist momentan so los im Zeiss-Großplanetarium?

Tim Florian Horn Wir sehen auch in diesem Jahr sehr gute Besucherzahlen, gerade auch in den Kinderprogrammen. Wir haben ganz viele sogenannte live moderierte Veranstaltungen. Wir können auf die Fragen der Kinder eingehen. Das sind große Erfolge mit Raketen, Planeten, Raumschiffen, der Erde, der Sonne, dem Mond und den Sternen. Es bringt wirklich großen Spaß sowas zu machen, wenn ich ehrlich bin und das werden wir ausbauen mit einem neuen Kinderprogramm. Dann im kommenden Jahr hier und auch an der Archenhold-Sternwarte werden wir nach und nach die Ausstellung ausbauen. Diese wird heißen „Das Universum zum Anfassen“. Sie dürfen also ganz viel selbst machen. Kinder dürfen selbst durchs All fliegen, Meteoriten anfassen und Schwarze Löcher simulieren. Wir wollen, dass die Astronomie mit unseren Angeboten auch für Erwachsene, zum Beispiel mit der täglich stattfindenden „Sternstunde“, im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar wird.

Das Programm für die „Lange Nacht der Astronomie“ findet im Zeiss-Großplanetarium statt. Foto: Natalie Toczek

tipBerlin Das Planetarium bietet auch Wissenschaftstheater an. Was ist die Idee dahinter?

Tim Florian Horn Die Idee ist, dass die Darstellungsmöglichkeiten, die wir im Planetariumssaal haben, nicht nur auf Astronomie beschränkt sein sollten, sondern wir jedwede Wissenschaft präsentieren können und das auch nach und nach machen in unserem Programm. Das wir uns vom Sterntheater zum Wissenschaftstheater weiterentwickeln. Das heißt nicht, dass wir dort Atome tanzen lassen, sondern dass wir Ihnen hier im Haus Fotosynthese erklären, oder Plattentektonik und es auch nutzen, um soziale Zusammenhänge zu visualisieren. Die man auf dem Blatt Papier oder im Schulbuch nicht versteht, sondern wo man im wahrsten Sinne des Wortes die Daten durchdringen muss. Das ist unsere Idee des Wissenschaftstheaters.

tipBerlin Wie kommt das Wort Wissenschaftstheater zustande?

Tim Florian Horn Theater ist es, wenn es orchestriert und kuratiert ist. Die Hauptaufgabe in der Wissenschaftskommunikation ist es, glaube ich, eine Sprache zu finden, eine Inszenierung zu finden, die ästhetisch ansprechend und wissenschaftlich korrekt ist. Das ist das, was ich mit Wissenschaftstheater meine. Es muss Spaß bringen dürfen, zu lernen.

Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, Herr Horn.

  • Lange Nacht der Astronomie im Zeiss-Großplanetarium Außengelände und Planetariumssaal, Prenzlauer Allee 80, Prenzlauer Berg, Sa 19.10., 17–1 Uhr, Einlass ab 16.30 Uhr, kostenlos, alle Veranstaltungen rund um die „Lange Nacht der Astronomie“ findet ihr hier

Mehr zum Thema

Wollt ihr noch mehr über Astronomie erfahren? Dann informiert euch hier über das Zeiss-Großplanetarium. Den Sternen so nah: Hier schreiben wir über die Stiftung Planetarium Berlin. Ihr habt noch nicht genug von Sternen? Hier findet ihr Orte in Berlin und Brandenburg, an denen ihr in den Sternenhimmel blicken könnt. Oder ihr schaut euch Berlin von begehbaren Dächern an. Noch mehr Tipps für schöne Stunden in und um Berlin bietet unsere Rubrik für Ausflüge. Ihr wollt lieber etwas drinnen unternehmen? Hier findet ihr alles über unsere aktuellen Ausstellungen.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin