Endlich wieder Leben im Bierpinsel: Im Oktober wurde das Steglitzer Baudenkmal kurzzeitig besetzt. Die Aktivist:innen protestieren gegen anhaltenden Leerstand in Berlin. Die Aktion erinnert daran, dass es allerhöchste Zeit für die Wiedereröffnung des Bierpinsels ist.
Unsere Autorin wuchs auf mit dem Anblick des futuristischen, rot gestrichenen Betonbaus – doch erlebte das Gebäude nie in Betrieb. Dabei ist es ein Wahrzeichen des Bezirks. Und bietet so viel Potential: Verständlich, dass die Besetzer:innen im Bierpinsel von einem besseren Berlin träumen. Ein Kommentar.

Als Kind hatte ich zwei Anhaltspunkte, die mir gezeigt haben, wo zuhause ist. Nach denen ich Ausschau hielt, um mich vom Teufelsberg aus zu orientieren, oder um beim Ausflug auf den Fernsehturm mit Verwandten zeigen zu können, „guckt, da wohnen wir!”. Es waren zwei Gebäude, nach denen ich vom Rücksitz des Autos auf der Heimfahrt einer Reise spähte, um zu wissen, „gleich haben wir’s geschafft”. Das eine war ein niemals fertiges Hochhaus, der sagenumwobene Steglitzer Kreisel, und das andere war, nun ja, es war ein Klotz. Ein Klotz aus Beton, rot angestrichen, unförmig, ungelenk und doch wahnsinnig liebenswert. Der Bierpinsel.
Zunächst beschäftigte mich der Name: Mit sieben, acht Jahren wusste ich wenig über Bier und noch weniger darüber, was für Ausstattung man rund ums Biertrinken – und wozu man dabei einen Pinsel gebrauchen würde. Ich wusste nur, dass meine Malpinsel anders aussehen und dass mir der Name irgendwie gefällt. Was ich erst später lernte, war, dass meine zwei Ankerpunkte zu der Zeit einfach leere Hüllen waren, und das buchstäblich: Die prägnanten Bauten standen leer – der Inbegriff verpasster Chancen.
Ungenutztes Potential: Der Bierpinsel steht seit Jahrzehnten leer
Denn während meine Eltern sich größte Mühe gaben, zu beantworten, „was da drinnen ist”, konnten sie mir das nie endgültig erklären, weder beim Steglitzer Kreisel noch beim Bierpinsel. Sie erzählten dann von früheren Zeiten, wo dort eine Bar gewesen sei, und sprachen in dem leicht sehnsüchtigen Tonfall, den sie immer dann anschlagen, wenn sie von den 80ern, Hausbesetzungen oder ihrer Jugend sprechen, allesamt Dinge, die für mich damals abstrakt und demnach schwer vorstellbar waren. Wann immer sie diesen Tonfall nutzten, verstand ich, auch ohne den Inhalt zu verstehen: Das ist lange her.
Und was ist seit den 80ern passiert? Ich lernte früh das Wort „Asbest”, und ich lernte, dass es reich machen kann, Häuser zu besitzen, sie aber nicht zu nutzen. Ich verstand, dass einige Menschen sowas wie Monopoly spielen, aber eben nicht wie ich auf dem Spielbrett, sondern in echt – und dass auch dabei oft genug geschummelt wird.
Die Besetzung des Steglitzer Bierpinsels – mehr Symbolik als Wirkung
Der aktuelle Besitzer des Bierpinsels hingegen scheint durchaus ambitionierte Pläne zu verfolgen und das Gebäude nicht als Teil eines fragilen Immobilienimperiums zu halten. Anscheinend sind es tatsächlich nur Verwaltungshürden, die der Wiederbelebung ihren Schwung rauben. Doch das nun schon seit etwa 20 Jahren.
Jetzt, als junge Erwachsene, verstehe ich deshalb, warum mein ach so geliebter Bierpinsel viele Berliner:innen frustriert: Er trifft genau dort, wo es wehtut. Weil er unübersehbar selbstbewusst leer steht, mitten in einem Kiez, der Wohnraum und Kultur begehrt. Der Bierpinsel erinnert täglich, fast brutal offensichtlich, daran, dass Berlin das ja bieten „könnte”, aber einfach nicht hinkriegt.
So war es wohl ein Akt der Verzweiflung (gepaart mit ein wenig Hoffnung), als vor einigen Wochen Aktivist:innen – ganz im Sinne der 80er – den Bierpinsel besetzten. Sie forderten dessen gemeinschaftliche Nutzung und mehr „unkommerzielle Treffpunkte für den Kiez“. Tatsächliche Beschlagnahmungs- und Coup-Intentionen sind dabei wohl zweitrangig, relevanter die anvisierte Signalwirkung. Die Besetzung ein Weckruf, dass es Platz gibt, mitten in der Stadt, der genutzt werden will.
Die Besetzung des Bierpinsel ist ein Akt der Verzweiflung
Doch Besitzer Götz Fluck hält fest an seinen, zwar plausiblen, aber schwerfälligen Plänen: Eine Sanierung (dringend notwendig) und Installation von Räumlichkeiten für die FU und Büroflächen (weniger dringend notwendig). Im obersten Stockwerk, plant er immerhin einen Gastrobereich (im Idealfall mit Dachterrasse), damit das Gebäude öffentlich zugänglich ist. Runde Restaurants mit Weitblick haben in dieser Stadt Tradition – man denke nur an den Fernsehturm. Auch der Bierpinsel beherbergte einst ein legendäres Turmrestaurant, doch bisher fehlt der nötige Druck, um eine Neueröffnung in absehbarer Zeit zu ermöglichen. Stattdessen prognostizieren Bezirk und Besitzer mit Verweis auf Bedingungsgefüge und ausstehende Baugenehmigungen eine Eröffnung in etwa vier Jahren und bleiben in ihren Äußerungen sicherheitshalber vage.
Büroflächen im Bierpinsel? Da ist noch Luft nach oben
In dem futuristischen Bauwerk steckt einiges an Potential, das erkennen gerade jene, die das Gebäude besetzten. Sie wünschen sich ein Gemeinschaftszentrum. Doch auch ein begrünter Betonbau wäre denkbar, könnte wie in New York das „Little Island” zum öffentlichen Park werden. Inspiriert vom Hamburger Uebel & Gefährlich – ein Club, der in einem oberen Stockwerk im gewaltigen Flakbunker an der Feldstraße untergebracht ist – liegen auch Vorstellungen von einem Club mit Panoramablick nicht fern.

Doch das Gebäude ist nicht im Besitz der Stadt, sondern gehört eben einem Unternehmer. Und jener verweist gerne auf bauliche Besonderheiten, wenn es um große Visionen für die Nutzung geht. Genauso kommen diese ins Spiel, wenn er in Erklärungsnot gerät: Warum der Wiederbelebungsprozess nicht ins Rollen käme. Und warum er nicht auf die Forderungen kultureller Nutzung einginge. Mit Blick auf die Besetzer:innen sagt Fluck: „Die Aufrufer der Demonstration sind vielleicht nicht ausreichend über die Möglichkeiten informiert, die dieses Gebäude darstellt.“ Dennoch gesteht er in einem anderen Interview, er selbst habe hier schon „rauschende Feste gefeiert”. Möglich scheint es also doch zu sein. Außerdem wird man ja wohl noch träumen dürfen.
„Bierpinsel für alle” stand bei der Besetzung auf den Bannern. Und selbst wenn ich bis heute nicht weiß, was das Wort „Bierpinsel“ nun wirklich heißt, so meine ich, dass es in diesem Fall Berlin bedeutet. Heute kann ich mich auch ohne Ankerpunkte in der Stadt orientieren, aber ich liebe ihn trotzdem, den Bierpinsel. Ungenutztes Potential bietet eben viel Raum für Träumereien: Allzu oft liebt man nicht den Ist-Zustand, sondern das, was sein könnte.
Manche zählen den Bierpinsel zu den Berliner Bausünden, wir haben ihn dagegen in unsere Liste von 12 Architektur-Höhepunkten der Stadt aufgenommen. Einst befand sich darin das Turmrestaurant. Hier zeigen wir euch legendäre Restaurants von Ost- und West-Berlin: Von Bierpinsel bis Fernsehturm. Der zweite Problembau, den man bei der Fahrt in den Berliner Süden sieht: Der Steglitzer Kreisel – ein Hochhaus mit Hindernissen. Aber die Gegend hat auch viel Positives zu bieten: Hier sind 12 Gründe, um jetzt nach Steglitz zu fahren. Ihr wollte mehr über die Hausbesetzungsszene in Berlin erfahren? Lest hier die Geschichte der besetzten Häuser Berlins: 12 Adressen vom Rauch-Haus und Köpi über Liebig 14 und 34 bis zur Rigaer 94. Die Bierpinsel-Besetzung war nicht von Dauer. Aber Leerstand wird zunehmend zur Zwischennutzung freigegeben. So auch im Steglitzer Kreisel. Konzepte zur Zwischennutzung könnte sich auch Inhaber Fluck vorstellen. Also: Vielleicht gibt es doch ein bisschen Hoffnung. Mehr Hoffnungsschimmer und Tagestipps immer in unserem Newsletter.


