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Interview

medien.barometer: So geht es der Kreativbranche der Hauptstadtregion

Das medien.barometer ist eine jährliche, repräsentative Umfrage unter den Medien- und Kreativunternehmer:innen der Hauptstadtregion. Gerade ist es neu für 2021/22 erschienen – und bietet einige Überraschungen. Durchgeführt wird diese Umfrage vom medianet berlinbrandenburg, dem Netzwerk-Verein der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft in Berlin und Brandenburg.

Wir sprachen mit mit Jeannine Koch, der Vorstandsvorsitzenden des medianet berlinbrandenburg, über zwei Jahre im Krisenmodus, die schwierige Lage der Veranstaltungsbranche, neue Geschäftsmodelle, schmerzliche Rückstände bei der Digitalisierung, eine erstaunliche Zufriedenheit in der Kreativbranche mit dem Geschäftsklima – und warum jetzt die richtige Zeit für alle ist, die schon immer zum Film wollten.

Das Gespräch wurde per Videoschalte geführt.

medien.barometer: Die Filmbranche sucht dringend Leute! Filmdreh an der Moltkebrücke direkt an der Spree in Berlin-Mitte am 25.3.2021. Foto: Imago/Bernd Elmenthaler

medien.barometer: 57 Prozent der Unternehmen sind zufrieden

tipberlin Frau Koch, vor ziemlich genau einem Jahr sind Sie als Vorstandsvorsitzende des medianet berlinbrandenburg ins Amt gekommen, mitten in der Pandemie. Wie war denn das erste Jahr so für Sie?

Jeannine Koch Das erste Jahr war wild, turbulent, aufregend, spannend, ambitioniert. Alles gleichzeitig! Und weiterhin im Krisenmodus!

tipBerlin Was genau ist das medianet berlinbrandenburg?

Jeannine Koch Wir sind ein Netzwerk-Verein der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft in der Hauptstadtregion. Das Cluster IKT beinhaltet vor allem die Filmwirtschaft, die Rundfunkwirtschaft, die Software- und Games-Industrie, IT-Dienstleister, den Presse- und Journalismus-Markt, die Telekommunikation. Dazu gehören aber auch die Darstellenden Künste, die Musikwirtschaft, ein Teil der Veranstaltungsbranche.

medianet-berlinbrandenburg-Vorstandschefin Jeannine Koch: „Das erste Jahr war wild“. Foto:  Emily Timm / Die Hoffotografen

tipBerlin Jetzt erscheint das neue medien.barometer des medianet. Was hat es damit auf sich?

Jeannine Koch Das medien.barometer ist eine seit 2004 jährliche repräsentative Umfrage unter den Medien- und Kreativunternehmer:innen in Berlin-Brandenburg mit wechselnden Schwerpunktthemen. Wir stellen darin Fragen zur Unternehmenszufriedenheit, zur Umsatzerwartung, zur Personalentwicklung. Und wir ermitteln den Geschäftsklimaindex, der uns sagt: Wie gut ist die Stimmung unter den Unternehmer:innen?

Das Geschäftsklima in der Kreativbranche hat sich wieder erholt: „Wirklich fulminant“

tipBerlin Im vergangenen Jahr haben Sie beim Geschäftsklimaindex mit 103 Punkten einen Tiefststand seit Beginn der Messungen verzeichnet. Wie sieht es jetzt aus?

Jeannine Koch Wir sind sehr froh, dass wir dieses Jahr wieder bei 141,9 Punkten liegen. Das ist wirklich fulminant.

tipBerlin Was bedeutet das konkret?

Jeannine Koch 57 Prozent der Unternehmen, die wir befragt haben, sind mit dem Geschäftsverlauf im Vergleich zum Vorjahr zufrieden bis sehr zufrieden. Vergangenes Jahr waren das nur 40 Prozent. Und 2019 waren wir bei 63 Prozent. Wir sind bei der Zufriedenheit also schon fast wieder beim Vorkrisen-Niveau.

tipBerlin Erstaunlich. Gefühlt war doch 2021 ein Krisenjahr wie 2020, dem ersten Corona-Jahr. Wie erklären Sie sich dieses Comeback?

Jeannine Koch Ich glaube, dass sich die Unternehmerinnen und Unternehmer ein bisschen an die Umstände angepasst haben. Zwei Jahre im Krisenmodus heißt ja auch: Innovationen, neue Geschäftsmodelle entwickeln. Zudem halfen einige unterstützende staatliche Hilfen bei der Balance.

Krise der Veranstalter und Clubbetreiber: „Einschnitte sind spürbar“

tipBerlin Die Veranstaltungsbranche allerdings hatte beispielsweise unter der Krise stark zu leiden.

Jeannine Koch Überhaupt die Musikbranche an sich. Und zu der Veranstaltungsbranche gehören ja die Clubbetreiber. Auch die Gastronomie. Das sieht man natürlich auch an der Umfrage. Insbesondere die Musikbranche ist sehr unzufrieden, es finden keine Aufführungen mehr statt. Das hat weitreichende Auswirkungen. Darüber generieren diese Unternehmen Einnahmen: über das Konzert an sich, aber auch über Merchandising, den Verkauf von Produkten, über Gema-Lizenzen. Und diese Einschnitte sind spürbar.

tipBerlin Der Bericht benennt die Digitalisierung als Innovationstreiberin. Das Thema kommt mir jetzt nicht mehr so ganz neu vor.

Jeannine Koch So ein richtiger Trend ist das ja nun wirklich nicht mehr, Digitalisierung begleitet uns ja nun bereits im dritten Jahrzehnt. Aber das wird jetzt noch stärker sichtbar, in den Bereichen New Work, Remote Work; da geht es im digitale Meetings, aber vor allem auch um Kollaborationstools – also Software, die im großen Maßstab Einzug hält. Und die Digitalisierung der Unternehmensprozesse und Geschäftsmodelle. 

Die Kreativwirtschaft braucht neue Aus- und Weiterbildungen

tipBerlin Wo hakt es dabei? 

Jeannine Koch Man sieht einen Negativeffekt beim Fachkräftemangel: Jetzt wird immer stärker sichtbar, dass der Aus- und Weiterbildungsmarkt für die neuen Jobs, die die Wirtschaft jetzt benötigt, noch gar nicht vorbereitet ist. Wir brauchen eine Anpassung von Aus- und Weiterbildung, von Studiengängen, die am Markt orientiert sind. Dabei ist nicht nur die Digitalisierung Innovationstreiberin, sondern auch der demografische Wandel. Der ist ein Riesenthema in den nächsten Jahren.

tipBerlin Wir reden also von der Ausbildung der jungen Menschen, aber auch von der Weiterbildung oder Umschulung der Generation um die 40?

Jeannine Koch Bedingt durch die Pandemie mussten sich ja viele als Quereinsteiger:innen umschauen: Wo geht’s jetzt weiter? Speziell in der Veranstaltungsbranche. Die haben wir dann zeitweise im Impfzentrum gesehen. Aber das ist natürlich nur eine temporäre Lösung. 

Impfzentrum im ICC: Aus der Veranstaltungsbranche kamen viele in den Impfzentren unter. Foto: Imago/Stefan Zeitz

tipBerlin Welche Lösung ist dauerhafter?

Jeannine Koch Der Filmmarkt beispielsweise hat unglaubliche Schwierigkeiten, die Produktionen zu besetzen. In der Filmbranche wird wie wild produziert, national, international, aber es gibt plötzlich zu wenig Menschen, um diese Produktionen zu stemmen. Das heißt, auch dort entwickeln sich neue Weiterbildungsangebote, wo Interessierte umsatteln können.

Die Filmbranche sucht händeringend Leute

tipBerlin  Also wer schon immer zum Film wollte: Jetzt ist die richtige Zeit dafür!

Jeannine Koch Absolut! Die Filmleute suchen händeringend!

Tip Berlin  Was denn zum Beispiel? Setfahrer, Nebendarsteller?

Jeannine Koch Es geht eher um so genannte Line-Producer, Setdesigner, Ausstatter, Tontechniker. All diese Menschen hinter den Kulissen. Da wird viel gesucht.

tipBerlin Man hört jetzt oft, wir sollten die Krise auch als Chance verstehen. Aber hätte es die Corona-Krise wirklich gebraucht, um der Digitalisierung endlich den überfälligen Schub zu geben!

Jeannine Koch Offenkundig haben wir die Krise gebraucht, um die Notwendigkeiten viel stärker sichtbar zu machen. Digitalisierte Verwaltung, Breitbandausbau, Glasfaser: Das sind alles Dinge, die noch überhaupt nicht gelöst sind. Die wurden jetzt schmerzlich sichtbar, aber deswegen sind wir da ja noch nicht weiter. Ich erinnere nur an die digitalen Lernplattformen, die beim Homeschooling mit den Kindern letztes und vorletztes Jahr das eine oder andere Mal zusammengebrochen sind.

tripBerlin Sagten Sie gerade „Lernplattform“? Meine Breitbandverbindung ist gerade kurz mal zusammengekracht!

Jeannine Koch Sehen Sie (lacht). Ich zum Beispiel lebe in Moabit und habe den schlechtesten Handy-Empfang in ganz Berlin! Obwohl ich quasi direkt neben dem Kanzleramt wohne. Das ist schon ein bisschen absurd.

tipBerlin Laut Barometer haben rund acht Prozent der befragten Unternehmen in der Krise ein neues Geschäftsmodell aufgebaut. Was heißt das?

Jeannine Koch Dinge, die man in der Pandemie besser machen kann als Veranstaltungen. Manche haben auf Consulting umgesattelt. Oder sie haben digitale Formate entwickeln, Streaming-Angebote. Andere haben im Bereich E-Commerce ein neues Geschäftsmodell entwickelt. Oder neue Apps. Dinge, die im digitalen Raum gebraucht wurden. Da haben viele die Gunst der Stunde genutzt.

Wie nachhaltig ist die Erholung des Geschäftsklimas?

tipBerlin Zurück zur Erholung des Geschäftsklimaindex. Wie belastbar ist diese Erholung? Derzeit lassen wir ja die Omikron-Welle durchrauschen und hoffen zumindest auf einen erneut ruhigen Sommer, was die Pandemie betrifft.

Jeannine Koch Lassen Sie mich kurz in meine Glaskugel schauen… (lacht) Ich denke, dass die Erholung eine Aufbruchsstimmung zeigt, eine erfolgte Anpassung an die Situation. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass dieser Transformationsprozess und die damit verbundene Erholung durchaus Bestand haben kann, weil ich glaube, dass die einzelnen Branchen viel agiler geworden sind in ihrer Umsetzung von neuen Ideen und Geschäftsmodellen. Man muss natürlich auch sagen: Es gibt weiterhin viele staatliche Hilfen – Überbrückungshilfe 4, die Neustarthilfe, es gibt weiterhin Förderungen. Und es wird weiterhin viel staatliche Unterstützung nötig sein. Gerade auch bei den Selbstständigen.

tipBerlin Welche Erwartungen haben Sie dabei an die Politik, an die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP?

Jeannine Koch Dass sie sich vor allen Dingen den wirklich gebeutelten Branchen annimmt, ein Ohr für ihre Anliegen hat. Und dass sie versteht, dass gerade mit der Kultur- und Kreativwirtschaft, für die unser Netzwerk ja steht, zu wenig passiert ist an vielen Stellen – und es da eine Perspektive geben muss, die über Tanzverbote und Ausschankverbote hinaus geht. Ich verspreche mir von der neuen Bundesregierung, dass sie einen Dialograum eröffnen dafür, in dem es langfristig möglich sein wird, sich genau über solche Themen konstruktiv auszutauschen. Auf Landesebene laufen bereits viel Gespräche in diese Richtung.

Jeannine Koch: „Wir wollen auch mit dem Wirtschaftssenator reden“

tipBerlin Mit wem redet man denn in Berlin da? Der Kulturverwaltung? Der Wirtschaftsverwaltung? Da gibt es ja einige Möglichkeiten.

Jeannine Koch Die jetzige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat schon vergangenes Jahr, vor der Wahl, zu intensiven Gesprächen mit der Kulturbranche geladen, da war ich auch dabei. Aber es ist eine wichtige Frage, die Sie da stellen. Wir wollen nicht nur mit der – in Anführungsstrichen – Kultur reden, sondern auch mit dem Wirtschaftssenator. Denn die Kreativbranche ist ein großer Umsatzbringer für Berlins Wirtschaft. 2019 waren das 51,6 Milliarden Euro. Das ist nicht zu unterschätzen.

tipBerlin Auf welche Veranstaltungen freuen Sie sich eigentlich 2022 in Berlin persönlich – und hoffen, dass die dann auch stattfinden?

Jeannine Koch Ich liebe Musik und gehe wahnsinnig gern auf Konzerte, die fehlen mir sehr! Deswegen freue ich mich jetzt auf viele Konzerte, angefangen von Kaleo über Kings of Convienience bis zu dem Komiker Teddy. Und die Karten für die Beatsteaks habe ich auch noch!

  • Zur Person Jeannine Koch, 41, ist seit Januar 2021 Vorstandsvorsitzende des medianet berlinbrandenburg e.V., dem Netzwerk der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft der Hauptstadtregion. Die gebürtige Köpenickerin und diplomierte Medienberaterin, die zwischenzeitlich auch mal in Australien lebte, kam von der Digital- und Gesellschaftskonferenz re:publica, die sie als Direktorin verantwortete. Davor war sie u.a. Marketing- und Kommunikationsleiterin der IGA Berlin 2017.
  • Das media.barometer 2021/22 ist ab dem 9. Februar auf der Webseite des medianet berlinbrandenburg e.V. zu finden.

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In und um Berlin wurden zahlreiche internationale Filme und Serien gedreht: Hier zeigen wir euch 12 sehr bekannte Beispiele dafür. Auch Game-Designer gehören zur Berliner Kreaktivwirtschaft: In diesen 12 Spielen wird die Hauptstadt digital. Und natürlich schaut besonders die Filmbranche auch auf die Berlinale. Hier sind einige Highlights der Filmfestspiele. Und alles, was ihr über das Berliner Filmfestival wissen müsst, findet ihr natürlich im aktuellen tipBerlin – jetzt am Kiosk und jederzeit in unserem Webshop zu finden. Was Berlin sonst noch im Stadtleben umtreibt, findet ihr als Überblick in unserer Stadtleben-Rubrik.

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