Nachhaltigkeit und Museen, wie passt das zueinander? Stefan Simon ist Nachhaltigkeitsexperte der Staatlichen Museen in Berlin, der habilitierte Chemiker und Konservierungswissenschaftler leitet das Rathgen-Forschungslabor. Im Interview spricht er über den Klimawandel, den Nachholbedarf des Museumsbetriebs, seine Sympathien für die jungen Klimaaktivisten und eine Zukunft, in der Kulturgüter bei sozialen Unruhen geplündert werden könnten.
tipBerlin Herr Simon, schon im Sommer 2022 hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth dazu aufgerufen, dass Museen in Deutschland Energie sparen sollen. Der Hintergrund war der Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen auf die Energieversorgung. In diesem Winter sind die Importengpässe noch immer ein Problem. Gibt die Energieknappheit der Debatte um mehr Nachhaltigkeit in Museen einen Schub?
Stefan Simon Ja, die aktuelle Energiekrise stärkt das ökologische Bewusstsein im Museumsbetrieb. Ich sehe diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lange Zeit haben meine Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit kaum jemanden interessiert. Jetzt vergeht – wegen der aktuellen Lieferengpässe beim Gas und anderen Energieträgern – kaum ein Tag ohne Anfrage von Medienvertretern und Museumsverbänden zur Frage, wie beispielsweise Museen sparsamer mit ihren Ressourcen umgehen können. Dabei ist die Dramatik der Klimakrise unabhängig vom Notfallplan Gas längst Realität. Gleichzeitig hat Deutschland als langjähriger Großemittent von CO2 eine historische Verantwortung, eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen die Klimakrise einzunehmen.
tipBerlin Vorausgesetzt der Fall, Sie könnten Ihre Wünsche verwirklichen: Wie sähe Ihr grüner Leitfaden für die Staatliche Museen aus?
Stefan Simon Zuallererst sollte man auf Neubauten nach Möglichkeit verzichten. Das beste neue Museum ist das, was man nicht baut. Ich weiß, dass das gerade Architekten sicher nicht gerne hören. Falls man doch baut, sollte die Bauphilosophie eine grundlegend andere sein. Das Gebäude selbst muss zur primären Kontrollinstanz für die konservatorisch notwendige Stabilisierung des Innenraumklimas werden. Bei der Erstellung des Konzepts, der Auswahl von Materialien müssen ganz andere Wege beschritten werden – Stichwort sind „cradle to cradle“, Verkleinerung von Klimakompartimenten sowie eine Begrenzung des Austausches mit dem Außenklima. Im Bestand kann man auch viele verbessern. Nehmen wir die Museumsinsel, Weltkulturerbe der UNESCO seit 1999: Benötigt das dortige Pergamon-Museum wirklich den Betrieb einer hochtechnisierten Klimaanlage, die Unmengen von Energie frisst? Ich habe Zweifel.
tipBerlin Welche Einrichtung der Staatlichen Museen hat eigentlich eine gute Klimabilanz?
Stefan Simon Es lässt sich nur schwer ein einzelnes Haus hervorheben. Generell gilt: Viele kleinere und ältere Museen auch bei uns sind keine Klimakiller. Es sind die großen Tanker, bei deren Konzeption eben andere Prioritäten als die Nachhaltigkeit im Vordergrund standen und die bezogen auf ihre Flächen zu den größten Energieverbrauchern in der Stadt zählen. Das gilt übrigens weltweit. Dagegen sind ältere und weniger technisierte Museen in der Regel deutlich ressourcenschonender – vor allem, wenn darin keine Klimaanlage installiert ist und Baumaterialien mit thermischer Trägheit und Puffereigenschaften zum Einsatz gekommen sind.
Nachhaltigkeitsexperte Stefan Simon: „Kopien von Kunstwerken können CO2-Emissionen einsparen“
tipBerlin Hat das Original eines Kunstwerks auf Ausstellungen noch eine Zukunft – oder sollten lieber hochwertige Kopien gezeigt werden, um aufwändige Transportlogistik zu vermeiden?
Stefan Simon Authentizität ist gewissermaßen einer der Unique Selling Points von Museen, Bibliotheken und Archiven. Andererseits ist die Mobilitätsfrage ein nennenswerter Faktor. Der Transport von Kunstwerken im internationalen Museumsbetrieb erfordert einen hohen technischen Aufwand, und der kuratorisch verantwortete Gebrauch von Kopien hat durchaus Potenzial zur Einsparung von CO2-Emissionen. Die Resultate hochmoderner Kopiertechnologien können auch sehr anregend sein. So ist zum Beispiel ein Besuch der Nachbildung von Lascaux IV im Perigord wirklich atemberaubend. Die originalen Höhlen sind aus konservatorischen Gründen seit vielen Jahren kaum zugänglich.
tipBerlin Klimaanlagen werden oft mit dem Argument verwendet, dass dann Kunstwerke besser erhalten bleiben. Wie energieintensiv ist diese Technologie?
Stefan Simon Das Argument der besseren Erhaltung durch Klimaanlagen ist – so pauschal formuliert – nicht zutreffend. Die Herstellung eines künstlichen, in engen Bahnen kontrollierten Raumklimas, das dem Schutz der Exponate dienen soll, ist der größte Energiefresser im Museumsbetrieb. Es kann mittelfristig, schon aus wirtschaftlichen Gründen, die Existenz des Museums selbst gefährden – und was wäre dann für die Erhaltung der Kunstwerke gewonnen? Auch verfügt die Mehrzahl der Museen in Deutschland nicht über Klimaanlagen, auch viele unserer Kirchen und historischer Gebäude nicht – ohne dass dabei alle Werke auf relevante Weise in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Zu einer nachgefragten Technologie im deutschen Museumsbetrieb ist die Klimaanlage erst in den 1960er-Jahren geworden. Pioniere waren zum Beispiel das Folkwang-Museum in Essen, das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg und die Neue Nationalgalerie in Berlin. Man kann ihnen zugute halten, dass das einige Jahre vor einschneidenden Ereignissen war, etwa der Veröffentlichung des Berichts des Club of Rome im Jahr 1972 oder der ersten Ölkrise 1973. Es handelt sich also um eine aufwändige Technologie aus einer Zeit, in der man noch grenzenlosen Ressourcenverbrauch für eine tragfähige Option hielt, und die leider bis heute andauert. Im Jahr 1970 lag der Earth Overshoot Day in Deutschland noch Ende Dezember, heuer war er am 3. Mai. Das sagt doch eigentlich fast alles.
Nachhaltigkeit und Museen: „In der Kunstgeschichte hat es ständig Verluste gegeben“
tipBerlin Werden wir manche Kulturgüter aufgeben müssen?
Stefan Simon Natürlich. Ich befasse mich seit Jahrzehnten beruflich mit der Frage, wie man Kunst- und Kulturgut nachhaltig bewahren kann. Der allergrößte Teil der in den Sammlungen befindlichen Kunst- und Kulturgüter ist nicht auf ein speziell und technisch kontrolliertes Raumklima angewiesen. Oder anders herum ausgedrückt: Objekte langfristig zu erhalten, die darauf angewiesen sind, wird sehr schwierig. Natürlich gibt es viele fragile Exponate, die anfälliger auf bestimmte Umgebungsbedingungen und ihrer zyklischer Veränderung reagieren, wie salzbelastete Objekte, cellulose-basierte Materialien wie Holz, Papier, oder auch viele Werke aus der Kunst des 20. Jahrhunderts, bei deren Herstellung Polymere verwendet worden sind. Es wäre allerdings naiv, zu meinen, dass man alles ewig erhalten kann. In der Geschichte hat es ständig Verluste gegeben. Aus der Renaissance sind uns zum Beispiel bis heute vermutlich weniger als 5 Prozent der Gemälde erhalten geblieben. Die weitaus größere Bedrohung für die Erhaltung unserer Kulturgüter liegt ohnehin in anderen Gefahren wie Brand, Naturkatastrophen oder auch gesellschaftlichen Konflikten. Auch darin, dass Museen in einer nicht so fernen dunklen Zukunft infolge von Kriegen oder sozialen Unruhen geplündert werden könnten. Da die Weltgemeinschaft bislang nur absolut ungenügende Anstrengungen zu Einhaltung des 1,5- oder auch nur 2-Grad-Erwärmungsszenarios unternimmt, halte ich das in wenigen Jahrzehnten für ein durchaus realistisches Szenario, auch in Berlin.
tipBerlin Sie gelten als scharfer Kritiker des Museums der Moderne – jener großer Renommierbau, der derzeit am Kulturforum errichtet wird und 364 Millionen Euro kosten soll…
Stefan SImon Ich habe seit langer Zeit gefordert, dass es für Museumsneubauten ein Moratorium geben sollte. Das läuft aber dem Zeitgeist zuwider, und ich bin damit ziemlich isoliert. Überall im Land wird ja an neuen Museen oder Erweiterungen bestehender Häuser gebaut. Bei dem von Ihnen genannten Beispiel handelt es sich in der Tat um das klimafeindlichste Gebäude, welches die Staatlichen Museen in ihrer Geschichte errichtet haben. Und auch hier laufen die die Baumaschinen weiter. Es wird zwar über Modifikationen in Bau und zukünftigem Betrieb diskutiert, die aber kaum mehr als einen marginalen Effekt auf die Klimabilanz erwarten lassen. Was Photovoltaik auf dem Dach angeht: Abgesehen davon, dass es vordringlich um die Reduktion des Energieverbrauchs gehen muss, nicht um die Kompensation, ist das eine gute Idee. Ob man aber dadurch viel mehr als zehn Prozent der Energie einsparen kann, bezweifle ich. Ich gehe deshalb davon aus, dass das Museum der Moderne nach der geplanten Eröffnung 2026 früher oder später so wie geplant nicht betrieben werden kann. Wir werden in fünf bis zehn Jahren über die Klimakrise ganz anders diskutieren als heute.
Nachhaltigkeitsexperte Stefan Simon sympathisiert mit den Klima-Aktivist:innen
tipBerlin Im vergangenen Jahr haben Klima-Aktivisten mit Aktionen in Museen für Furore gesorgt. Im Barberini in Potsdam ist die schützende Glasschicht über einem Monet-Gemälde mit Kartoffelbrei beschmiert worden. In der Gemäldegalerie haben Klimakämpfer ihre Hände an den Rahmen eines Bilds von Lucas Cranach dem Älteren geklebt. Was halten Sie von diesen Aktionen?
Stefan Simon Für uns Museumsleute sind die Objekte in den Sammlungen wie unsere Kinder. Wenn wir sehen, dass ihnen etwas angetan wird, wie sie auch nur bedroht werden, ist das für uns wie ein Stich ins Herz. Das ist sehr schwer zu ertragen, und ich kann die Aktionen der letzten Wochen und Monate in unseren Museen daher nicht begrüßen. Aber mit meinem Herzen bin ich auf der Seite der Klima-Aktivist:innen. Ich habe großen Respekt vor ihrer Zivilcourage und ihrem Mut. Sie haben zumindest bislang auch sorgsam darauf geachtet, keine größeren Schäden zu verursachen. Und ich glaube auch, dass sie die Bedrohungen durch die Klimakrise, die alle Bereiche unserer Gesellschaft, auch die Museen, erfassen werden, viel klarer und deutlicher sehen als die meisten von uns. Wir müssen sie ernst nehmen und sollten das offene Gespräch mit ihnen suchen. Sie sehen sich selbst als Feuermelder in der Krise. Und das sind sie in meinen Augen auch. Wenn wir der Wissenschaft zuhören, lernen wir, dass wir uns in einem entscheidenden Jahrzehnt befinden. Es bleiben nur noch wenige Jahre, um unsere CO2-Emissionen zu halbieren, den rasanten Rückgang der Biodiversität aufzuhalten und endlich auch auf dem Weg der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen voranzukommen. Wir müssen diese kurze verbliebene Zeit nutzen. Auch in der Art und Weise, wie wir Museen bauen und betreiben.
Mehr über den Kampf gegen den Klimawandel
Die Folgen des Klimawandels werden auch in Berlin und Umland immer sichtbarer. In Brandenburg etwa sind im vergangenen Sommer die Wasserstände auf beunruhigende Weise gesunken. DIe junge Generation begehrt längst auf gegen die Apathie vieler Politiker:innen. In Erinnerung geblieben ist dabei zum Beispiel der Hungerstreik von Klima-Aktivist:innen im Berliner Regierungsviertel anno 2021. Geradewegs von der Schulbank auf die Straße und in die Talkshows durchgestartet sind die Kids von Fridays For Future, darunter auch Emma Fuchs aus Steglitz, die der Bewegung im Alter von 15 Jahren beigetreten ist.