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Gleichberechtigung

Polizei stoppt oberkörperfreie Frau – sie will vor Gericht ziehen

Die Berlinerin Gabrielle Lebreton hatte sich vor einigen Tagen am Wasserspielplatz Plansche mit nacktem Oberkörper gesonnt und wurde von der Polizei aufgefordert, sich etwas anzuziehen. Nun zieht sie gegen Ungleichbehandlung von Frauen und Männern und ihren Körpern vor Gericht. Unsere Autorin findet: Wer die Grundrechte in Deutschland schätzt, sollte sie unterstützen. Ein Kommentar.

Die Berlinerin Gabrielle Lebreton kämpft dafür, dass Frauen überall dort ihre Oberteile ausziehen könne, wo Männer es auch tun.
Symbolbild: Nackte Brüste erregen noch immer zu viel Aufsehen. Die Berlinerin Gabrielle Lebreton kämpft dafür, dass Frauen überall dort ihre Oberteile ausziehen könne, wo Männer es auch tun. Foto: Imago/Westend61

Sonnenbadende Architektin soll die Brüste bedecken

Die Geschichte machte am Mittwoch die Runde, nachdem der Tagesspiegel in seinem Newsletter darüber berichtet hatte: Die Architektin und Theaterberaterin Gabrielle Lebreton wurde von zwei Parkaufsehern dazu aufgefordert, sich obenrum etwas anzuziehen, als sie sich am vorletzten Sonntag auf der Wiese am Wasserspielplatz Plansche im Plänterwald sonnte, während ihr Sohn dort spielte. Als sie sich weigerte, ihre Brüste zu bedecken, riefen die Beamt:innen die Polizei hinzu. „Die haben mich überhaupt nicht zu Wort kommen lassen und meinten nur, es gebe keine Diskussion“, erzählt Lebreton. Sie ist wütend.

Der Vorfall macht, wie so viele andere, deutlich: Auch in Berlin sind Frauen und Männer im Jahr 2021 noch lange nicht gleichberechtigt. Bei Männern erregt es keinerlei Aufsehen, wenn sie im Club, beim Fahrradfahren, im Schwimmbad, bei der Gartenarbeit, auf der Baustelle oder im Park beim Sport machen ihr Oberteil ausziehen. Und bei Frauen? Da sind freie Oberkörper, abgesehen von sex-positiven Partys in progressiven Clubs, allerhöchstens am See gesellschaftlich akzeptiert.

Überall sonst müssen Frauen damit rechnen, einerseits von Männern belästigt zu werden oder sogar von Ordnungshütern dazu aufgefordert, sich wieder anzuziehen. Auch auf sozialen Medien sind weibliche Brüste unerwünscht, Facebook und Instagram zum Beispiel löschen alle Bilder und Videos, auf denen Frauen mit nackter Brust zu sehen sind – was übrigens die Suche nach dem Anzeigebild für diesen Kommentar sehr erschwert hat.

Freiheit für die Brüste: Die Gesetzeslage ist unklar

Die Ordnungshüter begründeten Lebreton gegenüber ihr Handeln damit, dass auf dem Spielplatz schließlich Kinder spielten, die an ihren entblößten Brüsten Anstoß nehmen könnten. Doch gerade Kinder betrachten menschliche Körper im Gegensatz zu Erwachsenen, egal ob männliche oder weibliche oder genderfluide, unbescholten und sexualisieren sie nicht. Darüber wollten die Beamt:innen jedoch gar nicht erst diskutieren. Einen Ordnungsbescheid stellten sie Lebreton aber auch nicht aus.

Dieser Umstand deutet hin zu einem weiteren Problem: Die Gesetzeslage ist den meisten, wahrscheinlich auch der Polizei, weitestgehend unbekannt. Dürfen Frauen sich in der Öffentlichkeit oben ohne zeigen? Gabrielle Lebreton und die Gruppe an Unterstützerinnen, die sich nach dem Vorfall um sie zusammen gefunden hat, haben bis jetzt kein Gesetz gefunden. „Stattdessen gibt es einen Mangel an Gesetzen, die Frauen ihre Freiheit garantieren und sie vor Angriffen auf ihre Selbstbestimmung, egal ob durch die Polizei oder andere, schützen“, sagt Lebreton.

Ironischerweise bestraft der Gesetzgeber nur Männer für Exhibitionismus

Tatsächlich scheint es kein Gesetz zu geben, das explizit besagt, dass Frauen sich in der Öffentlichkeit obenrum nicht ausziehen dürfen. Zwar gibt es ein Gesetz, das Exhibitionismus verbietet – ironischerweise bezieht sich das aber nur auf exhibitionistische Handlungen von Männern – auch das ist übrigens ungerecht. Und auch da gibt es Grauzonen: Wenn ein Mann eine Frau nackt belästigt, ist das exhibitionistisch. Wenn aber eine Gruppe von Männern und Frauen nackt wandern geht, dann ist das eine rechtliche Grauzone. Und wenn eine Frau am See ohne Bikinioberteil sitzt? Auch das ist unklar.

Das führt dazu, dass die Polizei willkürlich darüber entscheiden kann, ob sie Frauen „zur Ordnung rufen“ oder nicht. Im Grundgesetz steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Doch wenn es um Sebstbestimmung über den eigenen Körper geht, ist das noch keine Realität – im Gegenteil: Die Polizei, die Exekutive des Staates, hat an der Plansche die Ungleichbehandlung aufrecht erhalten, anstatt gegen sie anzugehen – und sie tut es wahrscheinlich nicht nur dort.

„Ich will unbedingt diese dummen Regeln verändern“

Gabrielle Lebreton will das nicht länger hinnehmen. Sie will, dass Frauen überall dort, wo Männer sich obenrum ausziehen, Frauen es auch machen können – mit dem Gesetz im Rücken. Sie machte den Vorfall auf Facebook öffentlich und erhielt zahlreiche positive Rückmeldungen. Aber auch solche von Männern, die ihr sagen, dass Männer bei entblößten Brüsten nun mal „einen Steifen“ kriegen würden. Die lieber die Freiheiten von Frauen beschneiden, als ihre Triebe in den Griff zu bekommen. Doch auch davon lässt sich Lebreton nicht abschrecken. „Ich will unbedingt diese dummen Regeln verändern“, sagt sie.

Sie will jetzt mit allen Unterstützerinnen und Unterstützern, die sie finden kann, vor Gericht gehen, um Gesetze zu fordern, die ihre Rechte als Frau schützen. Und demonstrieren. Wer die Grundrechte in Deutschland schätzt, sollte sie begleiten!


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