Als das Orania 2017 eröffnete, flogen Farbbeutel und Pflastersteine. Inzwischen ist das Hotel am Oranienplatz ein Ankerpunkt im Kreuzberger Nachtleben, an dem auch die Nachbarschaft gern versackt. Wie ist das Jennifer und Philipp Vogel gelungen?
Die Spuren einiger Farbbeutelattacken sind noch neben dem Eingang sichtbar. Die ein oder andere Scheibe hat noch einen Sprung. Dabei sind die Zeiten, in denen nicht nur Nachbarschaftsinitiativen wie Bizim Kiez gegen die Hotelneugründung am Kreuzberger Oranienplatz rebellierten, nun gut fünf Jahre her. Und je später der Abend, desto lokaler wird oft das Publikum, zumal an den vier Abenden der Woche, an denen in der Lobby des Orania Live-Musik erklingt. Jazz, Club-Sounds, Chansons, Soul. Ein Gespräch mit dem Direktorenpaar Jennifer und Philipp Vogel über Kreuzberg und die Welt, falschen Luxus und echte Konzertflügel.
„Wir haben uns nie weggeduckt“
tipBerlin Liebe Jennifer, lieber Philipp Vogel, wir sitzen hier in der Lobby des Orania gleich neben dem ikonischen Steinway-Flügel. Ich war erst vor einigen Tagen am späteren Abend hier und begeistert von der Atmosphäre und der Diversität des Publikums. Weit weg scheint die Zeit, als Ihr Hotel fast täglich unter Farbbeutelbeschuss stand und als Sinnbild für die Veränderungen im Kiez und der Stadt herhalten musste. Wie sind Kreuzberg und das Orania Freunde geworden?
Philipp Vogel Wir waren einfach immer ansprechbar, haben uns nie weggeduckt.
Jennifer Vogel Wenn jemand hier aufgebracht in der Lobby steht, unbedingt den Hoteldirektor sprechen will und Philipp dann in seiner Kochjacke von den Töpfen aufguckt und sagt: „Ja, das bin ich“, macht das mit den Leuten etwas. Erwartet haben sie vermutlich einen Mann im dunklen Anzug, der sich zwei Etagen höher hinter seinem Computer verschanzt.
Philipp Vogel Viele, die damals gegen das Orania protestierten, sitzen heute selbst bei uns an der Bar. Das erzähle ich nicht als persönlichen Triumph, sondern um zu verdeutlichen, dass die Gräben nicht so eindeutig verlaufen, wie man aus der Distanz denkt.
Ein Fünf-Sterne-Haus hat zwangsläufig viele dienende Momente. Wir wollen aber ein Miteinander auf Augenhöhe und erleben auch, dass sich unsere Gäste damit wohler fühlen
Jennifer Vogel, Hotel Manager i.c.of Sales, Orania Berlin
Jennifer Vogel Wir haben ja selbst bis in diesem Frühjahr in Kreuzberg gewohnt und erlebt, welcher Druck auf dem Bezirk liegt.
tipBerlin Hat die neue Selbstverständlichkeit, mit der das Orania heute ein Teil Kreuzbergs und der Berliner Nacht geworden ist, auch mit dem Ausstieg von Dietmar Müller-Elmau und dessen legendärem Schloss Elmau, Hotel etwa des G7-Gipfels, zu tun?
Philipp Vogel Das war eher ein schleichender Prozess. Der Austausch mit Dietmar Müller-Elmau war von Anfang an wirklich intensiv und wir haben viel von ihm gelernt. Er selbst hat aber irgendwann zu mir gesagt: ,Philipp, ich verstehe Kreuzberg nicht, und eigentlich verstehe ich auch Berlin nicht wirklich.‘ Dass wir den Ausstieg von Schloss Elmau aus dem Orania nicht lauter kommuniziert haben, hing dann mit der Pandemie zusammen. Die Themen von uns, und der ganzen Branche, waren plötzlich andere.
Jennifer Vogel Dieses Schloss-Elmau-hafte stand oft konträr zu dem, was bei uns gut funktioniert. Ein klassisches Quartett oder Avantgarde-Jazz mag in der bayerischen Abgeschiedenheit Sinn ergeben, hier spielt das atonale Saxophon gegen die Geräusche an der Bar an und auch gegen die Gäste, die sich unbedingt unterhalten dürfen. Gerade in der internationalen Wahrnehmung haben wir aber viel vom Schloss Elmau profitiert.
Philipp Vogel Schloss Elmau auch von uns.
tipBerlin Zum Beispiel?
Jennifer Vogel Bei uns gab es nie einen Turndown-Service, unsere Gäste müssen ihr Bett selbst aufschlagen. Das ist inzwischen auch auf Schloss Elmau so.
Das Orania Berlin: Bekannt für Livemusik und Philipp Vogels Signature-Dish
tipBerlin Überhaupt hat das Orania nie jedes Klischee erfüllt, das man gemeinhin von der Luxushotellerie erwartet.
Philipp Vogel Wir haben uns von vornherein gegen die Hotelsterne entschieden: Zum einen wird ein Fünf-Sterne-Haus von Businessreisenden quasi nicht mehr gebucht. Vor allem aber stehen wir nicht für diesen klassischen Luxus, für einen Doorman und einen Pagen, der die Koffer nach oben bringt.
Jennifer Vogel Ein Fünf-Sterne-Haus hat zwangsläufig viele dienende Momente. Wir wollen aber ein Miteinander auf Augenhöhe und erleben auch, dass sich unsere Gäste damit wohler fühlen.
tipBerlin Wer genau sind diese Gäste?
Jennifer Vogel Das ist tatsächlich die schwierigste Frage. Am Ende sprechen wir Leute an, für die Genuss im Vordergrund steht und auch eine gewisse Ästhetik. Also weder das nur Stylische und Hippe, aber auch nicht der erwartbare Komfort eines klassischen Luxushotels.
Ich empfinde die XBerg Duck als einen absoluten Segen
Philipp Vogel, Managing Director & Culinary Chef, Orania Berlin
Philipp Vogel Zu uns kommen Chilly Gonzales – und Grigory Sokolov.
tipBerlin …beides großartige Pianisten…
Philipp Vogel Zu Grigory Sokolov gibt es eine schöne Geschichte. Am Abend vor seinem Konzert in der Philharmonie hat er sich an unseren Flügel gesetzt, als die Lobby schon fast leer war. Nach ein paar Takten meinte er, den Steinway zu kennen. Er hat dann ein kleines Büchlein geholt und seine Aufzeichnungen verglichen: Tatsächlich hatte er an genau diesem Steinway zwölf Jahre zuvor in Schloss Elmau gespielt. Er erinnert sich an jeden Steinway, an dem er je saß.
tipBerlin Sie haben sogar zwei Steinway D-274. Ein weiterer steht in der großen Suite, die inzwischen vor allem für Veranstaltungen und Dinner genutzt wird.
Philipp Vogel In fast jedem Grand Hotel steht ja in der Lobby ein Steinway rum…
Jennifer Vogel …wobei der Steinway dann bei genauem Hinsehen doch meistens nur von Yamaha ist.
Philipp Vogel …und auch der ist dann oft so verstimmt, dass der Pianist lieber sein eigenes E-Piano mitbringt, diesen Fake wollten wir unbedingt vermeiden.
tipBerlin Mindestens so bekannt wie für sein Musikprogramm ist das Orania für seine Interpretation der Pekingente. Gefühlt kommt gerade das kulinarische Berlin vor allem für dieses eine Gericht. Fluch oder Segen?
Philipp Vogel Ehrlich? Ich persönlich empfinde die XBerg Duck als einen absoluten Segen. Das Gericht hat sich inzwischen bis nach Schweden und in die USA herumgesprochen. Jeder Koch träumt von einem eigenen Signature-Dish, das Thema habe ich schon einmal abgehakt.
Jennifer Vogel Wir haben sogar Gäste, die erst für die Ente einen Tisch im Restaurant reservieren – und später dann auch noch das Hotelzimmer.
- Orania Oranienplatz 17, Kreuzberg, tgl. 6.30–22.30 Uhr, 6.30–14 Uhr (Breakfast Club), 18.30–22.30 Uhr (Dinner), Bar: tgl. ab 18 Uhr, online, Programm: Übersicht der Konzerte im Orania Berlin
Jennifer und Philipp Vogel haben sich in der Spitzenhotellerie kennengelernt. Gemeinsam leiten sie das Hotel Orania am Kreuzberger Oranienplatz seit der Eröffnung im Sommer 2017. Es ist eines der wenigen luxuriösen Häuser der Stadt, das sich komplett in Privatbesitz befindet, es gehört einem Münchener Ehepaar. Dass Philipp Vogel der vielleicht prominenteste Hoteldirektor Berlins ist, liegt aber an seinem zweiten Job: Er ist auch Küchenchef des Orania. Für seine Xberg Duck, die Interpretation der klassischen Pekingente, kommen kulinarische Tourist:innen aus ganz Europa ins Orania.
Auch andere Berliner Luxushotels wollen bewusst auf dem Boden bleiben: Wir haben Amano-Chef Ariel Schiff zum Interview getroffen. Überraschend anders: In diesen besonderen Berliner Hotels werden Tage und Nächte zum Erlebnis. Für euren nächsten Berlin-Trip oder eine ganz neue Perspektive auf die Stadt, werft einen Blick in unsere Rubrik für den Berlin-Besuch. Mehr Kostproben von Berlins gastfreundlicher Seite liefert euch unsere Food-Rubrik.