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Ach, Tegel: Warum die TXL-Wunde nicht verheilt ist

Ein Abschied von Tegel. Das ist doch etwas verrückt, sich von einem Flughafen zu verabschieden, oder ist es das nicht? Unser Autor hatte es getan und war am vorletzten Tag des regulären Betriebs Mitte November 2020 noch einmal hingefahren, um sich das am Ende doch noch lieb gewonnene Sechseck anzuschauen und selbst, „mach’s gut, Tegel“ zu sagen. Angesichts dessen, was der BER so zu bieten hat seitdem, wird die der Schmerz des Abschieds wohl noch etwas andauern.

Aus von Tegel: Auch die TXL-Busse sagten danke. Foto: Jacek Slaski

Tegel: Einem Flughafen nachweinen ist doch komisch, oder?

Als Städter, als Berliner binden wir uns an die Dinge, die uns umgeben. An Straßennamen, Gebäude, Institutionen. Wenn sich etwas verändert, ein Abriss oder eine Umbenennung anstehen, dann ist die Aufregung groß. Man will sie nicht. Bei der Abwicklung des Flughafens Tempelhof war es genauso, zum Beispiel.

Vielleicht ist es der Wunsch nach Beständigkeit, in einer Welt, in der sich alles immer schneller bewegt. Ist diese Art städtischer Nostalgie speziell für Berlin oder einfach nur eine normale menschliche Regung? Am Beispiel Tegel konnte man sie jedenfalls klar erkennen.

Die letzten Flüge ab Tegel, 7. November 2020. Foto: Jacek Slaski

So nostalgisch die Sache zum Ende hin anmuten mochte, die Schließung von Tegel war immer umstritten, die Entscheidung polarisierte: „Zum Glück ist der olle Kasten weg“, „Berlins schlimmster Flughafen“ oder „endlich mal Ruhe hier“, sagten einige. Andere fühlten sich eines Wahrzeichens beraubt, „wieder ein Stück des alten West-Berlins, das verschwindet“, sagten sie und vergossen am Abschiedswochenende noch eine Träne.

Einem Flughafen nachweinen, das ist doch seltsam. Aber als ich vor einigen Monaten mit einem Freund und meinem Sohn doch noch zum Abschied hingefahren bin, überkam auch mich die Melancholie. Jeder von uns rief seine TXL-Erinnerungen ab. Geschichten von Abenteuern, ersten Reisen in die große weite Welt und herzergreifenden Trennungen oder lustige Anekdoten kamen uns in den Sinn. Vieles davon begann oder endete in Tegel.

Mein erster Flug überhaupt ging in Tegel ab

Mein erster Flug überhaupt ging in Tegel ab. 1986 nach Kreta mit meiner Mutter, zuvor saß ich noch nie in einem Flugzeug. Auch mein Sohn flog erstmals von Tegel ab, er war drei und es ging nach Spanien. Mein Freund Sebastian startete von hier seine Trips nach Kanada und in die USA, die sein Leben verändert haben.

Tegel war etwas hässlich, funktional, ein wenig umständlich, am Ende aber ein Ort, mit dem man sich identifizieren konnte, der sich mit den Jahren in einen festen Bestandteil der Stadt wandelte und den man nicht mehr missen wollte und in sein Herz schließen konnte. Das wird mit dem Großflughafen BER wohl noch lange dauern, bis sich dort solch ein inniges Gefühl einstellt.

Noch rollen die Jets in Tegel. Foto: Jacek Slaski

Dabei geht es nicht um Kosten, Fluglärm, infrastrukturelle und politische Fragen oder die Anbindung durch den ÖPNV, und auch nicht um die Desaster in Sachen Wartezeiten und Organisation in den Herbstferien 2021, als es mal wieder etwas mehr Betrieb gab und gibt und Menschen stundenlang auf Check-ins warten mussten, reihenweise ihre Flüge verpassten.

Es geht bei der Trauer um Tegel um Emotionen, um die Bedeutung von öffentlichem Raum, von Gebäuden und Orten, die eine Stadt definieren und letztlich damit uns, die Bewohner, ausmachen. Diese Symbiose aus Stadt und Mensch macht uns zu, nun ja, Stadtmenschen – und das wird am Beispiel Tegel klar.

Die TXL-Busse hupten und auf den Displays blinkte „Danke Tegel!“

Am letzten TXL-Wochenende sind trotz Corona noch unzählige Berliner hingefahren. Sie schauten durch Zäune aufs Rollfeld, sie liefen durch die Abfertigungshallen und über Parkplätze. Die TXL-Busse hupten und auf den Displays blinkte „Danke Tegel!“, mit Jubel wurde jeder einzelne Bus begrüßt.

Es gab Rundflüge um Tegel und zum BER konnte man auch düsen. Die Schlange zur völlig ausgebuchten Besucherterrasse war lang. Die Presse war da. Vor der lustigen Currywurstbude EsS-Bahn, einem umfunktionierten S-Bahn-Waggon, herrschte großer Andrang. Eine letzte Currywurst in Tegel, die wollten noch viele haben.

Anstehen für die Wurst. Foto: Jacek Slaski

Es war ein rührendes, spontanes Volksfest, mit Mundschutz und Abstandsregeln. Die Tafel mit den Ankünften und Abflügen las sich wie ein Countdown und es war einer. Die letzte Maschine kam aus Paris an, so wie damals in den 1960er-Jahren, als es mit Tegel losging und die Air France erstmals Passagierflüge in die Mauerstadt schickte, die nicht in Tempelhof landeten.

Wurst essen, Flugzeugen zuwinken, Bus fahren. Alles was man in Tegel tat, tat man ein letztes Mal. Vielleicht gehören solche Abschiede zu einem kollektiven Leben in einer Millionenstadt dazu. Ein Flughafen ist ein Symbol, auf das sich sehr viele einigen können, das jeder zumindest kennt. Es verbindet und schafft eine stadtweite Zusammengehörigkeit, die es sonst im Alltag nur selten gibt. In einer Stadt, in der gerade fast alles stillsteht, habe ich in Tegel diese Zusammengehörigkeit gespürt. Ein schöner Abschied.

Der mit etwas Distanz noch mehr schmerzt. Denn bei allem Ärger, den Tegel auch mal bei uns auslöste. So hoffnungslos wie der BER nach einem knappen Jahr Betrieb auf uns wirkt, wirkte er nicht mal am Ende seiner Zeit. Ist es wirklich schon zu spät fürs Comeback?


Mehr zum Abschied vom Flughafen Tegel

Sehenswert: Die „Tegel Moments“ – 12 Fotos von Bernd Rathjen zum Abschied vom Flughafen. Das Thema lässt uns nicht los, hier haben wir uns der Geschichte des Flughafens Tegel gewidmet. Und hier 12 Dinge, die uns fehlen werden, zusammengetragen: Flughafen Tegel, du geliebtes Elend

Die Abschiedsflüge über das Tegel-Gelände waren umstritten. Wer weiterhin in die Richtung fahren will: Der Ortsteil Tegel hat viel zu bieten. Auch an der Strecke: Der Zentrale Festplatz Wedding, einer der absurdesten Orte Berlins. TXL war nicht der einzige Ort, an dem man abheben konnte: Mehr zu Berlins Luftfahrtgeschichte lest ihr hier.

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