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Kommentar

875 Euro (kalt) für 2-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung in Berlin – Geht’s noch?

Ein Immobilienunternehmen bietet online eine 2-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung in Berlin an. Kostenpunkt 875 Euro Kaltmiete. Die Wohnung sei renovierungsbedürftig, praktisch und geräumig, verrät das Angebot. Mit 58 Quadratmetern nicht groß, dafür befinde sie sich im Szenebezirk Friedrichshain, dort, wo „das Leben tobt“. Wohin ein nicht regulierter Markt führt und was passiert, wenn nichts außer der Gier zählt, zeigen solche Extrembeispiele. Ein aufgebrachter Kommentar von Jacek Slaski.

15 Euro pro Quadratmeter kalt – Altbauzimmer mit Ofenheizung in Berlin. Foto: Imago/STPP
15 Euro pro Quadratmeter kalt – Altbauzimmer mit Ofenheizung in Berlin. Foto: Imago/STPP

Ofenheizung, Ochsenblut, Wuchermiete: Da bleibt nur Verzweiflung

Wer sich mal wirklich ärgern will, sollte einen Blick auf die Wohnungsanzeigen in den einschlägigen Internetportalen werfen. Einfach mal zwei oder drei Zimmer in der Innenstadt suchen und durch die Annoncen scrollen. Es ist wie ein Wildtierunfall, abscheulich – und doch kann man die Augen von der Tragödie nicht abwenden. Die Preise, die Sprache, ein Niedergang. Wer wirklich eine Wohnung sucht und nicht über ein prall gefülltes Bankkonto verfügt, wer sich als Normalsterblicher durch dieses Grauen kämpfen muss, ist verloren. Da bleibt nur Verzweiflung oder irres Glück.

Wer aber bei Verstand ist und keine Wohnung sucht, lässt die Finger von diesen Portalen und versucht die Realität des Berliner Wohnungsmarktes auszublenden, allein schon aus Selbstschutz. Leider landen solche Angebote manchmal in den Sozialen Medien: als Werbung oder weil sie so bemerkenswert schlimm sind, dass sie als eine Art ekelerregendes Kuriosum geteilt und kommentiert werden. So geschehen neulich im Falle einer Friedrichshainer 2-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung.

Die Fotos der angebotenen Wohnung sehen aus wie die Buden, in denen meine Freunde und ich in den 1990er-Jahren gehaust haben. Hässliche Farbe an den Wänden, die abgewetzten Böden mit jener dunkelroten, „Ochsenblut“ genannten, Farbe zugekleistert, antike Kachelöfen in den Ecken der Zimmer. Bis etwa 2005 habe ich selbst in solchen Zuständen gewohnt. Auch in Friedrichshain. Altbau Vorderhaus, 60 Quadratmeter, Balkon und Badewanne, alles zusammen für 280 Euro. Das ging klar. Damals waren solche Wohnungen die Rettung für Leute ohne Kohle, die dann Kohle schleppen mussten, aber man konnte passabel und bezahlbar in der Stadt leben. 15 Jahre später will ein Vermieter für eine vergleichbare Wohnung dreimal so viel. Das geht nicht klar!

Offensichtlich gibt keine Grenzen der Menschlichkeit, der Vernunft, der Anständigkeit

In Berlin ist es wahrlich schwer genug etwas zu finden, das nutzen nicht wenige Vermieter aus. Doch was hier geschieht, grenzt an Nötigung. Rechnet man es aus, sind es 15 Euro pro Quadratmeter, die die renovierungsbedürftige Wohnung mit „Standard“-Ausstattung kosten soll. Ganz offensichtlich gibt es keine Grenzen der Menschlichkeit, der Vernunft, der Anständigkeit. Gier ist geil. Das sagt die Anzeige, alles geht, weil der Markt nur von Profit gesteuert wird und weil die Politik nichts tut. Nein, schlimmer, nichts tun kann. Sie versucht es ja, immer wieder will die Politik mit Mietendeckeln, Bremsen und Mietspiegeln auf den Markt einwirken, die Situation eindämmen, ein menschenfreundlicheres Wohnen durchsetzen. Vergeblich. Der Markt ist stärker, er windet sich aus den Zwängen, hebelt die politischen Instrumente aus und macht befreit weiter. Die Stadt als Beute.

Es ist eine fatale Entwicklung. Diese Anzeige mag ein Extrem sein, aber so weit von der Realität entfernt ist sie nicht. Eine Wohnung mit Ofenheizung ist zwar in Berlin mittlerweile ein Relikt, das ist wahr, die astronomischen Preise sind aber der Normalzustand. Da helfen auch keine Volksentscheide oder utopische Enteignungsvisionen, auch nicht das Märchen vom Bauen. Wie eine Zauberformel wird immerzu der Neubau gefordert. Wer sich aber die tatsächlich neugebauten Wohnungen anschaut, von denen die allermeisten ohnehin zu Höchstpreisen als Eigentumswohnungen verkauft werden, findet bei den wenigen neuen Mietwohnungen kaum bezahlbare Angebote.

Was wir brauchen, ist ein radikales Umdenken, einen Bundesmietendeckel und eine Aufsicht, die solche Wucherangebote ahndet. Eine Politik, die wirksame Instrumente durchsetzt, die den Markt regulieren. Es muss Grenzen geben, auch Grenzen des Profits. Diese Forderung ist kein Stalinismus, sie ist nicht einmal sozialistisch. Sie ist sozial.


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