Die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will nach dieser Wahlperiode nicht mehr für das Abgeordnetenhaus kandidieren. Auch ihren Senatorinnenjob gibt sie in gut einem Jahr auf. TipBerlin-Autor Benedikt Kendler, der vor zwei Jahren die Schule abschloss, hat einen Großteil seiner Schulkarriere unter der Schulsenatorin Scheeres verbracht. Hier sagt er schon mal Tschüss.
Wenn Sandra Scheeres nächstes Jahr aus dem Amt ausscheidet, wird sie es auf stolze zehn Jahre als Bildungssenatorin gebracht haben. Sieben Jahre davon habe ich die Berliner Bildungspolitik aus erster Hand als Schüler mitbekommen. An ihren Vorgänger kann ich mich kaum noch erinnern. Wie hieß der noch mal?
Wirklich überrascht haben dürfte es niemand, als Scheeres nach mehr als 15 Jahren in der Berliner Politik am Montag den Verzicht auf eine neue Kandidatur für das Abgeordnetenhaus bekannt gab. Dass sie nicht mehr als Bildungssenatorin zur Verfügung stehen wird, war ohnehin schon klar und auch Mitglied des Parlaments war sie bereits seit 2016 nicht mehr. Damals hatte sie ihren Wahlkreis Pankow Süd und Heinersdorf nach zwei errungenen Direktmandaten erstmals verloren.
Dennoch war über eine erneute Kandidatur spekuliert worden, die ihr wohl kaum jemand hätte streitig machen können. Doch im kommenden Herbst will sich Scheeres endgültig aus dem Berliner Politikbetrieb verabschieden. Und so sehr ich sie gegenüber Nicht-Berlinern verteidigte, so oft bin ich trotzdem auch an ihr verzweifelt.
Als Schüler unter der Regentschaft Scheeres
Schüler in Berlin zu sein bedeutet, seinen Lehrkräften minutenlang beim verzweifelten Versuch zuzuschauen, einen PC zu starten, um dann mit ihnen den Raum zu wechseln. Dann demselben Schauspiel noch einmal beizuwohnen, um anschließend, in den letzten 15 Minuten der Schulstunde, dem improvisierten Unterricht der entnervten Lehrkraft zu folgen. Ohne PC.
Es bedeutet, den Umstand zu akzeptieren, dass sich ein beißender Gestank aus der Jungs-Toilette über denkmalgeschützte Gänge zieht. Und dass die Gehstrecke einmal durch das gesamte Schulgebäude zum einzig verbliebenden Klo führt, wenn der Abort des Grauens dann doch endlich gesperrt wird.
Es bedeutet, sich über das marode Schulgebäude zu beschweren und als Antwort den herabstürzenden Dachstuhl der Nachbarschule vorgehalten zu bekommen. Nach der Devise: Bei uns geht’s doch noch!
Vor allem bedeutet es zu verstehen, dass die Lehrkräfte auch keine Schuld trifft. Zu verstehen, dass sie genauso wie die Schüler in einem System gefangen sind, aus dem scheinbar es keinen Ausweg gibt – und für das kein Geld, keine Planungssicherheit oder gute Ideen existieren.
Gefangen im System – Scheeres und die Berliner Schulen
Wahrscheinlich, so wirkt es zumindest, konnte auch Sandra Scheeres diesem maroden System nicht entkommen. Es war zu kaputt, zu komplex, zu unterfinanziert. Versucht hat sie es durchaus. 2011, als sie überraschend ihr Amt als Bildungssenatorin antrat, forderte der damalige Finanzsenator Schulschließungen und Personalabbau. Scheeres wehrte sich mit Erfolg dagegen, doch die schon bald stark ansteigenden Schülerzahlen sah auch sie nicht voraus. Auch andere Erfolge fallen in ihre Amtszeit, zugeschrieben werden ihr davon allerdings wenige. Kostenloses Mittagessen für Grundschüler, die Berliner Schulbauoffensive und die kostenlosen BVG-Tickets für alle Schüler*innen, dafür hat sie gekämpft. Das Problem: Es waren alles Tropfen auf dem heißen Stein. Zisch und weg.
Die Folgen des jahrelangen Sparkurses in Berlin wurden in den Schulen besonders in Scheeres Amtszeit offensichtlich, gleichwohl sie ihn nicht zu verantworten hat. Genauso werden die jetzt vorgenommenen Investitionen frühsten in einigen Jahren, in der Amtszeit eines neuen Bildungssenators oder einer Senatorin, Früchte tragen. Das ist in der Politik natürlich kein seltenes Phänomen, dennoch kanalisierte sich der Frust Berliner Eltern und Lehrer*innen an Scheeres wie an kaum einer zweiten.
Zum einem, weil Frust immer auch einen Adressaten braucht, und zwar möglichst einen konkreten, an dem er sich abarbeiten kann. Zum anderen, weil es Scheeres ihren Gegnern auch manchmal einfach gemacht hat. Wie letztens, als sie unter härtesten Pandemiebedingungen schuftenden Lehrer*innen einer von Corona betroffenen Schule für das angebliche Nichteinhalten eines Hygieneplans kritisierte. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, von einer „schallende Ohrfeige“ und sogar „Verrat“ war von Seiten der Lehrkräfte die Rede. Und auch sonst kritisierten viele Scheeres Umgang mit der Corona-Krise scharf.
Es hatte schon Gründe, dass der tipBerlin sie im vergangenen Jahr zur peinlichsten Berlinerin wählte.
Wer erbarmt sich als nächstes ?
Einen einfach Job hatte Scheeres als Bildungssenatorin nie. Als sie das Amt übernahm, lag schon zuviel im Argen, als dass die nahende Katastrophe noch abzuwenden war. Klar, etwas mehr Weitsicht, frühere und zielgenauere Investitionen und eine klarere Linie hätten geholfen – aber der Teufel, den viele in ihr sehen, war Scheeres sicherlich nicht. Es ist einfach einer der undankbarsten Jobs, der in der Berliner Politik zu vergeben ist.
Denn zur Geschichte gehört auch: Der Umstand, dass das Bildungsressort seit mehr als 20 Jahren in sozialdemokratischer Hand ist, liegt nicht an der ausufernden Begeisterung für das Resort begründet. Es fand sich gar nicht erst ein Koalitionspartner, der sich diesen Job antun wollte. Vielleicht erbarmt sich ja in der nächsten Legislatur jemand.
Warum wir Scheeres letztes Jahr zur peinlichsten Berlinerin gekürt haben, könnt ihr hier nachlesen. Wir haben Sandra Scheeres, bereits als sie 2011 Bildungssenatorin, wurde interviewt. Schon damals ging es um den Mangel an neuen Lehrern und Erziehern. Hier findet ihr das Interview noch einmal.