Im afrikanischen Viertel werden Zeichen der Dekolonisierung gesetzt: Am 2. Dezember 2022 bekommen dort zwei Straßen neue Namen. In der Nachkriegszeit kam es schon zu einigen demonstrativen Neubewertungen von Straßennamen, die vorherige Diktaturen ehrten. Im Gegensatz dazu hat bis heute noch wenig kritische Distanzierung zur deutschen Kolonialgeschichte stattgefunden. Erst in den vergangenen Jahren kam es zum Umdenken: die jetzige Umbenennung ist einer von vielen Schritten, um die deutsche Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Wir klären, welche Straßen neue Namen bekommen und das „Warum?“ dahinter.
Neue Straßennamen für das Afrikanische Viertel
Am 2. Dezember 2022 sollen zwei Straßen im Afrikanischen Viertel umbenannt werden und an Anführer:innen des Widerstands gegen die deutsche Kolonialmacht erinnern. Um 11 Uhr bekommt der Nachtigalplatz den neuen Namen Manga-Bell-Platz und um 12 Uhr wird die Lüderitzstraße feierlich in Cornelius-Fredericks-Straße umbenannt. Die neuen Namen gehen auf das widerständige Königspaar Emily und Rudolf Duala Manga Bell, welches gegen die deutsche Kolonialmacht in Kamerun kämpfte, und den Nama-Kaptein Cornelius Fredericks zurück. Der Nachtigalplatz wurde 1910 zu Ehren von Gustav Nachtigals, offizieller Begründer der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, benannt. Auch Adolf Lüderitz war Mitbegründer der deutschen Kolonien in Südwestafrika und galt als „Kolonialpionier“.
2023 sollen auch drei Informations- und Gedenktafeln im Bezirk Mitte errichtet werden, welche im Afrikanischen Viertel über die neuen und alten Namensgeber:innen informieren. Die Umbenennung sowie die weitere Informationsplanung geht auf Initiativen afrodiasporischer und solidarischer Nicht-Regierungsorganisationen zurück. Hierzu zählen die „Initiative schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD), „Each One Teach One“ (EOTO), „Berlin Postkolonial“ sowie Träger:innen des Projekts „Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt“. Die Initiativen laden herzlich zu der feierlichen Umbenennung am 2. Dezember in den Wedding ein.
Verwobene deutsche Kolonialgeschichte im Afrikanischen Viertel
Die Geschichte der Kolonialisierung, der Versklavung und der des NS-Regimes hängen tief zusammen: Noch bis 2010 erinnerte das Gröbenufer, heute May-Ayim-Ufer, an Otto Friedrich Wilhelm von der Gröben, der im Auftrag des großen Kurfürsten in den 1680ern, durch das Errichten des Versklavungsforts „Groß-Friedrichsburg“, die materiellen Grundlagen für den brandenburgischen Versklavungshandel gelegt hatte. Auch im Nationalismus wurde er verehrt.
Der Kolonialverbrecher Carl Peters, der als „großer Deutscher“ und „Kolonialbegründer“ mit der Straßenbenennung „Petersallee“ geehrt wurde, war auch Mitbegründer des „Alldeutschen Verbandes“. Dieser verbreitete schon zur Kolonialzeit rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Dies zeigt, wie verwoben die oft getrennt betrachteten geschichtlichen Aspekte eigentlich doch sind. Die Petersallee sollte ebenfalls im Zuge der Umbenennung am 2. Dezember in Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee umgeschrieben werden. Wegen einer Klage von Anwohnenden kann dies jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.
Zweite Welle der Dekolonisierung
Unter dem christlichen Deckmantel, den Menschen im nicht-europäischen Raum das Christentum nahezubringen, fanden nicht nur in deutschen Kolonien Ausbeutung, Raub und Zerstörung der Kultur und der Religion der indigenen Bevölkerung in den besetzten Gebieten statt. Seit einigen Jahren vollzieht sich in deutschen wissenschaftlichen Institutionen, Museen und auch in den Medien eine zweite Welle der Dekolonialisierung. Immer mehr Menschen setzen sich kritisch mit dem Völkermord an den Herero und Nama und der Legitimität der Ansprüche früherer Kolonien auf eine Rückgabe geraubter Kulturgüter auseinander.
Aktuell wird außerdem über die Dekolonialisierung des Denkens debattiert: Es geht um Alltagsrassismus und Asymmetrien im gesellschaftlichen und politischen Machtgefüge. Die öffentlichen Diskussionen und Kontroversen zur Umbenennung von Straßennamen ist ein wichtiger Teil der Dekolonisierungsarbeit in Berlin. Die Initiativen wollen eine breite Öffentlichkeit mit dem Wissen über die historischen Zusammenhänge erreichen, um die Gewaltgeschichte, die Europa, Deutschland und Berlin in Verbindung mit Menschen in und aus Afrika verursacht hat, aufzubereiten. Es geht hierbei um die Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschheit.
Und was macht eigentlich die Mohrenstraße?
Der wohl bekannteste umstrittene Straßenname in Berlin. Die Mohrenstraße in Mitte. Sie verläuft von West nach Ost zwischen der Wilhelmstraße und dem Hausvogteiplatz und bildet dazu an einem Teilabschnitt die südliche Grenze des Gendarmenmarkts. Am westlichen Ende liegt der gleichnamige U-Bahnhof, welcher seit der Wiedervereinigung seinen Namen trägt und die Linie U2 verkehrt.
Der Straßenname diskriminiert schwarze Menschen und geht auf die Zeit ihrer Versklavung und der unfreiwilligen Arbeit am Berliner Hof zurück. Das Begriff M* ist bis heute negativ konnotiert. Schon seit 25 Jahren fordern Initiativen eine Umbenennung, was im Sommer 2020 endlich auf Erfolg stieß. 2021 wurde die Umbenennung in Anton-Wilhelm-Amo-Straße dann auch beschlossen. Seit dem läuft jedoch ein Widerspruchsverfahren, welches die Umbenennung in die Länge zieht.
Mehr Berliner Vergangenheit
Es gibt noch durchaus mehr Straßen, die in Zusammenhang mit der Kolonialisierung stehen: Hier findet ihr noch mehr umstrittene Straßennamen. Diese Berliner Initiativen und kulturellen Einrichtungen klären über Rassismus und die Lebenswirklichkeit schwarzer Menschen auf. Die erste deutsche Kolonialausstellung von 1896 findet ihr als Dauerausstellung in Treptow-Köpenick.