Diesen Freitag soll in Friedrichshain das alternative Hausprojekt „Liebig34“ geräumt werden. Wie bereiten sich die Bewohner*innen und Polizist*innen vor und womit müssen Anwohner*innen und Berliner*innen rechen?
Worum geht es bei der Räumung von Liebig34?
Die Liebig34 wurde 1990, wie viele andere Häuser in Ost-Berlin zu dieser Zeit, von Aktivist*innen besetzt. Kurze Zeit später wurden Teile des Hauses legalisiert. 1999 verwandelte es sich in ein „anarcha-queerfeministischen Hausprojekt“, in dem ausschließlich Frauen wohnten. Über die Jahre zogen zwar auch andere Geschlechtsidentitäten ein, Cis-Männer sind aber bis heute nicht willkommen.
2008 versuchten die Bewohner*innen die Liebig34 zu kaufen, aber die Verhandlungen scheiterten. Stattdessen wurde mit dem neuen Eigentümer, dem umstrittenen Immobilieninvestor Gijora Padovicz, ein Pachtvertrag geschlossen, der Ende 2018 auslief. Trotz zahlreicher politischer Vermittlungsversuche, allen voran von Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), konnten sich Padovicz nicht mit den Bewohner*innen einigen. Er klagte auf Räumung und bekam schließlich auch Recht. Die Räumung der Liebig34 ist für diesen Freitag um 7 Uhr angesetzt.
Wie bereiten sich die Aktivisten auf die Räumung der Liebig34 vor?
Die Aktivist*innen wollen „laut und dreckig“ sein, was Cops anpöbeln, Wandmalereien und Sitzblockaden ausdrücklich einschließt. Vor allem dürfte das Augenmerk aber auch auf den angekündigten „dezentralen Aktionen“ liegen, die Demos, Sachbeschädigungen und eventuell auch Gewaltausbrüche meinen. So verursachte bereits am Montag ein Kabelbrand massive Störungen im S-Bahnverkehr, zu dem sich die Täter*innen auf dem linksextremistischen Internetforum „de.indymedia.org“ bekannten, und dabei unter anderem auf die Räumung der Liebig34 verwiesen. „Jede Räumung, jede Zwangsräumung wird teuer werden für die Stadt.“, ist in dem Bekennerschreiben zu lesen, das für Freitag einiges erwarten lässt.
Außerdem haben die Bewohner*innen die Liebig34 gerüchteweise zu einer Art Festung ausgebaut. Die Polizei rechnet mit Fallen und massiven Barrikaden im Inneren des Hauses. Kampflos, so viel steht fest, werden die Aktivist*innen ihr Hausprojekt nicht aufgeben.
Wie bereitet sich die Polizei auf die Räumung vor?
Die Polizei ist alarmiert. Die ursprünglich für die Räumung und die mit ihr einhergehenden Protestaktionen eingeplanten 2.500 Polizist*innen wurden zuletzt noch einmal kräftig aufgestockt. Ganze 19 Hundertschaften aus anderen Bundesländern werden zu Verstärkung kommen und eventuell sollen auch noch Spezialeinsatzkommandos hinzugezogen werden. Kritiker*innen sprechen von einem unverhältnismäßigem Einsatz der zunehmend militaristisch auftretenden Polizei und befürchten Szenen wie beim G20-Gipfel in Hamburg, wo es zu Polizeigewalt und Rechtsbrüchen gekommen war.
Was erwartet die Anwohner*innen?
Die Polizei verhängte für Donnerstag und Freitag ein Versammlungsverbot rund um die besetzten Häuser der „Rigaer94“ und „Liebig34“. Zutritt soll nur Anwohner*innen und deren Besucher*innen, sowie Menschen mit einem „unabweisbaren Bedarf“ gestattet werden. Anlassbezogen soll aber selbst diesen Personengruppen der Zutritt verwehrt werden können. Fahrzeuge, Kleidercontainer oder Müllbehälter müssen im Vorhinein aus dem Bereich entfernt werden.
Außerdem werden auch die naheliegende Justus-von-Liebig-Grundschule und die Kindertagesstätte „Rock´n´Roll Zwerge e.V.“ am Freitag geschlossen bleiben. Letztere begründen ihre Entscheidung mit dem traumatisierenden Eindruck, den ein solcher Polizeiansatz auf Kinder haben kann. Sie beklagen „Beleidigungen einiger Eltern und Mitarbeitenden durch die Polizei, Ausweiskontrollen bei Pädagog*innen und Elternteilen nach dem Elternabend, ungefragte Film- und Fotoaufnahmen durch Journalist*innen von Kindern und Pädagog*innen“ in der Vergangenheit.
Was erwartet die Berliner*innen?
Die Berliner*innen müssen sich auf ein Wochenende voller Demos, Sachbeschädigung sowie auf eine eventuelle Straßenschlacht zwischen Polizei und linken Aktivist*innen einstellen. Noch dazu hat Verdi für Freitag zu einem ganztägigen Warnstreik bei der BVG aufgerufen, so dass wohl der öffentliche Nahverkehr fast vollständig zu erliegen kommen wird.
Und auch die Klimaaktivist*innen von Extinction Rebellion haben für das Wochenende zu einigen Demos und Blockaden aufgerufen. Für viele Berliner*innen schreit das geradezu nach Home-Office.
Mehr Stadtpolitik:
In Berlin gab und gibt es berühmte Hausbesetzungen – eine Fotogalerie. Immer aktuelle Nachrichten und Kommentare zur Stadtpolitik haben wir hier für euch. Ab Samstag gilt in Berlin ab 23 Uhr eine Sperrstunde für Gastronomen und Geschäfte. Der Senat hat zum Corona-Schutz noch weitere Maßnahmen erlassen. Die Pop-up Radwege in Berlin sind Teil einiger Debatten und Gerichtsverfahren. Nun dürfen die Pop-up-Radwege doch bleiben – vorerst.