Kommentar

#allesdichtmachen: Wie schlicht geht Satire, wie dämlich geht PR?

Mehr als 50 schauspielende Menschen reflektieren in der Kampagne #allesdichtmachen die Corona-Zeit und die Auswirkungen auf uns. Vermeintlich ironisch kritisieren Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Ulrike Folkerts und andere in kurzen Videos die Beschränkungen, mit denen wir seit inzwischen mehr als zwölf Monaten umgehen müssen. Es ist trist, dient niemandem außer rechten Narrativen und blamiert alle Beteiligten bis auf die Knochen.

Jan Josef Liefers. Will kein Querdenker sein, kann angeblich Ironie, bespaßt mit der Kampagne #allesdichtmachen Rechte. Und durfte im letzten Mai sogar noch ohne Maske auftreten. Foto: Imago/Future Image

Liefers spricht über Lügenpresse, andere verhöhnen die Masken

Zum Beispiel der Liefers, der irgendetwas über Medien lamentiert und schöne Worte dafür findet, auch mal „Lügenpresse“ zu sagen. Das Ganze hat eine Metaebene, er ironisiert wohl das, was Querdenkende derzeit laut in die sozialen Medien hinein und teils auch auf der Straße herausbrüllen. Um so darauf aufmerksam zu machen, dass die Kulturbranche leidet, wir alle unter den Verfügungen der Bundesregierung leiden würden.

Allein das ist von so bemerkenswerter Blödheit, dass es schmerzt. „Die Medien“ gibt es nicht. Was schwer ist, in einem Medium zu veröffentlichen, das selbst immer wieder gegen Querdenkende argumentiert. Das Absurde, das so schwer zu Begreifende daran ist, wie sehr es die Realitäten verkennt. In der deutschen Medienwelt gibt es von absolutem Beifall bis zu völliger Verachtung alles. Und zwar nicht nur für Querdenkende. Sondern auch für die Regierung und ihre Maßnahmen.

Es gibt ein paar Menschen aus der Wissenschaft, denen mehrheitlich mehr vertraut wird. Gleichzeitig darf auch Hendrik Streeck, um fulminante Fehleinschätzungen notorisch nicht verlegen, sogar im „Staatsfernsehen“, also dem gebührenfinanzierten, noch Unfug reden. Genau das angeblich gleichgeschaltete Staatsfernsehen, das die linke Twitter-Bubble mindestens im Wochentakt mit diskutablen Talkshow-Gästen, Comedians mit Debattenbedarf und anderen immer auch wieder sehr konservativen Positionen zur Weißglut treibt. Andere ironisieren den Maskenzwang oder die Bitte, zuhause zu bleiben, um sich und andere zu schützen. Ist ja auch ein Fall für Ironie, dass Menschen sterben. Viele Menschen sterben. Wer die Videos schaut, sieht die Promi-Variante der schlimmsten Querdenker-Demos. Aber ach, ist ja ironisch, was? Nein, es ist zum Brechen.

Grundsatzgedanke ist nicht falsch, aber Umsetzung so unfassbar daneben

Diese unsäglichen #allesdichtmachen-Videos reproduzieren Vorwürfe, reproduzieren schnell zu widerlegende Punkte. Und sind in ihrer unerträglichen Banalität deshalb so ärgerlich, weil sie keinerlei Beitrag zu einer gesunden Debattenkultur leisten. Dabei ist der Grundsatzgedanke nicht einmal falsch, im Gegenteil. Es ist zwingend notwendig, alles Mögliche zu hinterfragen. Fatal ist, so zu tun, als geschehe das nicht auf breiter Ebene.

Heike Makatsch. Findet Rechte blöd, arbeitet ihnen aber zu. Unterstützt Kampagnen wie #allesmachtdicht, die die Medien kritisieren, lässt sich aber auch mal vom ZDF bezahlen. Merkt dann, dass sie kritisiert wird und zieht alles zurück. Wow. Foto: Imago/Pop-Eye

Das Faszinierende ist, wie weit sich die verkaufte Wahrnehmung von der breiten Öffentlichkeit verzerrt darstellt. Es gibt kaum jemanden, parteiübergreifend übrigens, der das, was im vergangenen Jahr in Deutschland geschehen ist, in irgendeiner Form vollständig beklatscht. Selbst CDU- wie SPD-nahe, heftig linke bis radikal rechte Medien kritisieren konsequent das immer wieder zu beobachtende, vollständige Versagen unserer Politik, die Lage in den Griff zu bekommen (kleiner Hinweis: der letzte Satz ist etwas, das man in einer Meinungsdiktatur zum Beispiel nicht sagen dürfte).

Den Leuten, die sich #allesdichtmachen ausgedacht, die mitgemacht haben, denen geht es darum, dass sie nicht sagen dürfen, was sie wollen. Doch, verdammte Axt, das dürfen sie. Und natürlich müssen wir damit leben. Es ist nur so absurd, dass geachtete und beliebte Schauspieler:innen keinen eleganteren Weg finden als jenen, die stumpfsten Argumente so nachzukrakeelen, dass sie vor allem von ganz rechts außen beklatscht werden.

Heike Makatsch rudert schon wieder zurück – zu spät

Nein, Kostja Ullman ist höchstwahrscheinlich kein Nazi. Ulrich Tukur hat sicher keine Reichsfahne im Garten. Was sie aber billigend in Kauf genommen haben, ist, genau jenen, auf die das zutrifft, weiteren Aufwind zu geben. Wohlgemerkt sind es jene, die dieser zynischen Kampagne ihr Gesicht geben, auch jene, die weiter arbeiten können. Die ihre gesammelte Prominenz problemlos nutzen könnten, um Druck aufzubauen.

Nora Tschirner bei Twitter (eingebetter Screenshot). Danke.

Dass das alles in dieser Form ein großer Haufen Mist ist, wird teilweise nun auch den Mitwirkenden bewusst. Liefers distanzierte sich von Querdenker:innen, blöderweise ist er direkt ihr Poster-Boy geworden. Heike Makatsch konjunktiviert sich auf Instagram durch ein Statement, in dem sie begründet, wieso sie ihr Video zurückgezogen hat. Falls sie irgendwem vor den Kopf gestoßen und falls sie Rechten und so weiter… ein großer Haufen leerer Bullshit zu PR-Zwecken, nachdem der erste Versuch, ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen, so sehr versenkt war. Zumal sich die Anzeichen mehren, dass hinter der Kampagne durchaus mal wieder fragwürdige Gelder stecken. Immerhin: Promis wie Jan Böhmermann, Elyas M’Barek und Nora Tschirner zählen ihre Medien-Kolleg:innen schon öffentlich an.

Vielleicht wollten sie es aber auch alle nicht anders. Vielleicht sind sie so intellektuell unterversorgt, vielleicht sind ihre Agenturen und Managements so wahnsinnig kurzsichtig, dass sie Zynismus und Sarkasmus, das vermeintliche satirische Verstärken menschenverachtender Denkrichtungen, in Zeiten, in denen Tausende Menschen sterben, für gut befinden.


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