20.000 Unterschriften lautet das Ziel der Initiative „BaumEntscheid“, um beim Senat ein Klimaanpassungsgesetz zu erwirken. Gesammelt wird noch bis zum 9. November 2024. Es geht um das künftige Stadtklima und die Trinkwasserversorgung für alle Berliner:innen. Wir haben mit dem Initiator Heinrich Strößenreuther gesprochen. Der Klimaaktivist sagt: „Jeder gefällte Baum ist einer zu viel.“
Die Berliner Stadtbäume hatten jahrelang mit Hitze und Dürre zu kämpfen
tipBerlin Herr Strößenreuther, wie geht es den Berliner Stadtbäumen?
Heinrich Strößenreuther Sie hatten etliche Jahre mit Hitze und Dürre zu kämpfen, haben zu wenig Wasser, zu kleine Baumscheiben und bestimmt keinen Spaß an Abgasen, Bodenozon und Tausalz. Berlin ist ein hartes Pflaster, selbst da, wo keines ist. Tatsächlich sind 50 bis 90 Prozent der Straßenbäume geschädigt, 6.000 werden von den Grünämtern pro Jahr gefällt, macht 90.000 Straßenbäume bis 2040, fast ein Fünftel des Berliner Straßenbaumbestandes. Berlin wird heißer, grauer und für viele tödlicher, vor allem für alte Menschen und solche in prekären Lebensverhältnissen.
tipBerlin Und Sie wollen den Bäumen helfen.
Heinrich Strößenreuther Ja, ihnen und den Menschen, die für sie kämpfen. Wir sind ein Hoffnungsfunke für die vielen verschiedenen Grüninitiativen der Stadt, die keine starke Lobby in der Stadt haben, wie das dreiste Schneller-Bauen-Gesetz von Senator Gaebler zeigt, das wir gerne als „Schneller-Fällen-Gesetz“ titutlieren.
tipBerlin Der Klima-Volksentscheid, den Sie mit angestoßen haben, ist vor einem Jahr gescheitert, jetzt sammeln Sie Unterschriften für das nächste Volksbegehren, den „BaumEntscheid“. Warum die Eile?
Heinrich Strößenreuther Mit dem Klima-Volksentscheid wollten wir das Klima schützen. Jetzt geht es darum, uns vor dem Klima zu schützen. Es geht darum, Berlin bis 2040 wetterfest und hitzesicher zu machen. Damit wir dann in Berlin noch halbwegs gut und erträglich leben können, trotz Hitze, Dürre und Sturzregen. Auf uns kommen Wettersituationen zu, die wir uns nur ungenügend ausmalen können. Sechs Wochen ohne Regen, das vielleicht ein paar Jahre nacheinander, sodass das Grundwasser weiter zur Neige geht. Die Sträucher, Gräser und Bäume kriegen nichts mehr, Wasser wird rationiert werden, auch in den Villengegenden im Grunewald, Spandau oder Zehlendorf. Auf solche Situationen müssen wir uns vorbereiten. Der Senat wird das von alleine nicht mit der nötigen Konsequenz angehen, denn das kostet Geld und erfordert neue Prioritäten – Bäume statt Beton!
tipBerlin Und wie wollen Sie uns darauf vorbereiten?
Heinrich Strößenreuther Bäume kühlen um zwei bis sieben Grad. Grünflächen sind Kühlkammern – das weiß jeder, der an heißen Sommertagen in den Tiergarten, den neuen Hegelplatz oder den Plänterwald läuft. Also brauchen wir Bäume, als die natürlichste Art des Klimaschutzes. Und wir müssen unsere Bäume und deren Kühl- und Schattenwirkung erhalten. Deshalb haben wir einen Entwurf eines Berliner Klimaanpassungsgesetzes geschrieben, das wir früher einmal „BäumePlus-Gesetz“ genannt haben.
Eine Million gesunde Bäume sollen an Berlins Straßen stehen, sodass alle 15 Meter ein Baum für Schatten sorgt und die heißen Asphaltflächen abkühlt. Zusätzlich entstehen über 1.000 Miniparks und 100 größere Grünflächen, die für frische Luft und erholsame, schattige Orte sorgen. Das Ziel: Jede:r Berliner:in soll zu Fuß in 150 – 500 Metern seine grüne (Mini-)Oase erreichen können.
Auch in den besonders belasteten Hitzevierteln (170 von 540 Kiezen!) setzt das Gesetz an. Dort werden Maßnahmen umgesetzt, um 50 Prozent des Regenwassers direkt vor Ort zu nutzen und Überschwemmungen bei Starkregen zu verhindern. So bleibt das Wasser dort, wo es gebraucht wird, und versorgt die Vegetation nachhaltig. Die Temperatur in diesen Vierteln soll dabei um mindestens zwei Grad gesenkt werden – eine wichtige Entlastung, gerade für ältere und gesundheitlich belastete Menschen.
Ein weiteres zentrales Element ist die aktive Beteiligung der Berliner:innen. Jede:r kann sich beteiligen, sei es durch das Bepflanzen oder Pflegen der Baummulden. Ein Expertengremium überwacht die Maßnahmen und sorgt dafür, dass die Politik ihre Versprechen hält. So bleibt Berlin trotz Klimawandel lebenswert – mit schattigen Straßen und kühlen Parks für alle!
Ich kann mir nicht vorstellen, dass CDU und SPD ernsthaft ihrer Klientel der alten Leute eine graue, heiße Stadt und nicht mehr passierbare Straßen zumuten will und sie de facto zum Ausgehverbot nötigt.
Heinrich Strößenreuther
tipBerlin Sie wollen mit ihrem für Deutschland einmaligen Gesetzesentwurf mindestens drei Berliner Gesetze ändern. Es ist das komplexeste Volksbegehren-Gesetz, das Berlin je gesehen hat. Übernehmen Sie sich da nicht?
Heinrich Strößenreuther Wir haben 20 Jurist:innen mit teils exzellenten Lebensläufen dafür gewonnen, als Ehrenamtliche diese Gesetze auszuarbeiten. Wenn wir bei etwas nicht sicher waren, haben wir lieber nichts riskiert und entsprechende Passagen rausgestrichen. Dennoch: Das Konstruktive an Volksentscheiden ist ja: Egal, wie sie ausgehen, fühlen sich die Parteien ein, zwei Jahre danach verpflichtet, sich in diesen Themen positiv zu profilieren. Und ein Gesetz, das in der Kampagne eines Volksentscheids beschlossen wird, sichert ab, dass die Dinge tatsächlich auch passieren.
432.769 Straßenbäume hatte Berlin bei der letzten Zählung 2021. Da lag die Zahl der Neupflanzungen noch bei 3.000. Gefällt wurden über 6.000. In jedem der vergangenen 20 Jahre wurden mehr Bäume gefällt als gepflanzt. Der amtierende CDU-SPD-Senat allerdings will sich laut Koalitionsvertrag „für das langfristige Ziel einsetzen, den Bestand auf 500.000 Bäume anwachsen zu lassen.“ Und der Regierende Bürgermeister versprach öffentlich, bis zum Ende seiner Amtszeit alle gefällten Straßenbäume direkt vor Ort wieder nachzupflanzen.
Wir haben ihm eine Wette angeboten, auf die er leider noch nicht eingegangen ist. Aber selbst wenn das klappt, ist das zu wenig. 90.000 Straßenbäume werden der Säge bis 2040 ganz sicher zum Opfer fallen, vermutlich deutlich mehr. Damit es vor Ort halbwegs kühl bleibt, soll im Verhältnis 1:3 nachgepflanzt werden, macht weitere 270.000 Straßenbäume aus. Diese brauchen auch gut 30 Jahre, bis sie halbwegs ihre „Bio-Power“ erreichen – und dann bin ich selbst 86 Jahre alt, gehöre zu den „vulnerablen“ Gruppen und bin froh, mit meinem Rollator von Schatten zu Schatten zu wackeln. Tatsächlich geht es darum, über 600.000 Straßenbäume bis 2040 zu pflanzen, nicht in Summe 500.000 zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass CDU und SPD ernsthaft ihrer Klientel der alten Leute eine graue, heiße Stadt und nicht mehr passierbare Straßen zumuten will und sie de facto zum Ausgehverbot nötigt.
„BaumEntscheid Berlin“: Alte Bäume unter Denkmalschutz
tipBerlin Ihr Gesetz soll alte Bäume unter Denkmalschutz stellen.
Heinrich Strößenreuther Das passiert heute schon! Tatsächlich haben wir diese ursprünglich sehr generelle Pflicht wieder aus der Liste gestrichen. Dennoch: Wir müssen Bäume so wertschätzen wie alte Gebäude. Jeder gefällte Baum ist einer zu viel. Die unzähligen Bürgerinitiativen in den Kiezen kämpfen erbittert, oft ohnmächtig gegen die Bau- und Sägewut von Senat, Bau- und Grünämtern. Und wir müssen uns daran gewöhnen, unsere Bäume zu ehren und drumherum zu bauen.
tipBerlin Wie geht ein strenger Baumschutz mit dem Bedarf an Wohnungen einher?
Heinrich Strößenreuther Wir haben in Berlin ausreichend versiegelte Flächen, auf denen man Häuser bauen kann. Wir haben ohne Ende Parkplätze an Supermärkten. Zudem viel Wohnraum, der nur gelegentlich genutzt wird. Viel Leerstand in angemieteten Büros, weil oft mehr als die Hälfte der Belegschaft die Arbeit im Homeoffice vorzieht. Wir haben große Immobilien wie das ICC oder die Hangars des Flughafens Tempelhof, die fast ungenutzt sind. Wir sollten schauen, wie wir den Raum wieder in Wohnraum verwandeln können. Da gibt es noch viele Möglichkeiten, politisch zu gestalten, bevor man Bäume umhaut und Beton vergießt.
tipBerlin Ich vermute mal, das wird nicht ganz günstig.
Heinrich Strößenreuther Nein, 500 Million Euro pro Jahr, mindestens 7,2 Milliarden Euro bis 2040, da sind wir uns als Initiative mit dem Senat einig. Da wir aber 300 Mio. Euro pro Jahr für das 29-Euro-Ticket ausgeben oder die Förderung in den Wohnungsbau auf 1.500 Mio. Euro pro Jahr erhöht wird, ist es eine Frage politischer Prioritäten, nicht eine von verfügbarem Geld. 13 Prozent aller Investitionen des Landes Berlins wären das – wir finden, eine absolut erforderliche und zumutbare Summe. Dann gibt es halt etwas weniger TVO- und A100-Projekte, die wegen des schrumpfenden Kfz-Verkehrs eh nicht mehr erforderlich sind. Wir sind fest überzeugt, dass es uns diese Summe für die Zukunft Berlins wert sein muss.
tipBerlin Sie sind CDU-Mitglied und Umweltaktivist. Passt das zusammen?
Heinrich Strößenreuther 80 Prozent der Berliner:innen stehen dahinter, dass mehr Grün verpflichtend werden soll, 70 Prozent der CDU-Wähler:innen und, halten Sie sich fest, auch 70 Prozent der AfD-Wähler:innen – ein einmaliges Umfrageergebnis in der Republik in Sachen Klimaschutz. Tatsächlich hat auch die verantwortliche Klima- und Umweltstaatssekretärin Britta Behrendt (CDU) sich öffentlich ganz klar hinter unsere sehr prägnanten Ziele gestellt – im Übrigen im Einklang mit Vorstands- und Parteitagsbeschlüssen der SPD, der Linken und den Grünen Berlins, ein einmaliger Vorgang bei einem Volksentscheid, noch während der ersten Unterschriftensammlung. Wir sind als Team sehr stolz darauf, dass wir mit Hintergrundgesprächen, Erklären und Miteinander-Reden diesen parteiübergreifenden Konsens haben erreichen können.
tipBerlin Sie meinen, die Bäume sind so etwas wie das verbindende Element?
Heinrich Strößenreuther Bäume sind eine Freude für Seele und Geist. Zu deren Wirkung gibt es etliche wissenschaftliche Studien. Wenn ich einen Baum sehe, fühle ich mich wohl. Da fängt das gute Leben an. Bäume sind für die Gesundheit gut und wichtig. Das ist, was die Leute spüren. Eine Straße mit oder ohne Baum: eine ganz andere seelische Gesundheit. Und für die Stadtviertel und Kieze sind Bäume ein Stück Identität. Vordergründig haben wir uns vielleicht stark von den Bäumen entfremdet, vielleicht auch nur die Beton- und Baupolitik, aber wir alle haben sie tief im Herzen. Tatsächlich war die Epoche der Romantik mit ihrem deutschen Literatur- und Liedgut eine Reaktion auf die massiven Abholzungen im späten Mittelalter und der frühen Industrialisierung. Diese „Umweltbildungsarbeit“ von damals ist unser heutiges politisches Kapital. Denn es tut einem in der Seele weh, wenn ein Baum umgehauen wird oder verdorrt.
tipBerlin Umarmen Sie Bäume?
Heinrich Strößenreuther Um den Söder zu machen? Ja, neulich in Brandenburg bei einem Prachtkerl von Baum. Ansonsten: Wenn ich durch Berlin radle, steig ich nicht ab, um Bäume zu umarmen, aber ich streichle manchmal Blätter, auch bei meinen Pflanzen zu Hause. Bäume gibt es schon viel länger als Menschen. Und ich stand im Studium in Kanada mal vor einem 2000 Jahre alten Mammutbaum mit zwei Metern Durchmesser. Das veränderte etwas in mir und hat für mein Berufsmotto gesorgt, das mich seit 30 Jahren trägt: Die Umwelt schützen, Spaß dabei haben und damit meine Brötchen verdienen.
tipBerlin Haben Sie einen Lieblingsbaum?
Heinrich Strößenreuther Ja, und zwar die riesige, ahornblättrige Platane im Sellerpark im Wedding. Sie ist 114 Jahre alt, majestätisch und ihr Anblick mich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit glücklich. Einer meiner Lieblingsbäume steht zudem vor dem Kanal am Humboldforum. Anfang der 2010er-Jahre hing da eine Schaukel dran, auf der schaukelte ich gerne. Der Baum steht nun ganz allein da. Rundherum nur Beton, Asphalt und Pflasterstein, viele Äste mittlerweile abgestorben. Schlimmer lässt sich nicht symbolisieren, wie wenig wertgeschätzt Bäume für die Idee unserer Stadt werden. Wie kann man eine so große Fläche mit so wenig Grün planen? Ein paar Bäume zu pflanzen ist ja keine Raketenwissenschaft. Ich lebe seit zwei Jahren in der Europa-City. Ein Kiez fast ohne Grün. Als ob die Stadtplaner:innen noch nie was von Erderhitzung gehört hätten. Wenn da 3.000 neue Wohneinheiten hinkommen, hätten da auch mindestens 3.000 Bäume hingehört. Von den wenigen, die gepflanzt wurden, sind die meisten schon wieder eingegangen, die haben den ersten Sommer nicht überlebt. Das hat mich wütend gemacht und schließlich die Idee des BaumEntscheids hervorgebracht. Das nun Hunderte von Berlinerinnen und Berliner bei der Gesetzeserarbeitung, bei unserer PR-Kampagne und jetzt beim Unterschriftensammeln anpacken, erfreut mich immer wieder.
tipBerlin Wir brauchen also eine Millionen gesunde Straßenbäume?
Heinrich Strößenreuther Ja, weil sie Sauerstoff, gesunde Luft, Schatten und Stadtkühle produzieren. Wir brauchen die Bäume für die Kühlung der Stadt.
tipBerlin Der BUND bereitet gerade auch ein Volksbegehren vor zum Thema Grünflächenschutz und -ausbau. Was unterscheidet die zwei Projekte?
„BaumEntscheid“ soll einen Gesetzesentwurf für den Senat liefern
Heinrich Strößenreuther Wir wollen die starke Variante eines Volksentscheids, die mit eigenem Gesetzesentwurf; der BUND formuliert lediglich eine Aufforderung an den Senat. Aber auch wir fordern eine Netto-Versiegelung von höchstens Null. Wir können nicht weiter Flächen versiegeln, denn der Hauptjob einer klimaresilienten Stadt ist, Wasser zu recyceln. Dafür brauchen wir durchlässige Flächen. Zur Erläuterung: Der BUND hat das Vorhaben inzwischen beerdigt, weil sich bestimmte Dinge auf Landesebene nicht regeln lassen, ohne gegen Bundesgesetze zu verstoßen und ein Beschlussentscheid kaum Wirkung hat, das war auch immer unser Argument.
tipBerlin Vom Senat hören wir auch immer wieder von der sogenannten Schwammstadt …
Heinrich Strößenreuther Ja. Denn die große Frage und tickende Zeitbombe zugleich ist ja: Wie lang gibt es in Berlin noch Grundwasser für unser Stadtgrün und Trinkwasser für uns alle? Am Oberlauf der Spree sind Kohlebergbaubetriebe, die jetzt stillgelegt werden und künftig kein Wasser mehr in die Spree pumpen, obwohl wir aus dem Uferfiltrat unser Trinkwasser gewinnen. Das heißt, wir müssen Wasser im Kreislauf halten. Es wird ja in Summe nicht weniger Regen geben, sondern die Menge wird sogar steigen. Allerdings wird sie nicht gleichmäßig verteilt, sondern vor allem in Sturzregen herunterkommen. Die Kunst ist, den Regen zu ernten und ins Grundwasser versickern zu lassen, bevor das Wasser über die Kanalisation und die Spree aus der Stadt unverrichteter Dinge wieder abfließt.
tipBerlin Laut der Wasserbetriebe sind die Hauptzuflüsse von Spree und Havel im Sommer die Klärwerke. Deshalb arbeiten die Wasserbetriebe an deren Verbesserung und versuchen durch Grundwasseranreicherung, Brunnenregeneration und Brunnenneubau Berlins Wasserversorgung auf stabilere Füße zu stellen. Was wollen Sie mehr?
Heinrich Strößenreuther 50 Prozent des Regenwassers in der Innenstadt soll vor Ort im Boden verbleiben. Man kann die Schwammstadt, die Entsiegelung, noch viel offensiver vorantreiben: Jeder Tropfen, der nicht abfließt, zahlt auf Berlins Zukunft ein. Dazu braucht es saugfähige Dachgärten, die obendrein kühlen, entsiegelte Flächen, Baummulden als Sickergruben, gezielte Überflutungsflächen. Die Berliner Regenwasseragentur und der Senat haben schon viele Ideen und Visions- und Charta-Erklärungen auf Hochglanzpapier. Wir sorgen jetzt dafür, dass der Konjunktiv verpflichtet und konkrete gesetzliche Pflichten entstehen.
tipBerlin Es hat den Winter über ziemlich viel geregnet. Das Grundwasserdefizit der vorangegangenen vier Dürrejahre ist zumindest im Urstromtal wieder ausgeglichen. Vielleicht ist jetzt das Schlimmste vorbei?
Heinrich Strößenreuther Im Durchschnitt wird es trockener, heißer, grauer. Auf vier trockene Jahre kann ein nasses folgen. Das hilft dem Grün und den Bäumen wenig, bis zu 90 Prozent der Straßenbäume sind geschädigt. Der Schlosspark Sansscouci wird in fünf Jahren nur noch die Hälfte seiner alten Parkbäume haben, unrettbar verloren. Was weiter steigt, ist der Temperaturzähler. Wenn die Durchschnittstemperatur steigt, steigen die Spitzenwerte massiv. Tagtäglich werden wir bombardiert mit Negativ-Rekord-Meldungen, die sich im städtischen Baumsterben und ländlichen Waldsterben wie im Harz dann ganz plakativ zeigen.
tipBerlin Wie wollen Sie Berlins Stadtnatur auf die möglichen Wetterextreme vorbereiten?
Heinrich Strößenreuther Durch den Klimawandel und den Hitzestress sterben uns Bäume weg, gleichzeitig gibt es in verschiedenen Klimazonen in Europa Bäume, die gut zurechtkommen. Auch in Spanien gibt es noch Bäume, die sehen halt anders aus. Der Senat erhält die Pflicht, alle zehn Jahre eine aktualisierte Pflanzliste zu veröffentlichen. Ergänzend muss das Budget zur Pflege zu gesunden Straßenbäumen der Schädigungsstufe Null, inklusive gießen und allem, was die Botanikindustrie zu bieten hat, drastisch erhöht werden. So ein Baum wächst pro Jahrzehnt nur zwei bis fünf Meter: Lassen wir die in der Hitze stehen, sterben sie. Pflanzen wir jetzt nicht massiv, wird Berlin in einer Generation in den heißen Monaten für viele ungesund bis tödlich, vor allem die alten Menschen, Menschen in prekären Lebenssituationen, in Wohnungen, die zu Hitzefallen werden, weil der Mieter nicht mal ein Rollo anbringen darf.
tipBerlin Anfang des Jahres wurden in Friedenau vier Menschen durch eine umstürzende Roteiche zum Teil schwer verletzt. Der Baum war pilzgeschädigt. Alte Bäume, von denen Sie ja Fan sind, können lebensgefährlich sein.
Heinrich Strößenreuther Es ist so wie bei uns, wenn wir geschwächt sind, haut uns der kleinste Virus um. Genau so ist es mit Bäumen. Wenn die durch Hitze, Dürre und Wassermangel geschwächt sind, haben Schädlinge ein leichtes Spiel. Jetzt haben wir es noch in der Hand, für unsere Bäume, egal ob an der Straße, in den Parks oder den Berliner Forsten, zu sorgen. Deshalb bitte ich stellvertretend für das gesamte Team BaumEntscheid: Laden Sie die Unterschriftenliste herunter, unterzeichnen Sie, sammeln Sie und schicken uns die Liste bis zum 9. November 2024 zurück. Gemeinsam können wir jetzt noch unser Berlin hitzesicher und wetterfest machen – helfen Sie dabei bitte mit.
Zur Person – Heinrich Strößenreuther: Ein Mann für viele Bäume
Heinrich Strößenreuther ist professioneller Umweltaktivist. 2016 hat er mit seiner Volksentscheid-Initiative dem damals rot-rot-grünen Senat eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik abgerungen, Vorbild für 56 Radentscheide im ganzen Bundesgebiet. 2019 hat Strößenreuther die Klimaorganisation German Zero gegründet, die bislang bundesweit 80 Klimaentscheide angeschoben hat, auch den Klima-Volksentscheid, der Berlins CO₂-Emission bis 2030 auf Netto-Null bringen sollte. Der Entscheid ist Ende März 2023 an Senatssabotage und in Folge zu geringer Beteiligung gescheitert. Seit Herbst 2023 entwickelt Strößenreuther mit einem Team aus Ehrenamtlichen, anfänglich gesponsert von der Suchmaschine Ecosia, die mit ihren Gewinnen Bäume pflanzen lässt, Deutschlands erstes konkretes Klimaanpassungsgesetz, das, wenn die dazugehörige Volksentscheidkampagne glatt läuft, 2026 in Kraft treten soll. Das Gesetz ist im Sommer dem Senat vorgelegt worden; gerade läuft die erste Unterschriftensammlung. Bis Anfang November haben die Aktivist:innen Zeit, 20.000 Unterschriften von Berliner Wähler:innen ab 16 Jahren zu sammeln. Sind sie erfolgreich, folgen, vermutlich im Herbst 2025, weitere vier Monate Unterschriftensammlung, etwa 250.000 müssen dann zusammenkommen. Ziel ist ein Volksentscheid zur Abgeordnetenhauswahl im September 2025. Stimmen dabei genug dafür, ist Gesetz ohne weitere Verhandlung und politisches Geschachere unmittelbar in Kraft gesetzt.
Welche sind besonders häufig? Wir stellen die Berliner Stadtbäume vor. Wenn die Sonne in der warmen Jahreszeit wieder einmal unerbittlich knallt, freuen sich auch die Stadtbäume über eine Abkühlung: Das Projekt „Gieß den Kiez“ will den Bäumen helfen. Wie geht es der Stadtnatur? Wir stellen Berliner Naturschutzgebiete vor.