Die Corona-Krise ist für alle eine Herausforderung. Wie sich Quarantäne und Unsicherheit allerdings für Migrant*innen anfühlen, die fern der Familie leben, berichtet unsere „tip English“-Redakteurin Beth Jones.
Die meisten meiner Freund*innen sind gerade erschöpft. Erschöpft davon, zuhause zu bleiben, erschöpft davon, nicht zuhause zu sein. Die schnelle Eskalation der Corona-Krise hat die große internationale Community Berlins in ein Dilemma gestürzt: Lassen wir alles stehen und liegen und gehen dorthin zurück, wo wir herkamen (falls wir es überhaupt können!)?
Einerseits in Angst um unsere Familien dort, andererseits besorgt über unsere Jobsicherheit und unseren Aufenthaltsstatus hier? Oder warten wir in diesem komischen Zwischenstatus in unserer Wahlheimat, in unserem ewigen Zustand der Semi-Integration?
Keine leichte Entscheidung für Migrant*innen
Für viele ist die Entscheidung, in Berlin zu bleiben – zumindest jetzt noch – keine leichte. Wir alle haben verletzliche Verwandte und Freunde in der Heimat, und die derzeitige Lage könnte kaum ernster sein. Wir sind schon zu den schönsten Anlässen weit von unserer Heimat entfernt, geschweige denn jetzt, wo kaum Linienflüge zu finden sind.
Wenn irgendwas passieren sollte, wenn Corona eine*n meiner Lieben erreicht, würde ich lebenswichtige Organe verkaufen, um einen Privatflieger zu chartern – da bin ich mir ziemlich sicher. Aber was könnte ich ausrichten, wenn ich erst mal dort bin? Ungefähr genauso viel oder wenig wie von hier aus.
Man mag sich fragen, warum wir dann nicht die Unbequemlichkeit hinnehmen und ein paar Monate zu Eltern oder Freund*innen ziehen, bis die Krise vorrüber ist, wenn es uns so umtreibt, nicht zuhause zu sein? Für viele bleibt das, so es denn noch Flüge gibt, eine Möglichkeit. Aber für andere, so zum Beispiel auch mich, gibt es keinen Ort, wo ich hingehen und eine längere Zeit leben könnte. Außerdem sind mein ganzes Leben und der überwiegende Teil meines Supportnetzwerks hier in Berlin.
Eine gigantische Herausforderung
Die Situation ist sowieso schon eine gigantische Herausforderung für die mentale Gesundheit aller überall, und fern von meinem eigenen Leben zu sein, wenn auch näher dran an meiner Familie, wäre ein weiterer, destabilisierender Faktor in einer sowieso schon schwierigen Situation.
Für manche etablierte zugewanderte Berliner*innen war die Entscheidung allerdings sofort klar. Maisie Hitchcock zum Beispiel, Teil des regelmäßig erscheinenden Berliner Expat-Podcasts Radio Spätkauf, kehrte aufgrund der Krise zu ihrer Familie nach Großbritannien zurück. Über den Podcast teilt sie nun ihre Erfahrungen mit dem britischen Umgang mit COVID-19.
Ähnlich ging es einem jungen griechischen Paar, das erst kürzlich eine Wohnung in Neukölln untergemietet hatte. Die beiden wollten ein gemeinsames Leben in Berlin beginnen. Doch sie lösten ihren Mietvertrag auf und gingen zurück nach Griechenland. Es ist gerade nicht die Zeit, ein neues Zuhause aufzubauen.
Angst und Unsicherheit
Während Deutschland die Details der Unterstützungsangebote für die von der Krise am akutesten Betroffenen ausarbeitet, besonders jene, die – wie viele Migrant*innen eben auch – in den Bars, Restaurants, Cafés und Clubs der Stadt arbeiten, herrscht auch viel Angst und Unsicherheit. Für viele, auch die, die schon etabliert sind und ihre eigenen Unternehmen im Gastronomiebereich führen, ist die Situation nämlich alles andere als eindeutig.
Laurel Kratochvila, ursprünglich aus Boston, ist Inhaberin von Fine Bagels, einem Café und Bäckerei mit angeschlossenem Buchladen in Friedrichshain. Sie berichtete unserem Magazin letzte Woche schon von ihrer Situation: “Ich weiß nicht, was es für die Erneuerung meines Arbeitsvisums bedeuten würde, wenn ich Hilfe in Anspruch nehme. Ich bin zwar in einer sicheren Position, aber natürlich beziehe ich das in meine Entscheidung ein, ob ich Unterstützung beantrage oder nicht.”
Des, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, ist US-Amerikanerin und arbeitet in Berlin als Bäckerin. Auch sie sprach mit unserer Food-Redaktion: derzeit läuft ihr Verfahren für ein neues Arbeitsvisum. Doch sie ist unsicher, ob sie ihren Aufenthaltsstatus riskieren würde, wenn sie staatliche Hilfen wie Hartz IV annimmt. “Ich war lange selbstständig und habe erst vor kurzem eine feste Stelle in einem Restaurant angenommen. Doch wegen Corona habe ich den Job jetzt verloren. Und ich weiß nicht, ob ich Hartz IV bekommen kann oder sollte.”
Was passiert, wenn Migrant*innen keine Papiere haben?
Und es gibt zweifellos andere in der Stadt, die durch das Raster fallen könnten. Migrant*innen, die nicht gemeldet sind oder keine Papiere haben, beispielsweise. Was passiert, wenn sie aufgrund der neuen Kontaktverbot-Verordnungen auf der Straße angehalten und befragt werden?
Andere, die schon länger hier leben und das Glück haben, deutsche Staatsbürger geworden zu sein, finden sich auch damit an, finanziele Zuschüsse zu beantragen. Sanni Est, ursprünglich aus Brasilien stammende Musikerin, Filmemacherin, Schauspielerin und Kulturproduzentin, lebt hier schon seit 13 Jahren und ist dankbar für ihre relative Sicherheit.
Die Krise als globales Problem
“Ich habe noch nie Geld vom Staat erhalten, aber jetzt, wo es unausweichlich ist, habe ich mich schon dafür beworben”, erzählt sie. “Aber als Projektmanagerin mit mehreren Projekten, die erst kürzlich vom Senat genehmigt wurden, weiß ich, dass auch ohne Auftritte als DJ oder Workshop-Leiterin meine Grundbedürfnisse gesichert sind.”
Sie reflektiert jedoch ihr relatives Privileg und Glück, Zugang zu den Hilfen, die sie brauchen kann, zu haben und betrachtet die Krise von einer eher globalen statt individuellen Perspektive. “So wie ich den bürokratischen Prozess des Ganzen kenne, zweifle ich daran, dass irgendjemand ohne Papiere überhaupt bezahlt wird. Und es entmutigend daran zu denken, dass Dutzende, wenn nicht hunderte, Freunde von mir, die ihr ganzes Leben der Kunst und sozialen Projekten widmen, nicht den goldenen Pass haben, den ich habe.”
Übersetzt von Aida Baghernejad
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