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Brandenburg-Wahl: Katja Lucker spricht über Kulturförderung im ländlichen Raum

Elf Jahre überblickte Katja Lucker als Geschäftsführerin des Musicboard Berlin die Anliegen der Berliner Musikszene, sie war die Miterfinderin des Pop-Kultur Festivals, förderte ungezählte Projekte, rettete so manchen Club, unterstützte Initiativen und setzte sich unermüdlich für das kreative Potential dieser Stadt ein. Seit Januar 2024 ist Lucker Geschäftsführerin der Initiative Musik, die seit 2007 bundesweit und gemeinnützig im Auftrag der Bundesregierung die Musikwirtschaft in Deutschland fördert. Wir sprachen mit Katja Lucker im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg über Kultur und Förderpolitik in ländlichen Regionen, die bedrohliche Situation für Festivals und Musikorte durch die immer stärker werdende AfD und über die Zukunft.

Katja Lucker war vor ihrem Wechsel zur Initiative Musik elf Jahre Geschäftsführerin des Musicboard Berlin, das sie 2013 gründete. In dieser Funktion wirkte sie unter anderem als Festivaldirektorin des Berliner Pop-Kultur-Festivals und der Fête de la Musique. Foto: Roland Owsnitzki
Katja Lucker war vor ihrem Wechsel zur Initiative Musik elf Jahre Geschäftsführerin des Musicboard Berlin, das sie 2013 gründete. In dieser Funktion wirkte sie unter anderem als Festivaldirektorin des Berliner Pop-Kultur Festivals und der Fête de la Musique. Foto: Roland Owsnitzki

Katja Lucker: „Ich sehe viel Potenzial“

tipBerlin Frau Lucker, Sie sind seit Anfang Januar Geschäftsführerin der Initiative Musik, sind Sie gut in der neuen Position angekommen?

Katja Lucker Ja, sehr. Ich bin jetzt fast zehn Monate hier und muss sagen, es fühlt sich sehr gut an. Ich sehe viel Potenzial, eine gute Zukunft und es macht mir sehr viel Spaß. 

tipBerlin Wie fühlt es sich an, nicht mehr beim Musicboard Berlin zu sein, von wo aus Sie als Geschäftsführerin die letzten Jahre nachhaltig die Berliner Musikszene geprägt haben?

Katja Lucker Kürzlich habe ich im House of Music auf dem RAW-Gelände eine Rede anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Music Pool gehalten. Vor mir sprachen viele Menschen, die mich für meinen Einsatz lobten und erzählten, wem ich alles schon geholfen habe. Ich habe sogar Blumen überreicht bekommen, was sehr schön war. In meiner Rede sprach ich darüber, wie wir vor zehn Jahren die Gründung des Music Pools auf den Weg gebracht haben. Ich erwähnte auch, dass ich in letzter Zeit oft Reden gehalten habe, beispielsweise beim Pop-Kultur Festival, obwohl ich für viele dieser Dinge gar nicht mehr zuständig bin. Ich bin also noch drin in der Stadt aber zugleich fühlt es sich gut an, den Staffelstab an andere weiterzugegeben. Ich genieße es, jetzt eine bundesweite Perspektive zu haben, obwohl ich die Berlin-Perspektive immer sehr geschätzt habe. Berlin bleibt weiterhin ein wichtiger Teil meiner Arbeit und meines Lebens, aber diese neue, größere Perspektive ist für mich eine natürliche Weiterentwicklung. 

tipBerlin Die Initiative Musik kümmert sich bundesweit um die Belange von Popmusik und Jazz, machen Sie im Prinzip ihre Arbeit, die sie beim Musicboard gemacht haben, weiter, nur eben im ganzen Land und nicht mehr nur in der Hauptstadt?

Katja Lucker Ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass man noch mehr arbeiten kann als zuvor, aber tatsächlich arbeite ich jetzt noch mehr. Die Förderstruktur ist anders, da die Initiative Musik stärker in der Musikwirtschaft verankert ist und andere Förderprinzipien verfolgt. Unsere Förderprogramme unterscheiden sich, und wir haben drei große Awards als Schaufenster nach außen: den Applaus als Spielstättenprogrammpreis, den Deutschen Jazzpreis, die beide viele Preisgelder vergeben auch und den Polyton mit der Akademie für populäre Musik. Außerdem ist natürlich die Struktur in der ich mich bewege anders, da der Bund als Geldgeber auftritt, darunter auch das Bundeswirtschaftsministerium. In Berlin war ich natürlich viel mit der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Kultursenator im Aufsichtsrat im Austausch. Jetzt arbeite ich viel mehr mit Gremien auf Bundesebene, Bundesverbänden, größeren Aufsichtsräten und Beiräten. 

tipBerlin Mit dem Musicboard, das es so vorher nicht gab und das sie mitkonzipiert haben, betraten Sie damals Neuland was den Bereich der Förderung von Popmusik anging. Die Initiative Musik existiert hingegen seit 2007, man könnte von einer etablierten Institution sprechen mit einem Jahresbudget von etwa 16 Millionen Euro. Wie viel eigenen Gestaltungsraum haben Sie in so einer gewichtigen Konstruktion?

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Katja Lucker Das Jahresbudget bewegt sich nach der Pandemie bei ungefähr 20 Millionen, der Haushalt 2025 steht ja auch noch gar nicht endgültig. Aber ja, ich war schon immer gerne Pionierin und habe viele Dinge initiiert, wie eben das Musicboard oder später das Pop-Kultur Festival und es gibt sicherlich noch ein paar weitere Projekte in der Stadt, die ich vielleicht vorangetrieben habe. Das hat seinen besonderen Reiz. Wenn man so etwas schon oft gemacht hat, liegt der Anreiz darin, an einen neuen Ort zu kommen, mit ganz anderen Herausforderungen. Genau das erlebe ich jetzt, nachdem ich in eine Organisation gekommen bin, die es seit mehr als 16 Jahren gibt, mit Menschen, die teilweise schon sehr lange dort arbeiten und anderen, die neu dazugekommen sind. Nach gut neun Monaten kann ich sagen, dass es spannend ist, sich damit auseinanderzusetzen, wie man bestehende Strukturen fortführt aber auch verändert. Natürlich nehme ich auch Veränderungen vor, beispielsweise in Bezug auf die Unternehmenskultur, da ich als neue Geschäftsführerin mit meinen eigenen Überzeugungen und Ansichten komme. Eine Geschäftsführung prägt immer das Unternehmen, und das werde ich auch tun. 

tipBerlin Ein Hauptanliegen dieses Gesprächs ist die Situation von Musik- und Kulturorten in den Bundesländern, in denen gerade die AfD auf dem Siegeszug ist. Sie sind im ganzen Land unterwegs, wie sind da Ihre grundsätzlichen Eindrücke, verschiebt sich die kulturelle Infrastruktur insgesamt nach rechts?

Katja Lucker Das Thema der kulturellen Förderung im ländlichen Raum ist für uns ein zentrales Anliegen. Im Festival-Förderfonds haben wir beispielsweise 70 Prozent der Mittel in nicht-urbane Regionen verausgabt. Das betrifft nicht nur den Osten Deutschlands, sondern ist auch in Bundesländern wie Niedersachsen ein relevantes Thema. Eigentlich überall da, wo wir keine Metropolstrukturen vorfinden. Kürzlich hatten wir ein Panel mit zwei Expert*innen, die in ländlichen Strukturen arbeiten – Stefan Reichmann von Haldern Pop und Patty Kim Hamilton, die im Performance-Theater aktiv ist. Sie schilderten, was es bedeutet, Kultur in ländlichen Gebieten zu schaffen. Dabei wurde auch Kritik an der bisherigen Bundesförderung laut, die häufig eher auf intellektuell anspruchsvolle Projekte in urbanen Zentren ausgerichtet ist. Oft wurden niedrigschwellige Angebote, wie sie in ländlichen Gemeinden vorkommen – Blaskapellen, Dorffeste, oder Dorfkneipen, oder eben das geschichtenerzählende Theater im Grünen – nicht genügend berücksichtigt.

Katja Lucker: „Blaskapellen, Dorffeste, oder Dorfkneipen – Ich glaube, dass wir als Gesellschaft einen Fehler machen, wenn wir diese Art von Kultur übersehen“

tipBerlin Teilen Sie diese Ansicht?

Katja Lucker Ich glaube, dass wir als Gesellschaft einen Fehler machen, wenn wir diese Art von Kultur übersehen. Es ist wichtig, Menschen wieder stärker mit Geschichten und Angeboten anzusprechen, die sie direkt betreffen. Gerade im ländlichen Raum muss Kultur gefördert und unterstützt werden. Dabei sollten wir uns auf die positiven Kräfte vor Ort konzentrieren, die bereits Kulturarbeit leisten, anstatt uns nur auf die Bedrohung durch antidemokratische Parteien zu fokussieren. Viele Menschen dort fühlen sich seit Jahren vernachlässigt, obwohl sie kulturell aktiv sind. Das führt dazu, dass sie sich von der Gesellschaft und von Förderprogrammen nicht gesehen fühlen. Aber das ist natürlich auch ein Problem, wenn die ganzen guten Leute, die irgendwas auf dem Kasten haben, die organisieren können, die irgendwie Lust haben auf Kultur, wenn die alle abhauen und alle nach Köln, Hamburg, Berlin gehen und eben nicht dableiben und das liegt ja teilweise auch an fehlenden Strukturen. 

tipBerlin Das ist nicht nur ein Problem in AfD-Zeiten, oder?

Katja Lucker Stimmt, aber gerade jetzt verschärft es sich deutlich und wird zu einer Bedrohung für die Demokratie. Viele Menschen, vor allem jüngere Frauen, halten es in den ländlichen Regionen dann irgendwann nicht mehr aus und ziehen weg. Das führt dazu, dass vor Ort wichtige Stimmen und Impulse fehlen, während sich die Menschen in die Innenstädte zurückziehen. Wenn niemand den Sinn darin sieht, in den ländlichen Regionen zu bleiben und dort etwas aufzubauen, entsteht eine gefährliche Leere. Das ist ein großes Problem, aber ich weiß aktuell auch nicht genau, wie man es lösen kann.

tipBerlin Um konkret zu werden. Man hört immer wieder von alternativen Musikorten, linken Jugendclubs oder ambitionierten Festivals, die von der Lokalpolitik, in der vermehrt die AfD den Ton angibt, also in Bundesländern wie Thüringen oder Sachsen, bedroht sind, weil ihnen die ohnehin wenige Förderung entzogen wird oder zumindest damit gedroht wird. Können Sie solche Zustände bestätigen?

Katja Lucker Es gibt durchaus Ansätze, wie man etwas tun kann. Es gibt linke Jugendclubs, Proberäume oder ambitionierte Festivals in der Provinz – all das sind Strukturen, die oft stark von der Lokalpolitik abhängen. Diese Projekte könnten gefährdet sein, wenn AfD-Stadträte in Entscheidungspositionen kommen. Die Initiative Musik kann durch gezielte Förderpolitik Einfluss nehmen, und genau das tun wir auch. Wir planen beispielsweise eine Konferenz in der Lausitz noch in diesem Jahr und führen zahlreiche Gespräche mit Menschen aus der Region. Ich habe dieses Thema auch häufig mit Politikern besprochen, die das Problem erkennen, oder teilweise selbst aus ländlichen Regionen kommen und die Brisanz absolut auf dem Schirm haben!

tipBerlin Sprechen wir über Brandenburg, dort wird kommenden Sonntag gewählt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Landtagswahl?

Katja Lucker Es ist nicht mehr überraschend, dass wir uns auf Veränderungen einstellen müssen, nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen, aber eigentlich auch schon vorher, weiß man ja, wohin sich die Dinge entwickeln. Wir sollten daher die Initiativen unterstützen, die Dinge vorantreiben, insbesondere in Brandenburg, wo viele Festivals und kulturelle Projekte stattfinden. Die Tatsache, dass solche Veranstaltungen in Brandenburg existieren, zeigt die dortigen Möglichkeiten. Die politische Lage, insbesondere die mögliche Rolle der AfD, könnte Auswirkungen auf die Kulturszene haben. 

tipBerlin Müssen wir uns eigentlich auch um Berlin Sorgen machen, oder leben wir hier so gesehen auf der Insel der Glückseligen?

Katja Lucker In Hamburg ist die AfD kaum ein Thema. In Berlin ist sie zwar nicht schwach, aber in den Metropolen muss man sich meiner Meinung nach erstmal keine großen Sorgen machen.

Katja Lucker: „Es gibt aktuell wenig Spielraum für neues Geld“

tipBerlin Um die Provinz, nicht nur aber vor allem im Osten des Landes aber schon, was kann die Initiative Musik denn konkret tun, müssen Sie mehr Geld in die Hand nehmen, um bedrohte Orte und Projekte, die vielleicht auf Landesebene keine Gelder mehr bekommen, von der Bundesebene aus zu retten? 

Katja Lucker Es wird ja gerade endlos diskutiert, besonders über den Bundeshaushalt 2025. In der Musik und bei den Bundesfonds wurde bereits reduziert. Die eigentliche Frage ist, wie der Haushalt 2025 aussehen wird, denn die finanzielle Lage auf Bundes- und Länderebene ist durchaus angespannt. Es gibt aktuell wenig Spielraum für neues Geld, was die Situation eher schwierig macht. Daher sprechen einige Verbände auch offen für Umverteilung z.b. Hoch-versus Subkultur. 

tipBerlin Das klingt jetzt pessimistisch. Blicken Sie einmal in die Zukunft, was steht uns kulturpolitisch bevor?

Katja Lucker Ich glaube nach wie vor an die Kraft, die wir gemeinsam entfalten können und vertraue darauf, dass die Mehrheit klug genug ist, um zu erkennen, welche Ziele antidemokratische Kräfte tatsächlich verfolgen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir es schaffen werden und etwas Gutes daraus entstehen kann. Aber das geht nur, wenn man gemeinsam handelt, da hin schaut, wo es schwierig ist und Unterstützung benötigt wird. Es wäre gut, wenn wir klar für eine Kultur des Miteinanders einstehen.


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