Die Ampel-Parteien dürften aller Voraussicht nach die Legalisierung von Cannabis durchsetzen, das kam bei den laufenden Koalitionsverhandlungen heraus. Der Verkauf von Gras und Haschisch zu Genusszwecken soll kontrolliert über lizensierte Fachgeschäfte ablaufen. Die fortschrittliche Drogenpolitik ist prinzipiell zu begrüßen, trotzdem beschleicht einen die düstere Ahnung, dass die Sache in Berlin nach hinten losgehen wird. Ein wenig jubelnder Kommentar – zu einer an sich zu bejubelnden Angelegenheit.
Die Realität politisch ernst zu nehmen ist eine gute Sache
Kiffen ist Realität, genauso wie Bier trinken, Zigaretten rauchen oder übermäßiger Zuckerkonsum. Ob man es gut findet oder nicht. Über die Gefahren, Vorzüge und gesellschaftlichen Schäden streiten sich die Experten, wer aber einigermaßen vernunftbegabt ist, wird im Konsum von THC nicht sofort den Untergang der abendländischen Kultur erkennen. Die Realität politisch ernst zu nehmen, ist daher eine gute Sache. Das tun nun in Berlin die zukünftigen Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP und signalisieren ihre Bereitschaft, Cannabis zu legalisieren.
„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein“, so weit der Wortlaut aus den laufenden Verhandlungen. Schön, endlich, könnte man sagen. Tatsächlich wäre die Entscheidung eine Revolution. Seit Jahrzehnten streiten Hanf-Befürworter darum: „Gebt das Hanf frei“ oder „Legalize it!“ hießen die Parolen. In Berlin schweiften schon Ende der 1960er-Jahre die Haschrebellen durch die Gegend, bei den Hanf-Paraden zogen tausende Hanf-Fans durch die Stadt und verwiesen bunt und lustig auf die Vorzüge der Kulturpflanze als Rohstoff, Medizin und Genussmittel.
Cannabis gehört zu Berlin
Man könnte also sagen: Cannabis gehört zu Deutschland. Oder zumindest: Cannabis gehört zu Berlin. Und auch sonst gibt es gute Gründe, die existierende Drogenpolitik zu überdenken. Allein schon, weil sie wenig ausrichtet, außer dass sich Drogenclans am Handel mit den illegalisierten Substanzen eine goldene Nase verdienen. Legalisierung heißt also Besteuerung, Qualitätskontrolle und die Austrocknung von kriminellen Drogenmärkten.
Davon profitieren alle. Die Stadt hat mehr Geld in der Kasse, die Konsumenten bekommen ihr Dope in guter Qualität und können es sich stressfrei beschaffen, und die Polizei und Justiz müssen sich wenigstens nicht mehr mit der Cannabis-Kriminalität herumplagen. Nur die Dealer gehen leer aus, aber dagegen dürften die Wenigsten etwas haben.
Cannabis-Legalisierung: Wird Berlin wie Amsterdam?
Also „Legalize it“ und die Welt ist schön? Im Berliner Umland wird Bio-Hanf angebaut und freundliche Coffeeshop-Besitzer beraten fachmännisch über die Vorzüge von Purple Haze, Kosher Kush und Charlotte’s Web. Schöne neue Drogenwelt, in der der Joint ebenso selbstverständlich und legal sein wird wie das Feierabendbier. Aber. Hier kommt das Aber.
Irgendetwas wird schief gehen. Es ist ein diffuses Gefühl, aber in Berlin sind schon ganz andere, weitaus weniger heikle Projekte gründlich schief gegangen. Flughäfen, Olympiabewerbungen, Mietendeckel und sowas. Doch zurück zu Cannabis: Schon am prominenten Beispiel Amsterdam hat sich gezeigt, dass die Legalisierung nicht für idyllische Zustände sorgt. Die Kriminalität nimmt merkwürdigerweise nicht ab, der Kiffer-Tourismus ist etwas, was wirklich jeden noch so gerne kiffenden Anwohner mächtig nervt.
Will man als Stadtgesellschaft Kiffer aus aller Welt anziehen? Es ist zumindest problematisch. Dabei ist es egal, ob das Gras nur in Berlin oder in ganz Deutschland freigegeben wird. Es wird ein Ansturm auf die Berliner Innenstadt erfolgen, das ist klar. Und die ächzt ja jetzt schon, zumindest wenn mal nicht Corona-Maßnahmen die Sache eindämmen.
Man denke nur an die dubiosen Testcenter
Denn niemand, wirklich niemand, wird sich ins Auto oder Flugzeug setzen und für einen THC-Trip nach Angermünde, Erfurt oder Braunschweig fahren. Da klingen Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain besser. Deshalb sollte sich die Abgabe in Berlin vielleicht auch nur an Menschen mit Berliner Meldeadresse erlaubt sein. Verrückte Idee, schon klar. Auch die etwas schwammige Bezeichnung „lizenzierte Geschäfte“ klingt wenig vertrauenseinflößend. Wer bekommt denn so eine Lizenz, wird jeder Späti nun zum Coffeeshop umfunktioniert? CBD-Öl gibt es da teilweise heute schon und die Späti-Infrastruktur würde der Sache entgegenkommen. Aber wäre das wirklich so eine gute Idee?
Man denke nur an die dubiosen Testcenter, die wie Pilze aus dem Boden schossen und die Abzocke, die dabei betrieben wurde. Vielleicht sollte das legale Cannabis deshalb in Apotheken verkauft werden oder in wirklich lizensierte Shops, die eher den skandinavischen Alkoholläden nachempfunden sind und nicht Späti-Testcentern.
Noch ist Cannabis eben nicht ganz so normal wie Bier und Wein. Deshalb ist die Idee der Cannabis-Legalisierung zwar richtig und gut, die große Frage aber muss sein, wie man es macht und welche Konsequenzen die Sache für die Stadt haben wird. Aber das wissen die Koalitionspartner zum Glück und wollen nach vier Jahren die gesellschaftliche Auswirkungen des Gesetzes evaluieren. Es werden spannende vier Jahre.
Cannabislegalisierung: Warum es eine progressive Drogenpolitik braucht. Welche Auswirkungen eine restriktive Drogenpolitik habt, zeigt unser Bericht vom Görlitzer Park. Natürlich können Drogen auch wahnsinnig destruktiv sein. Wie sehr, erzählte eine Suchthelferin. Und falls das noch nicht aufwühlend genug ist, könnt ihr hier eine Geschichte zum Thema Drogensucht lesen. Mehr Politik-Themen, die auch Berlin betreffen, gibt es hier.