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Ciao, Joe Chialo! Kultur ist eben kein „Oder-kann-das-weg?“-Kram

Der Berliner Kultursenator Joe Chialo ist heute morgen zurückgetreten. Am 2. Mai, einem Brückentag. Einen guten Sinn für Timing zeigt das nicht. Und auch sonst hat er sich fatal verkalkuliert. In Berlin hat er die von Kai Wegner initiierte, zwölfprozentige Kürzung des Kultursenats für machbar erklärt, entgegen der Bitten und Warnungen aller wichtigen Kulturinstitutionen der Stadt. Über Monate wurde er als neuer Kulturstaatsminister im Kabinett Merz gehandelt, den Posten bekam vor ein paar Tagen Wolfram Weimer. Für Joe Chialo eine echte Lose-Lose-Situation. Sein Rückzug ist die richtige Entscheidung.

Joe Chialo ist als Kultursenator zurückgezogen, in die Bundespolitik hat er es nicht geschafft. Foto: Imago/dts Nachrichtenagentur
Joe Chialo ist als Kultursenator zurückgezogen, in die Bundespolitik hat er es nicht geschafft. Foto: Imago/dts Nachrichtenagentur

Als die Nachricht von Joe Chialos Rücktritt als Berliner Kultursenator per Eilmeldung aufs Handy kommt, ist die Autorin dieser Zeilen gerade im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie. Sie steht im Nebel, gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, mit dem Direktor der Neuen Nationalgalerie Klaus Biesenbach und der Direktorin des Gallery Weekend Antonia Ruder, mit Tom Tykwer, Matthias Lilienthal, Peter Raue, Gregor Hildebrandt und Julius von Bismarck – hunderte von Menschen sind gekommen, um zum Start des Gallery Weekend die Installation der 91-jährigen japanischen Bildhauerin Fujiko Nakaya zu erleben. Sie taucht den Skulpturengarten für acht Minuten in Nebelschwaden.

Als der Nebel sich lichtet, ist der Posten des Kultursenators vakant

Ja, Joe Chialo war nicht da, aber wer behält bei den vielen Menschen schon den Überblick. Als der Nebel sich lichtet, ist der Posten des Kultursenators vakant.

Traurig ist da wohl keiner, dafür war die Erleichterung, dass Chialo nicht Kulturstaatsminister geworden ist, einfach zu groß. Und das will schon etwas heißen, denn mit dem Verleger und Journalisten Wolfram Weimer ist der Posten an jemanden gegangen, dessen rechtskonservative Positionen deutlich kultur-inkompatibler sind als die von Chialo und der noch viel weniger Wertschätzung für die vom Staat geförderte Kultur mitbringt.

Es hätte Möglichkeiten gegeben, dass die Berliner Kultur und Joe Chialo zusammenzukommen

Das hätte so nicht kommen müssen. Spulen wir mal zwei Jahre zurück, April 2023, Amtsantritt Joe Chialo. Okay, er kam aus der Musikbranche, war Manager der Kelly Family, kannte Kultur aus der Perspektive eines Wirtschaftsunternehmens. Aber er war immerhin selber mal Musiker und außerdem ein wirklich lässiger Typ. Nicht nur für einen CDU-ler. Außerdem war er mal bei den Grünen und später nach eigener Aussage deshalb in die Angela-Merkel-CDU eingetreten, weil sie es den Geflüchteten aus Syrien ermöglicht hat, nach Deutschland zu kommen. Es hätte also sicher Möglichkeiten gegeben, dass die Berliner Kultur und er zusammenzukommen.

Doch dann kam die völlig überstürzte Einführung der „Antidiskriminierungsklausel“, die er im Alleingang entschieden hatte, die bald „Antisemitismusklausel“ genannt wurde und die alle Kulturinstitutionen vor extreme Probleme stellte. Chialo nahm sie nicht lange nach Einführung zurücknahm, aus Gründen der Rechtssicherheit, wie es hieß.

Damit begann das Jahr 2024 – und es ging weiter mit einem Eiertanz. Denn während die Berliner Kulturszene schon massive Budgetkürzungen im Haushalt 2025 fürchtete, wollte sich der Senat nicht festlegen, beschwichtigte und blieb vage, nannte keine Zahlen. Das galt auch für Joe Chialo, und auch auf Nachfragen blieb er unbestimmt – das kann ich sicher sagen, denn ich habe ihn gemeinsam mit meiner Kollegin Claudia Wahjudi im Juli 2024 interviewt. Ein Gespräch, aus dem ich mit dem Eindruck rausging, es werde schon alles nicht so schlimm kommen und er werde sich dann doch vor die Kultur werfen und sie verteidigen.

Sparzwang-Schulterzucken: Joe Chialo hat die Kultur nicht verteidigt

Das Gegenteil war der Fall. Um zwölf Prozent wurde der Kulturhaushalt gekürzt, das traf alle wie ein Hammer. Und nein, Chialo verteidigte nicht die Kultur, sondern vertrat die Meinung, die Kulturschaffenden würden das schon hinbekommen – in den großen Häusern wie bei den kleinen Projekten. Dass die international extrem angesehene Kulturszene Berlins dadurch auf Dauer Schaden nehmen könnte und vielen Menschen ihrer Existenzgrundlage verloren – all dies hat Chialo mit dem Sparzwang-Schulterzucken abgebügelt, und das, obwohl der Berliner Kulturetat nur 2,1 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht.

Auch das von Chialo immer wieder vorgetragene Argument, er sei ein Quereinsteiger in der Politik und habe erst einmal die politischen Spielregeln lernen müssen, deshalb sei es zu so Pannen wie bei der Antidiskriminierungsklausel gekommen, konnte man irgendwann nicht mehr gelten lassen. Der Job als Kultursenator ist keiner, in dem man den Dauer-Azubi geben kann. Und man muss sich im Klaren sein: Das auf föderaler staatlicher Förderung basierende Kultursystem in Deutschland kann man nicht mit den Methoden eines Firmenchefs managen.

Und dann war da die Sache mit dem Kulturstaatsminister. Joe Chialo galt monatelang als Favorit für die Nachfolge von Claudia Roth in diesem Amt, sollte Friedrich Merz die Wahl gewinnen. Und er hat das Gerücht nicht dementiert, sondern wabern lassen. Was den Schluss nahelegte, er würde zu dieser Beförderung wohl nicht nein sagen.

Jetzt ist es anders gekommen. Und nur wenige Tage später tritt Chialo mit folgender Begründung zurück, „Im vergangenen Jahr habe ich die geforderten Einschnitte im Kulturhaushalt schweren Herzens mitgetragen – im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für die Stadt.“ Weiter heißt es: „Die nun geplanten weiteren Kürzungen greifen jedoch zu tief in bestehende Planungen und Zielsetzungen ein, verändern zentrale fachliche Voraussetzungen und führen so zur drohenden Schließung von bundesweit bekannten Kultureinrichtungen.“

Chialo hat jede Sympathie und jedes Vertrauen in der Kulturszene verloren

Den zweiten Satz hätte man auch schon zur ersten Sparrunde im Berliner Haushalt sagen können. Ihn haben ganz viele gesagt. Jetzt kommt seine Aussage und Einsicht zu spät. Chialo hat jede Sympathie und jedes Vertrauen in der Kulturszene verloren, nicht nur in der Berliner, sondern deutschlandweit. Und einen Mann ohne jeden Rückhalt in der Kultur zum Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zu machen, der noch dazu seine politische Unwissenheit als Entschuldigung vor sich herträgt und bislang noch nicht gezeigt hat, dass er endlich Politiker kann – da setzt Merz dann doch lieber auf die Personalie Weimer.

Ciao, Joe Chialo. Sein Rücktritt ist ein guter und richtiger Schritt. Wer auch immer ihm nachfolgt, wird erst mal Aufbauarbeit leisten müssen. Um das Vertrauen der Kulturschaffenden zurückzugewinnen. Und vor allem, um den Rest des Senats davon zu überzeugen, dass Kultur kein „Oder-kann-das-weg?“-Kram ist, sondern eine der Lebensadern für Berlin ist.


Nun ist eine Nachfolgerin gefunden: Sarah Wedl-Wilson wird neue Berliner Kultursenatorin.


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Zu Beginn seiner Amtszeit haben wir ein langes Gespräch mit Joe Chialo geführt. Angesichts der Kürzungen fragten wir: Verliert Berlin seinen Ruf als Kulturmetropole? Was läuft wann? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Was tut sich in den kleinen und großen Häusern? Schaut doch in unserer Theater-Rubrik vorbei. Wenn ihr wissen wollt, welche Ausstellungen sich in Berlin lohnen, gibt es hier Tipps. Was sagen die Häuser? Kulturkürzungen 2025: Reaktionen aus der Berliner Kulturszene. Die Kulturstadt Berlin erleben: Kulturtipps heute, von Konzert über Lesung bis Theater und Ausstellung.


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