Kommentar

Die Clans und Berlin: Bedrohung – oder doch nur ein Medienhype?

Von „4 Blocks“ bis Spiegel TV: Um die so genannten „Clans“ in Berlin hat sich eine ganze Entertainment-Industrie gebildet. Jetzt ist erwiesen, dass ihre Rolle im Organisierten Verbrechen überschätzt wird.

Clans in Berlin im Fokus: Hausdurchsuchungen in Neukölln sind regelmäßig ein großes Thema für Polizei und Medien. Foto: Olaf Wagner

Clans: Die neuen Promis des Berliner Stadtgesprächs

Man würde ja eigentlich meinen, dass prominente Bürger:innen andere sind als kriminelle „Großfamilien“, wie die Clans gern auch genannt werden. Dass Menschen bei „Berlin“ zum Beispiel der Regierende Bürgermeister Michael Müller denken, die lebenslustige Schauspielerin Katharina Thalbach oder der Weddinger Fußballer Kevin-Prince Boateng sind. Nur ein paar völlig willkürliche Beispiele sind das; Zeitgenoss:innen in den 80ern wären vielleicht Hans Rosenthal, Inga Humpe und Christa Wolf eingefallen. 

In den vergangenen Jahren haben sich aber eben doch neue Stars und Sternchen auf den hiesigen Walk Of Fame gefunden. Ihre Anziehungskraft hat sich nicht in Parlamenten entfaltet, genauso wenig im Prime-Time-TV oder auf Bühnen und Fußballplätzen. Sondern aus einem Milieu heraus, das nicht nur Zuschauer:innen von „Aktenzeichen XY… ungelöst“ fadenscheinig finden. Dem Milieu der Berliner Clans.

Sie agieren an Orten, wo man vielleicht mal ein Butterfly-Messer in der Tasche trägt, eventuell sogar eine Kanone, die im Fall einer Meinungsverschiedenheit entsichert wird. Dabei geht es dann womöglich um Profite und Prestige – zu erringen etwa im Kampf um die Hoheit über Rauschmittelhandel oder Rotlichtmilieu. Manchmal spielen auch aufsehenerregende Einbrüche eine Rolle.

Sind die Clans wirklich so ausschlaggebend in der Organisierten Kriminalität Berlins?

Wenn in Berlin inzwischen von den Clans und gesprochen wird, dann tun das viele, als handle es sich um das vertraute Personal einer Vorabendserie, die Drombuschs, den Denver-Clan oder Familie Feuerstein. Ihre Namen sind Gesprächsstoff für die Klatschtüten der Stadt, auf Schulhöfen, in Mannschaftswagen der Polizei oder Zeitungsredaktionen. Abou.-Ch., R.  oder M. lauten sie. 

Wie ihre Buddys erschienen manchmal Protagonisten aus der Berliner Hip-Hop- und Rap-Szene, die dem öffentlichen Erscheinungsbild somit Beat und musikalischen Rumms verleihen. Bushido, Massiv und Kay One etwa sind in diesem Zusammenhang auffällig geworden. Es verschwimmt dabei, was in den Räuberpistolen über die „Clans“ urban legend ist und was Wahrheit. 

Bushido war eng verbunden mit einer Großfamilie, dem wohl bekanntesten Clan der Stadt. Der Rapper distanzierte sich zunehmend, es wird vor Gericht gestritten. Foto: Imago/Olaf Wagner

Eines aber hat man schon immer geahnt: dass die „Clans“ nie und nimmer so bestimmend im Organisierten Verbrechen sind, wie es das Gerede über diese Schwerenöter aus den Migrantenvierteln glauben gemacht hat. Oder wie es andere Mythen suggerieren, die den Grusel über die Gangster-Sphäre genährt haben, über all die Jahre hinweg. Bebildert mit Shisha-Pfeifen und dicken Karren.

Clans: Die übersteuerte Aufmerksamkeit in den Medien

Etwa die Streaming-Serie „4 Blocks“ um den menschlich-allzumenschlichen Paten Toni Hamady aus Neukölln, die zwar fiktional angelegt war, wegen des Anscheins von Authentizität aber auch einen realistischen Eindruck von einem ganzen Stadtteil zu vermitteln schien. Oder die Stapel voller Blaulicht-Bestseller von Spiegel-TV- und RBB-Reportern. Sowie die Lokalberichterstattung von TagesspiegelBild oder Berliner Morgenpost. Ganz zu schweigen von Männern aus der Politik, die das „Clan“-Thema für ihre populistische Agenda eingespannt haben wie Heinz Buschkowsky, den ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeister.

Wie übersteuert diese Aufmerksamkeit ist, belegen nun auch Zahlen. Genannt hat sie die Senatsinnenverwaltung nach einer Anfrage der Freien Wähler im Abgeordnetenhaus. Demnach ist der Anteil jener mutmaßlichen Verbrechen, die manche als „Clan-Kriminalität“ bezeichnen würden, auf dem Feld der Organisierten Kriminalität offenkundig gering. Blickt man auf die Nationalität der 274 Tatverdächtigen im Jahr 2020, finden sich jedenfalls keine heißen Spuren zur beschworenen Allmacht der „Clans“.

Die biografischen Hintergründe, die man deren Mitgliedern oft zuordnet ­– der Libanon, eine ungeklärte Herkunft oder Staatenlosigkeit – machen gerade einmal 27 Tatverdächtige aus. Und selbst wenn sich hinter den Tatverdächtigen aus Deutschland (111) oder Türkei (37) noch einige „Clan“-Leute verbergen sollten, dürfte gesichert sein: Der Status dieser Medienlieblinge in der Wirklichkeit wird überschätzt.

Clan-Mitglieder verantworten einige spektakuläre Fälle

Was keineswegs heißen soll, dass Delinquenten aus dem „Clan“-Milieu immer nur kleine Fische sind, gefühlt Fahrraddiebe oder Kirmesschläger. Ihre Verbrechen sind mitunter schwerwiegend. Darunter der Überfall auf das Pokerturnier im Hotel Hyatt 2010 oder der Raub der Maple Leaf, einer 100-Kilo-Goldmünze, im Jahr 2017 aus dem Bode-Museum. Sogar Morde waren in den vergangenen Jahrzehnten unter den Straftaten verzeichnet. 

Aber diese Gesetzesverstöße bilden eben nur einen Bereich auf dem großen Flickenteppich des Verbrechens. Trotzdem inszenieren das Landeskriminalamt und der Innensenator ihre unzähligen Einsätze gegen die „Clan“-Kriminalität als Big-Point-Match im Fight gegen das Böse. Etwa mit effekthaschenden Razzien in Shisha-Bars, deren Resultat unter anderem ein paar petitessenhafte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind.

Spektakulärer Fall: Der Raub der Maple Leaf, einer 100-Kilo-Goldmünze, im Jahr 2017. Foto: Imago/Thomas Lebie

Die Clans helfen einigen Parteien: So funktioniert bürgerliche Ideologie

Der Kampf gegen die echte Organisierte Kriminalität, gegen die menschenverachtenden, brutalen Strukturen der Mafia müsse wieder in den Mittelpunkt gerückt werden, sagte deshalb der Freie-Wähler-Abgeordnete Marcel Luthe jüngst der Berliner Zeitung. Mithin das Mitglied einer Partei, die nicht gerade dafür bekannt ist, ein Kreis von Menschen zu sein, die Law-And-Order-Sheriffs als „Multikulti-Träumer“ bezeichnen würden. 

Die italienische Mafia, beispielsweise die N’drangheta, hat ihre Milliarden-Geschäfte beispielsweise längst professionalisiert – und investiert ihr Geld in legales Business, etwa im Immobilienhandel. Wie steht es um solche Netzwerke eigentlich in Berlin? Hinzu kommt klassische White-Collar-Crime, darunter Steuerbetrug, Veruntreuung und Korruption. Und der rechtsextreme Terror: die Anschlagsserie in Neukölln gegen Einwanderer:innen und linke Aktivist:innen ist immer noch nicht zur Gänze aufgeklärt. 

So funktionierte bürgerliche Ideologie schon immer. Man rückt das vermeintlich „Andere“ in den Fokus, um von den eigenen Verstrickungen abzulenken.


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