Mehr als ein Jahr ist es her, dass die Berliner:innen mehrheitlich für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ enteignen stimmten. Ein Erfolg, der das Thema Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen ins Abgeordnetenhaus pfefferte. Und der Senat? Der, zumindest Akteur:innen wie Franziska Giffey und Andreas Geisel, wischten es vom Tisch, bis die Arme krampften.
Nach so viel Zeit, so vielen Diskussionen, so viel Gezeter, dürften viele den Überblick verloren haben, wie die Argumentationslage ausschaut. Welche Parteien sind dagegen, welche dafür, wie rechtfertigen sie sich, warum überhaupt vergesellschaften? Zeit, den Fall „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zu rekapitulieren – und für einen Ausblick zu den Neuwahlen.
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“: Wie hat es angefangen?
Streng genommen ist die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ein Nachfolger. Bereits 2015 initiierte der Verein Mietenvolksentscheid einen Beschluss, der einerseits die soziale Wohnraumversorgung in Berlin reformieren sollte und andererseits die sechs privat geführten Wohnbaugesellschaften in Anstalten des öffentlichen Rechts umwandeln sollte. Der Volksentscheid war ein Erfolg, der Senat nahm ihn sich zu Herzen, das Berliner Abgeordnetenhaus beschloss, reichlich überfrachtet, eine Gesetzesänderung“ zur Neuausrichtung der sozialen Wohnungsversorgung.“ WBS-Berechtigte, Obdachlose und Flüchtlinge bekamen so einen deutlich leichteren Zugang zu sozialen Wohnungen. Bei den privaten Wohnbaugesellschaften änderte sich nichts. Die Beteiligten waren unzufrieden.
Und aus Frust entwächst gelegentlich neues.
Es folgten Diskussionen mit Mieterinitiativen und verschiedenen stadtpolitischen Gruppen. Nach gut zwei Jahren stand die Idee, einen weiteren Volksentscheid durchzuführen, diesmal nur für den privaten Wohnungssektor. 2018 trat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erstmals an die Öffentlichkeit, stellte dabei einen Dreistufenplan für eine Kampagne und ihre Forderungen vor.
Was genau fordert „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“?
Kommunismus.
Fast. Gewollt ist, die Bestände privater Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften. Die Initiative will dabei nicht, dass der Staat alleine verantwortlich ist, sondern dass Mietende und Beschäftigte ein Mitspracherecht bekommen. Wie viele Wohnungen genau betroffen wären, ist unklar. Aufgrund laxer Gesetze stehen in den deutschen Grundbüchern formale Eigentümer:innen, nicht aber wirtschaftliche Berechtigte. Über Briefkastenfirmen und Unternehmensgeflechte können Besitzende so ihre Eigentumsverhältnisse verschleiern.
Kurz: Hinter der freundlichen Vermieter GmbH mit nur wenigen Wohnungen könnte sich ein großer Immobilienmagnat mit mehreren tausend Wohnungen verbergen. Eine grobe Schätzung vonseiten des Senats gibt es trotzdem: 243.000.
Warum die Wohnungen vergesellschaften?
Gerechtigkeit.
Die Idee steht vor dem Hintergrund, dass so keine Gewinne mehr finanziert werden müssten, was Mietsenkungen ermögliche. Der Quadratmeterpreis hat sich seit 2012 nahezu verdoppelt, liegt mittlerweile bei 12,78 Euro. Eine aktuelle Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, dass die Mieten bei einer Vergesellschaftung um 16 Prozent sinken könnten, wenn die Wohnung nach Vorbild landeseigener Wohnbaugesellschaften bewirtschaftet würde.
Außerdem soll es mit der Vergesellschaftung einen Begleiteffekt geben: Jeder neue Mietvertrag ohne Preissteigerung würde auf den Mietspiegel preisdämpfend wirken. Das wiederum dürfte sich auf die Zukunftssorgen vieler Mieter:innen auswirken.
Wie ist die Gesetzeslage?
Wohlwollend.
Der Entwurf fußt auf Artikel 15 im Grundgesetz, der ermöglicht, unter anderem Grund und Boden in Gemeineigentum zu überführen. Dafür müsste durch ein ausgearbeitetes Gesetz Art und Ausmaß der Entschädigung geregelt sein. Zusätzlich beruft sich die Initiative auf Artikel 28 der Berliner Verfassung, demnach jeder Mensch ein Recht auf angemessenen Wohnraum hat und das Land die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum fördert, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum. Dröger Text, reichlich Strahlkraft.
Es ist jedoch unter Jurist:innen umstritten, ob die Verhältnismäßigkeit bei so einer umfangreichen Enteignung gegeben sei. Ebenso gibt es noch Grundrechte des Eigentums, die ebenfalls vom Grundgesetz geschützt werden.
Und wer soll das bezahlen?
Die Kosten sind ein Punkt.
Der Senat geht von 36 Milliarden Euro aus, die Aktivist:innen von rund acht Milliarden Euro. Berlin werde zudem reicher und nicht ärmer, heißt es vonseiten der Initiative. Anfallende Kosten könnten über die Mieteinnahmen abgestottert werden.
Die Initiative ging an die Öffentlichkeit und dann?
Arbeit.
Mitte 2021 legte sie los, sammelte fleißig Unterschriften. In allen Kiezen sprachen Aktivist:innen Leute an, von der aristokratischen Elite vor den Bodegas Grunewalds bis zu den Malocher:innen vor der Weddinger Eckkneipe. Ziel waren 175.000 Stimmen, um den Volksentscheid an den Start zu bringen. Hat geklappt, das Quorum knackten sie mühelos mit rund 350.000 Stimmen. Zur Super Pannenwahl im September konnten Wählende zusätzlich zur Landtags- und Bundeswahl für eine Gesetzesreform und die so ermöglichte Vergesellschaftung abstimmen. 56,4 Prozent waren dafür, das Volk hat gesprochen. Unser Autor Philipp Wurm hat darauf einen schönen Kommentar geschrieben: „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“: Der Markt ist eben nicht alternativlos.
Politiker:innen waren wahrscheinlich nicht begeistert, oder?
Nicht ganz.
Die Regierungsparteien sind bezüglich der Umsetzung gespalten. Linke sind dafür, SPD dagegen, Grüne uneins. Sie einigten sich darauf, den Volkswillen an eine Expertenkommission zu delegieren, bestehend aus drei konservativen Verfassungsrechtler:innen, von denen zwei bekennende Gegner des Vorhabens sind – und zwei weiteren Juristen, die sich zumindest nicht vollends verschließen.
Benannt wurden sie von Bürgermeisterin Franziska Giffey und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, beide SPD, beide gegen das Vorhaben und die Konfrontation mit den Immobilienkonzernen. Überraschenderweise konstatierte ein Zwischenbericht, dass die Vergesellschaftung machbar sei. Das Land könne es wohl regeln.
Wie viel Hoffnung bleibt zu den Neuwahlen?
Uiuiui.
Zur Neuwahl im Februar kramen einige Politiker:innen nicht nur alte Wahlplakate aus der Mottenkiste, sondern auch Argumente gegen die Initiative. Die CDU bezeichnet die nicht mehr ganz so rege Diskussion um Enteignungen als „gefährlich“, spricht von „Schaden“ für die Stadt. FDP irgendwie auch. Beide sehen den finanziellen Ruin Berlins, da die Enteignungen wegen der Entschädigungszahlungen viel Geld koste, ergo Schulden zur Folge hätte. Ach ja, die AfD auch, ist aber ein No-Brainer.
Schräger wird es bei Franziska Giffey. Sie hält von der Vergesellschaftungsidee weiterhin nichts, könne sie zudem nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sagte sie auf einer ersten Diskussionsveranstaltung der Spitzenkandidat:innen. Gewagt. Anschließend berief sie sich auf einen Schwur: „Das ist meine Verantwortung: Ich habe einen Eid geleistet, für diese Stadt das Beste zu bewegen und auch Schaden von dieser Stadt abzuwenden.“ Klingt nett, steht nur in keinem der Amtseide. Ihre Position hat sich also seit 2021 nicht geändert.
Die der Linken auch nicht. Derzeitiger Kultursenator und Spitzenkandidat Klaus Lederer wünscht sich eine schnelle Umsetzung des Volksentscheids. „Wenn die Kommission ihren Bericht vorlegt und auch Vorschläge macht zur Finanzierbarkeit, der Entschädigung und so weiter, dann wollen wir binnen maximal eines Jahres einen Gesetzentwurf fertig haben, der verabschiedet werden kann“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.
Die Grünen wiederum halten sich zurück, bei dem Thema wohl reine Gewohnheit. Schlussendlich dürften die Neuwahlen für die Initiative und alle, die für das Vorhaben gestimmt haben, zur Entscheidungsschlacht werden, außer Giffey bleibt Regierende Bürgermeisterin. Dann wird es wohl dieselben Debatten noch einmal zur nächsten Wahl geben.
Es gibt ein Argument gegen „DW & Co. enteignen“, das wir einfach nicht mehr hören können. Wie hätte Rosa Luxemburg wohl den Volksentscheid gefunden? Wir haben keine Ahnung, dafür das Leben Rosa Luxemburgs hier nachgezeichnet. Na gut, wahrscheinlich hätte sie ihn gut gefunden, das findet auch ihr bei einer Lektüre heraus. Politisch ist im vergangenen Jahr einige passiert. Hier unser Jahresrückblick zu 2022. Was Berlin noch bewegt, lest ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.