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„DW und Co. enteignen“: Dieses Argument können wir einfach nicht mehr hören

Lange verdrängte ihn der Senat, den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Die anstehenden Neuwahlen in Berlin haben ihn wieder auf die Agenda der Landesparteien gehievt. Während sich Linke und Grüne – mehr und weniger – für eine schnelle Umsetzung aussprechen, gibt es besonders von der SPD Widerstand. Sehr prominent ist dabei ein Argument: „Enteignung schafft keinen Wohnraum.“ Warum wir das nicht mehr hören können? Weil „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ darauf gar nicht abzielt.

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ soll Mieten senken, nicht das Wohnraumproblem lösen. Foto: Imago/Steinach

Wahlkampf und „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“: Alter Wein in alten Schläuchen

Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie unpolitisch Wahlkämpfe sind. Ein paar Plakate mit generischen Aussagen, die so auch in einer Knusperriegel-Werbung fallen könnten: „Berlin mit neuer Kraft regieren“, morgens halb zehn in Deutschland, die Grünen haben ihre Wahlplakate fertig. Dann noch Sticheleien gegen die Konkurrenz, überambitionierte Wahlprogramme (meist eher zweitrangig) und zuletzt, wohl das wichtigste, viele, viele Interviews gefüttert mit übermotorisierten Ansagen. Wichtiges Thema dabei: der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Für die SPD eine Herzensangelegenheit – also das Abschmettern.

Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey betont etwa, dass das Vorhaben nicht helfe, neue Wohnungen zu schaffen, den Wohnraummangel könne es also nicht lösen. Bundeskanzler und Parteiprimus Scholz springt ihr zur Seite, um ihr beizupflichten. Ein schwungvolles Abwinken, ein glorreiches Glucksen, Thema beendet. Schön. Nur trifft der Holzhammer hierbei lediglich einen Strohmann.

Motiv der Initiative ist nicht, den Wohnraummangel zu beheben. Wäre auch Quatsch. Vielmehr geht es darum, profitorientierte Unternehmen zu bekämpfen, Mieten zu senken, schlicht bestehenden Wohnraum bezahlbar zu machen. Mittlerweile liegen die Mieten im Schnitt bei mehr als zwölf Euro pro Quadratmeter, sie haben sich seit 2012 nahezu verdoppelt. Wer wenig hat, aufgrund eines niedrigen Einkommens, steht Jahr für Jahr vor einem immer größer werdenden Problem.

Mhmmm, Markt

Beide, Scholz und Giffey, argumentieren am Thema vorbei. CDU, FDP und AfD tun es ihnen gleich. Sie alle spielen eine Platte ab, drehen sie dabei so laut, dass sie jeden Widerspruch überhören. Die gesellschaftliche Akzeptanz demokratischer Prozesse und den Willen zur Teilhabe dürfte das nicht fördern. Vielmehr macht es lethargisch und verdrossen.

Und klar, ein Punkt der Polit-Markt-Spezies ist, dass ein größerer Wohnungsbestand die Preise drückt, es die Enteignung so nicht bräuchte. Eine Regel, die vielleicht für den Gemüsemarkt gilt, jedoch nicht für Wohnungen. Neubauten können die Preise für Bestandswohnungen beeinflussen, aber nur marginal. Es bräuchte also wahnsinnig viele neue Wohnungen in wahnsinnig kurzer Zeit. Ein Vorhaben, das mit Blick auf die Baubranche und ihre Probleme – steigende Materialkosten und Zinsen, Personalengpässe – nicht umsetzbar ist. Bodenpreisspekulation ist ebenfalls ein Kostentreiber. Nur eignen sich solche technischen Themen wohl nicht für den Wahlkampf. Außerdem müssten sich die Spitzenkandidat:innen dann mit der Materie beschäftigen. Und das scheint ihnen ja nicht so zu liegen.


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Solltet ihr euch fragen, wie der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ zustande kam, hier unsere Aufarbeitung. Politisch ist im vergangenen Jahr einiges passiert. Hier unser Jahresrückblick zu 2022. Was Berlin noch bewegt, lest ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.

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