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Kommentar

„Bin ich etwa keine Frau?“ – Warum der deutsche Feminismus viel zu weiß ist

Unsere Autorin fühlt sich als schwarze Frau von weißem Feminismus oft ausgeschlossen. Sie schreibt darüber, wie es sich anfühlt, wenn Sexismus und Rassismus im Doppelpack auftreten, welche Diskriminierungserfahrungen sie in ihrem Alltag macht – und warum es unverzichtbar ist, den Kampf für Frauenrechte inklusiv zu gestalten.

Schwarze Frauen fühlen sich beim Thema Feminismus oft nicht gesehen, angesprochen und verstanden, sondern alleingelassen. Foto: Imago/Addictive Stock

Die Perspektiven schwarzer Frauen gehen oft unter

„Bin ich etwa keine Frau?“, fragte die schwarze Frauenrechtsaktivistin Sojourner Truth bei einem Frauenkongress 1851, als sie von der gesonderten Form des Sexismus gegenüber schwarzen Frauen berichtete und weiße Frauenrechtlerinnen aufforderte, ihren Blick zu erweitern.

Dieses Szenario ist mehr als 172 Jahre her, aber ich stelle mir heute häufig dieselbe Frage. Denn wirklich gesehen, angesprochen und verstanden fühle ich mich von vielen scheinbar ganzheitlich feministischen Forderungen nicht. Der Grund? Ich bin nicht nur eine Frau, sondern auch schwarz. Und so wie es Schwarzen in allen Sparten der Gesellschaft ergeht, nehmen wir auch innerhalb des Feminismus eine Randposition ein.

Versteht mich nicht falsch, ich schätze es sehr, dass die feministische Bewegung in den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte gemacht hat und dass heute anders über die gesellschaftlich konstruierte Rolle der Frau gesprochen wird als es noch zu Jugendzeiten unserer Mütter und Großmütter der Fall war. Und dennoch hat die aktuelle Feminismus-Debatte einen großen Haken: Sie ist von den Erfahrungen und Bedürfnissen weißer Frauen geprägt und bezieht die Perspektiven schwarzer Frauen nicht auf gleichwertige Weise ein.

Was ist weißer Feminismus?

Der weiße Feminismus geht absurderweise von einem universellen Standpunkt der „typischen“ Frau aus, welcher – was für eine Überraschung – in der Realität gar nicht existiert. Man könnte meinen, es sei offensichtlich, dass wir Frauen, abgesehen von unserem Geschlecht, unterschiedlicher nicht sein könnten: Wir unterscheiden uns in unserer Hautfarbe, Ethnie, Religion, Klasse, sexueller Orientierung und vielem mehr. Doch entgegen dieser Tatsachen zeichnet sich weißer Feminismus dadurch aus, alle Realitäten die von der weißen heterosexuellen cis-Frau aus der Mittelschicht, abweichen, konsequent auszublenden.

Frauen unterscheiden sich in Hautfarbe, Ethnie, Religion, Klasse und sexueller Orientierung – und somit auch in ihren Erfahrungen und Bedürfnissen (Symbolbild). Foto:Imago/Addictive Stock

Sexismuserfahrungen schwarzer Frauen: „Ich darf doch mal anfassen, oder?“

Als schwarze Frau erfahre ich eine andere Form von Sexismus als meine weißen Freund:innen. Männer schreiben mich auf Dating-Plattformen an, weil sie explizit gerne einmal Sex mit einer schwarzen Frau hätten. In ihrer Fantasie sind diese nämlich „ungezähmter“ und „wilder“ als weiße Frauen. Auch habe ich aufgehört mitzuzählen, wie oft ein Mann in Clubs oder Bars auf mich zukam, um mir zu sagen, wie erotisch er mein „exotisches“ Aussehen findet. Oder um mich zu fragen, wo meine Wurzeln liegen. Warum ihn das interessiert? Weil er etwas „Afrikanisches“ noch nicht hatte, erklärt er mir. Gut bewegen kann ich mich bestimmt auch, erhofft er sich, das hätten wir Schwarzen schließlich im Blut. Und die Vorstellung, an meinen Braids zu ziehen oder meine Afrohaare zu kraulen? Aufregend. Als wäre ich ein Tier im Streichelzoo, werde ich gefragt: „Ich darf doch mal anfassen, oder?“

Von vermeintlich harmlosen „Komplimenten“, bei denen es sich tatsächlich um rassistische und stereotypische Zuschreibungen handelt, bis zu Aussagen wie „Stell dich nicht so an, N*Wort-Frauen steckt es doch im Blut, die Sklavin zu spielen“ habe ich schon alles zu hören bekommen. Erfahrungen, die ich nicht mache, weil ich eine Frau, sondern weil ich eine schwarze Frau bin.

Sexismus meets Rassismus

Sexismus und Rassismus treten ohnehin selten komplett getrennt voneinander auf. Folglich sind weiße und schwarze Frauen Männern gegenüber nicht gleich benachteiligt. Zum Beispiel steht eine schwarze Frau vor anderen Herausforderungen als eine weiße Frau, wenn sie eine berufliche Spitzenposition erreichen möchte: Sie nimmt potenziell nicht „nur“ gegenüber ihren männlichen Kollegen, sondern auch gegenüber ihren weißen Kolleg:innen eine benachteiligte Position ein und ist somit den Auswirkungen sexistischer als auch rassistischer Strukturen unserer Gesellschaft ausgesetzt.

Einfach ausgedrückt: Die schwarze Frau hat einen doppelten Nachteil, denn weiß zu sein ist in unserer Gesellschaft ein Privileg. Eine Feststellung, die von weißen Feminist:innen häufig missverstanden wird. Intersektionaler Feminismus spricht weißen Frauen nämlich weder ihre Sexismuserfahrungen ab noch behauptet er, dass diese weniger schmerzhafter sein als jene schwarzer Frauen. Das Erleben sexistischer Unterdrückung kann nicht gegeneinander aufgewogen werden. Doch alle Erfahrungen über denselben Kamm zu scheren funktioniert genauso wenig.

Sexismuserfahrungen von weißen und schwarzen Frauen können nicht gegeneinander aufgewogen werden – müssen aber dennoch unterschieden werden (Symbolbild). Foto: Imago/Addictive Stock

Diskriminierung im Doppelpack – wann ist Feminismus intersektional?

Intersektionalität beschreibt die Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungsformen gegenüber einer Person. Intersektionaler Feminismus beschäftigt sich also mit dem Phänomen, dass Frauen neben Sexismus von weiteren Diskriminierungsformen wie beispielsweise Homophobie, Antisemitismus, Transphobie, Klassismus, oder im Fall der schwarzen Frauen, Rassismus betroffen sein können.

Weiße Feminist:innen, die sich ihren Privilegien in einer strukturell rassistischen Gesellschaft nicht bewusst sind, neigen häufig dazu, einen intersektionalen feministischen Ansatz abzulehnen. Das tun sie nicht selten mit der Begründung, dass es den Sturz des Patriarchats verzögern würde, wenn aufgrund der Interessen von Randgruppen der ganzheitliche Blick für die Sexismus-Problematik verloren geht. Doch wie könnte uns ein von Privilegien genormter Blick auf individuelle Lebenssituationen jemals eine umfassende Sicht ermöglichen?

Es ist eine perfide Argumentation: Frauen, die sich für intersektionalen Feminismus einsetzen, wird so vorgeworfen, egozentrisch und unsolidarisch gegenüber ihren gleichgesinnten Kamerad:innen zu sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Schwarze Frauen wollen nicht gegen weiße Frauen kämpfen, sondern gemeinsam mit ihnen einen Diskurs schaffen, in dem Sexismuserfahrungen weißer und schwarzer Frauen einen Platz haben.

Schwarze Frauen wollen nicht gegen weiße Frauen kämpfen – sie wünschen sich einen gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat. Foto:Imago/Addictive Stock

Ohne Intersektionalität auch kein Ende des Patriarchats

Eine Sache haben wir in jedem Fall gemeinsam: Wir sind Frauen. Aber die Vorstellung, dass wir in einer Welt leben, in der es keine Rolle spielt, ob man weiß oder schwarz geboren wird, ist leider nichts weiter als eine Utopie. Und solange das der Fall ist, kann es nicht nur einen einzigen feministischen Standpunkt für alle geben. Wenn es uns nicht gelingt, den Feminismus intersektionaler zu gestalten (und selbstverständlich nicht nur in Bezug auf schwarze, sondern auch anderweitig mehrfach diskriminierte Frauen), werden wir keine Einheit und erst recht keine Gleichheit erreichen.

Denn das, was Frauen tatsächlich voneinander trennt, sind nicht unsere Unterschiede an sich, sondern die Weigerung diese Unterschiede anzuerkennen und nicht aktiv dazu beizutragen die Benachteiligung, die aus ihnen hervorgeht, durch eine Veränderung des patriarchalen Systems einzudämmen. Nur wenn wir uns unserer Verschiedenheiten bewusst werden, können wir gemeinsam für eine Gesellschaft kämpfen, in der alle Frauen gleichberechtigt und frei sind.

Einmal Feminismus für alle, bitte

Und nicht nur das: Bestimmte (Rand-)Gruppen aus dem feministischen Diskurs auszuschließen, widerspricht den Grundzügen meiner Definition von Feminismus. Denn für mich bedeutet Feminist:in zu sein, alle Handlungen, Machtstrukturen und Unterdrückungsformen abzulehnen, die das Leben einer anderen Frau gefährden. Die schwarze feministische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde brachte es auf den Punkt, als sie sagte: „Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich.“

Ich wünsche mir einen Feminismus, der alle Frauen einschließt. Einen Feminismus bei dem sich keine unter uns mehr fragen muss: „Bin ich etwa keine Frau?“


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