Zwar beginnt die umstrittene Fußball-WM in Katar erst im November – doch schon jetzt ist die Diskussion um Boykotte im vollen Gang. In Köln zum Beispiel sperren sich Kneipiers gegen Public-Viewing-Events. Die Gastro- und Veranstaltungsszene in Berlin hält sich noch zurück. Warum eigentlich?
Fußball-WM 2022 boykottieren? In Berlin bisher kaum Thema
Die Stadt, die einmal der tosende Schauplatz des Sommermärchens war, mit Fanmeile am Brandenburger Tor und Spalier für die deutsche Nationalmannschaft, ist im Jahr 2022 verstummt.
Jedenfalls vernimmt man zwischen Spandau und Köpenick bislang kaum ein Statement zur Frage, wie hiesige Fußball-Fans mit dem diesjährigen WM-Turnier in Katar umgehen sollen – bekanntlich der absurdesten Veranstaltung in der Geschichte des Profi-Fußballs.
Dabei sind die Freunde des Rasensports in Berlin ja Spezialisten für Fußballkultur. Während des gehypten Sommermärchens, zelebriert im Jahr 2006, waren sie in der deutschen Hauptstadt die Wegbereiter fürs Public Viewing. Damals entdeckte das Fußballvolk das unbekümmerte Rudelschauen, draußen auf der Straße oder in überfüllten Lokalen. Unter schwarz-rot-goldener Kollektivbeflaggung meinten die Fußball-Fans sogar eine neue deutsche Identität zu erahnen – angespornt vom Sturm- und Drang-Fußball der Nationalelf des damaligen Teamchefs Jürgen Klinsmann. Weltoffen, jung, liberal.
Wie stehen Fußball-Afficionados zur WM 2022, die am 21. November beginnt?
Ein Wintermärchen wird sich dann wohl kaum ereignen. Schließlich ist der Wettbewerb kein Heimturnier wie damals im Jahr 2006. Die qualifizierten Teams werden ein paar tausend Kilometer entfernt um die Trophäe spielen, im besagten Öl-Staat auf der arabischen Halbinsel – unter der Hitzeglocke eines aberwitzigen Wüstenklimas. In den Bauten einer Event-Architektur, deren Infrastruktur mit dem Leben von tausenden Bauarbeitern bezahlt worden ist.
Immer mehr Protest gegen die Fußball-WM
Deutschlandweit mehren sich zurzeit die Stimmen, dieses gigantomanische PR-Fest eines autokratischen Regimes zu boykottieren. Es gibt etwa die Initiative „#boycottcatar2022“. Deren Aufruf folgen mittlerweile Fan-Clubs von Bundesligisten wie Borussia Dortmund oder dem SC Freiburg – aber auch Szene-Blogs und eine Düsseldorfer Buchhandlung.
Und in einer anderen deutschen Großstadt, dem leutseligen Köln, stemmen sich Kneipiers gegen die TV-Ausstrahlung der Propaganda-Schau eines Emirats, das auch in anderer Hinsicht auf bestürzende Weise die Menschenrechte verletzt. Die Schergen der fundamentalistischen Staatsspitze in Katar verfolgen queere Menschen und drangsalieren Dissidenten.
Die meinungsstarken Gastronomen aus Köln erklären ihre Bars daher zur WM-freien Zone – es handelt sich dabei um beliebte Wohnzimmer der dortigen Fußballgemeinde, etwa in der Südstadt. Eine Gegenbewegung, deren Motive seitdem in der kölschen Community diskutiert werden.
Berliner Kollektive wie „FCU dit is bunt!“ äußern sich
Inwiefern Multiplikatoren in Berlin die Fußball-WM in Katar boykottieren sollten, darüber ist hier in der Öffentlichkeit dagegen kaum diskutiert worden. Unter den Berliner Kollektiven, die die Initiative „#boycottcatar2022“ unterstützen, findet sich unter anderem immerhin der Fanclub „FCU dit is bunt!“ aus dem Union-Kosmos, die Non-Profit-Organisation „Gesellschaftsspiele e.V.“ und eine Antifa-Gruppe.
Aber vor allem über den Umgang von örtlichen Gastronomen und Veranstaltern mit dem WM-Turnier hört man wenig. Könnte sich dort noch eine Boykottbewegung abzeichnen?
TV-Übertragungen der Fußball-WM: Zwischen Kommerz und Ideal
An dieser Frage hängen ja viele Details: ob sich Menschenmassen beim Public Viewing als Komparsen eines fragwürdigen Schauspiels hergeben wollen – und damit gewissermaßen auch die Agenda der FIFA goutieren. Jenes Fußballweltverbands, deren geldgeile Funktionäre bereits die vergangene WM 2018 in Putins Russland haben stattfinden lassen. Und inwiefern es nicht doch menschlich ist, wenn Connaisseure auf die TV-Übertragungen nicht verzichten wollen, auch als Get-Together in großer Runde. Zumal die Anziehungskraft des Fußballs ja noch immer sagenhaft ist – trotz politischer Instrumentalisierung.
Eine Prognose: Einen Boykott der großen Public-Viewing-Veranstalter im öffentlichen Raum wird es nicht geben. Das doppelte Geschäft, erwirtschaftet aus Weihnachtsmarkt-Wunderwelt und Fußball-Spektakel, lassen sich Event-Unternehmer nicht entgehen. Von widerständigen Bar-Betreibern wird man allerdings noch hören. Ihre Spelunke wird aber eher in Kreuzberg als in Alt-Tegel angesiedelt sein.
Viele Zuschauer werden die WM-Partien allerdings vom Sofa verfolgen. Vor allem wegen des Winterwetters, das die Ausgeh-Laune trüben wird.
Mitfiebern: Public Viewing in Berlin – die besten Orte, um die Fußball-EM 2024 zu sehen. Hier seht ihr auch Spiele abseits großer Turniere: Das sind unsere liebsten Berliner Fußballkneipen. Den bestbesuchten Live-Fußball gibt es allerdings in Westend. Dort spielt Hertha im Olympiastadion, über das iher hier mehr erfahrt. imNeben Fußballklubs wie Hertha gibt es in Berlin übrigens noch andere Sportvereine auf Spitzenniveau, zum Beispiel Alba Berlin im Basketball oder die Füchse im Handball. Mehr Meldungen und Meinungen findet ihr in unserer Politik-Rubrik.