Stadt im Wandel: Wo gerade noch Parkplätze waren, macht sich Gastronomie breit. Jetzt stehen da Tische und Stühle und immer mehr Straßenfläche verwandelt sich dank spezieller Sondergenehmigungen in gastronomische Außenbereiche. Für die von den Corona-Maßnahmen geschundenen Wirte ist die Entwicklung ein Segen und auch die Gäste freuen sich. Doch ist Pizzaessen und Biertrinken von einem höheren gesellschaftlichen Wert, als im eigenen Kiez einen Parkplatz zu finden? Ein Thema, das immer wieder die Gesellschaft spaltet: Autofahrer versus Autogegner. Ein Kommentar von Jacek Slaski.
Wer in Kreuzberg mit dem Auto unterwegs ist, konnte in den vergangenen Monaten dem Wandel der Stadt nahezu in Echtzeit zusehen. Neue Fahrradstraßen, komplette Sperrungen wie in der Körtestraße am Südstern und Pop-Up-Fahrradwege prägen die Mobilität im bunten und immer teurer werdenden Bezirk. Anfangs fielen die Innovationen auf, doch den Verkehr veränderten sie nur theoretisch. Stau, volle Straßen und Hektik ist man hier ja gewohnt.
Solange das Wetter schlecht blieb und der Lockdown den Tourismus und die Kneipen und Restaurants in die Schranken wies, machte sich eine Art Ruhe in dem sonst allgegenwärtigen Trubel breit. Seit den Lockerungen und den sommerlichen Temperaturen ist es damit vorbei.
Die Straßen sind wieder voll. Ob zu Fuß, mit den elektrischen Kleinstvehikeln, Rädern oder eben der Karre, alles drängt und Kreuzberg ächzt. Der Platz ist knapp, und neuerdings ist er noch knapper. Plötzlich tauchen neue Parkverbote auf, auf den Parkflächen vor Kneipen und Bars dürfen Wirte mit einer Erlaubnis des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg ihren Außenbereich vergrößern. Gastronomie statt Parkplätze: Wo Autos parkten, stehen nun Tische und Stühle für die Gastronomie.
Die Verheißung der „autofreien Stadt“ ist utopisch
Diese Regelung für gastronomische Betriebe, Gewerbetreibende, Einzelhandel und soziale Projekte trat bereits 2020 in Kraft, in diesem Jahr wird sie verstärkt in Anspruch genommen. Jeder Quadratmeter mehr bedeutet schließlich mehr Umsatz und nach dem Corona-Jahr haben den alle nötig. Die Tendenz des grün regierten Bezirks ist klar, man ist gegen das Auto. Die Verheißung der „autofreien Stadt“ inspiriert diese Politik, sie ist utopisch. Klingt gut, ist nur leider unrealistisch.
Die Verkehrswende ist sicherlich notwendig und der Klimawandel ein globales Problem. Nur hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in den vergangenen Jahren dem Kapitalismus, der schließlich als System hinter dem massiven CO2-Ausstoß und der drohenden Klimakatastrophe steht, allerhand Vorschub gleistet. Man muss sich nur die genehmigten Bauprojekte mal anschauen. Von Amazon- und Zalando-Quartieren bis zum Mercedes-Benz-Platz. Alles keine Wegweiser in eine nachhaltige und ökologische Zukunft. Da kann man als selbstgerechter Autohasser noch so gegen die Autos wettern, die kurzsichtige Empörung wirkt konstruiert.
Für wen macht Friedrichshain-Kreuzberg eigentlich seine Politik?
Auch dürfte sich die Frage stellen, ob die Leute, die im Kiez leben und nun mal ein Auto haben, das sie ja irgendwo parken müssen, tatsächlich benachteiligt werden müssen zugunsten von freien Restaurantplätzen. Und dass auch Kreuzberger und Kreuzbergerinnen Autos besitzen, ist nun einmal eine Tatsache. Das gilt für die übrigen Innenstadtbezirke natürlich genauso.
Auch müsste man, wenn man nun wirklich mit allen Geboten der Nachhaltigkeit an die Sache herangeht, den CO2-Fußabdruck der Gastronomie mal ausrechnen, den klimaschädlichen Einfluss des Tourismus mitbedenken (in Kreuzberg speisen sehr viele Touristen), die Fleischqualität und die Produktionsbedingungen der Brauereien überprüfen, und, und, und. Die Sache ist komplex, sich mal kurz über Autos aufregen dagegen simpel.
Parkplätze für den Kiez statt Gastronomie für Touris
Während in der Nachbarschaft also Hotels, gewaltige Bürotürme und Appartementblocks mit kaum bezahlbaren Neubauwohnungen entstehen, in denen die neuen Mieter ihre teuren Autos bequem in Tiefgaragen abstellen können, muss der alteingesessene Kreuzberger mit dem alten Golf nun drei Ehrenrunden mehr bei der Parkplatzsuche einlegen, damit die Schülergruppe aus dem Schwarzwald oder die hippen Club-Touristen etwas mehr Platz zum Aperol-Spritz trinken und Pizzaessen haben. Gerne auch lautstark und bis tief in die Nacht zur Freude der Anwohner, die bei geschlossenem Fenster schlafen müssen. Für wen macht Friedrichshain-Kreuzberg eigentlich seine Politik?
Wann kommt da endlich was ins Rollen? Die Verkehrswende in Berlin ist ein Mammutprojekt. Die Vielfalt in der Stadt ist groß: Wir zeigen euch wunderbare Weinläden in Berlin. Zu einem edlen Wein gehört natürlich auch das passende Essen: Hier gibt es Feinkost und Delikatessen. Es muss ja nicht immer ein ganz alter Laden sein, in Berlin kann man auch so gut einkaufen. Zum Beispiel in diesen besonderen Berliner Manufakturen, in denen ihr besondere Stücke findet. Manche Betriebe haben schon ein Jahrhundert auf dem Buckel: Wir stellen Berliner Traditionsläden vor, die es seit mehr als 100 Jahren gibt. Die neusten und besten Shopping-Tipps findet ihr immer hier.