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Protest

Gentrifizierung in Friedrichshain: Zukunft am Ostkreuz bleibt noch bis Juni

Ein kleiner Trost, während die Gentrifizierung in Friedrichshain voranschreitet: Das Zukunft am Ostkreuz bleibt nach der Kündigung zum 31. März 2022 zumindest noch für zwei Monate auf dem Grundstück im Laskerkiez. Obwohl fast 30.000 Menschen an einer Petition zum Erhalt des Kulturstandortes partizipiert haben und mit Unterstützung der Bezirkspolitik kompromissbereite Alternativpläne ausgearbeitet wurden, ist die Räumung wohl nicht mehr zu vermeiden.

Ein Schicksal, das im Party- und Punk-Distrikt verbreitet ist: Die Clubs About Blank und Wilde Renate könnten bald ebenso dicht machen, das Wohnprojekt Liebig 34 ist schon verschwunden. Die Betreiber des Zukunft wollen in den nächsten Monaten nach einem neuen Standort suchen. Doch der Protest im Laskerkiez hält an.

Gentrifizierung in Friedrichshain: Das Zukunft am Ostkreuz soll 2022 schließen. Die Nachbarschaft wehrt sich. Foto: Lennart Koch

Zukunft am Ostkreuz: Eine Alternative zur zubetonierten Tristesse

Zwischen Brachflächen, Baustellen und Bahngleisen erstreckt sich das Zukunft am Ostkreuz. Seit zehn Jahren bietet das Kulturzentrum eine Alternative zur zubetonierten Tristesse von neuen Quartieren im übrigen Friedrichshain – ein Kontrast etwa zu den Bürobauten in der Nähe der East Side Gallery oder dem archiketonischen Grauen der Mercedes-Benz-Arena.

Über dem Eingang des bedrohten Kulturidylls hängt ein Banner: „Keine Zukunft ohne Zukunft.“ Das Zukunft soll zumindest noch zwei Monate bleiben dürfen. Foto: Lennart Koch

Das Zukunft versprüht den Industrie-Charme der frühen 1990er-Jahre. Es bietet außerdem aufstrebenden Künstler:innen eine Bühne. Der Preis fürs selbstgebraute Bier liegt zudem immer noch unter dem Durchschnitt.  Das Publikum ist vielfältig, das Angebot umfasst Konzerte, (Freiluft-)Kino, Theater und Kunst.

Gentrifizierung in Friedrichshain: Vom Arbeiterbezirk zur Investorenspielwiese

Während sich Friedrichshain, der ehemalige Arbeiterbezirk, zur Spielwiese von Großkonzernen und Investoren entwickelt hat, halten solche Orte die Subkultur am Leben.

Pseudomoderne Wohnsilos an der Stralauer Allee – ein Anblick, der die Menschen im Kiez verunsichert. Foto: Lennart Koch

Eine Widerstandskraft mit Symbolwert, zumal in den letzten Jahren viele unabhängige Ort bereits dichtmachen mussten. Andere stehen aktuell vor dem Aus. Obwohl sich Berlin weltweit in Image-Broschüren als Kreativ-Hochburg präsentiert.

Direkt hinter dem linken Techno-Club About Blank gelegen, ist der mit Holzverkleidungen und Lichterketten geschmückte Ort seit 2011 eine Bastion. Jetzt ist der Mietvertrag am 31. März ausgelaufen.

Gentrifizierung in Friedrichshain: Nicht nur das Zukunft ist bedroht

„Während unseres Zehn-Jahres-Mietvertrags gab es nie Probleme mit dem Vermieter. Wir hatten im Gegenteil eigentlich immer das Gefühl, dass er eher kulturaffin ist und uns wohlwollend gegenübersteht“, erzählt Sven Loose, Programmverantwortlicher der Tilsiter Lichtspiele, die neben dem namensgebenden Kino in Friedrichshain auch das Zukunft und das Kino Intimes an der Boxhagener Straße betreiben.

Auch das About Blank ist von den Entwicklungen am Ostkreuz bedroht. Foto: Imago/Markus Heine

Zum Ende der Vertragslaufzeit scheint sich die Einstellung des Vermieters plötzlich verändert zu haben. Was mit dem Gelände geschehen soll, ist noch nicht bekannt. Die Angst vor Verdrängung greift im Kiez schon seit einigen Jahren um sich– und sie wirft auch einen Schatten auf benachbarte Clubs, nicht nur aufs About Blank. Auch auf die legendäre Wilde Renate in der Nähe des Spreeufers.

A100 und Campus Ostkreuz statt legendärer Clubs

Die allgemeine Furcht ist verständlich: Spätestens nach der Vollendung des umstrittenen 17. Bauabschnitts der A100, der durch Treptow, Friedrichshain und Lichtenberg führen soll, werden die Kulturstandorte zwangsläufig weichen müssen. Und die Ansiedlung von Luxusimmobilien und dem Bürokomplex Campus Ostkreuz kündigen jetzt schon eine  Veränderung der Gegend an.

Die Betreiber:innen des Zukunft prophezeien, dass durch die einschneidenden Entwicklungen „nicht nur ein einzigartiger Ort verschwindet, der Jahr für Jahr und Veranstaltung für Veranstaltung Besucher:innen der ganzen Welt nach Berlin zieht“. Insgesamt sei die Verdrängung des Zukunft nur eine von vielen: „Berlins gesamte Subkulturlandschaft stirbt weiter!“ Auch die Tilsiter Lichtspiele und das Kino „Intimes“ seien durch die Schließung ihres Partnerkinos bedroht.

Die Liste alternativer Orte, die trotz Demonstrationen, Petitionen und Besetzungen schon weichen mussten, ist lang: Drüben in Kreuzberg die Meuterei, in Neukölln wiederum das Syndikat, in Mitte der Köpi-Wagenplatz – und in Friedrichshain das queer-feministische Wohnprojekt Liebig 34. Sie wurden allesamt unter Berufung auf Gerichtsurteile geräumt.

Nachbarschaft protestiert gegen Gentrifizierung

Rund 650 Menschen solidarisierten sich am 13. November auf einer Demonstration mit dem Zukunft am Ostkreuz. Foto: Lennart Koch

„Wir müssen handeln! Sofort!“, fordert daher die Petition zur Rettung des Kulturstandortes Zukunft am Ostkreuz, die die Aktivist:innen Ende 2021 ins Leben riefen. Die voranschreitende Zerstörung der Berliner Kultur dürfe nicht einfach so hingenommen werden. Gefordert werden eine Verlängerung des Mietvertrages, Bestandsschutz und Sicherung kultureller Zwischenräume. Außerdem sollen langfristige Perspektiven für Kulturstandorte in der Innenstadt geschaffen werden.

Außerdem demonstrierten am 13. November 650 Menschen für den Erhalt des Zukunft und gegen die Gentrifizierung des Laskerkiezes. Beim Umzug durch die Nachbarschaft inklusive Kundgebung vor dem Zukunft meldeten sich Anwohner:innen zu Wort. Manche äußersten ihren Protest auf Bannern. Slogans wie „Die Zukunft steht auf dem Spiel“ oder „Kiez statt Kommerz“ zierten beispielsweise eine Häuserwand in der Corinthstraße.

Bürgergarten Laskerwiese: Die Honigbienen sind schon geflüchtet

Amanda W. spricht vor dem bedrohten Bürgergarten Laskerwiese. Der Baulärm hat bereits die Honigbienen vertrieben. Foto: Lennart Koch

Auch Amanda W., eine Betreiberin des Bürgergartens Laskerwiese, in dem Menschen seit 2006 gemeinsam Pflanzen anbauen, hielt eine Rede zwischen Baustelle und Park. Durch viel Arbeit und Liebe sei in einer unnatürlichen Gegend ein kleines Naturparadies entstanden. Nun sei die Oase durch den Ostkreuz Campus, der direkt nebenan hochgezogen wird, bedroht.

So habe die Vibration der Baumaschinen bereits die Honigbienen vertrieben, klagt Amanda W. Sie sagt aber auch, dass trotz des entstehenden Bürokomplexes die Laskerwiese durch eine Entsiegelung der anliegenden Bödikerstraße und Erweiterung der Grünfläche gerettet werden könnte. Der Bezirk habe die Entscheidungsmacht, diesen unentbehrlichen Rückzugsort zu bewahren. 

Gentrifizierung in Friedrichshain: Wie geht es weiter mit dem Zukunft?

Am 10. März wurde die Petition zur Rettung des Zukunft am Ostkreuz mit 28.000 Stimmen übergeben. Das Bündnis Zwangsräumungen Verhindern bezeichnete die Aktion als „stellvertretend für viele Wohnviertel und Kieze in Berlin und Deutschland.“ Einen Tag später fand ein solidarischer Fahrradkorso statt, bei dem die Demonstrant:innen auch vor den umstrittenen Bauprojekten der Firma Pandion protestierten und der Immobilienfirma mit Kündigung wegen Eigenbedarf für den Kiez drohten. Trotz der großen Solidarität wird die Gentrifizierung in Friedrichshain nicht vor dem Zukunft halt machen: Am 31. März lief der Vertrag aus. Wie die Betreiber am 1. April bekanntgaben, dürfe der Kulturstandort noch mindestens zwei Monate auf dem Standort im Laskerkiez bleiben. Momentan suche man schon nach einer anderen Adresse.

Fast zeitgleich gab die Bundesregierung den Ausbau der umstrittenen A 100 bis nach Prenzlauer Berg bekannt. Der Berliner Senat will den Weiterbau des Betonmonsters im Herzen Berlins mit allen Mitteln verhindern. Sollte der 17. Bauabschnitt wirklich realisiert werden, wird vom alternativen Friedrichshain nicht mehr viel übrig bleiben. Mit dem About Blank und der Renate sind zwei weitere wichtige Kulturstandorte gefährdet. Die drohende Schlucht in Mitten des Ortsteils und großkapitalistischer Verdrängungsbau sind nur schwer aufzuhalten.

Im Endeffekt sind die Zukunft am Ostkreuz und der Bürgergarten Laskerwiese auch nur zwei Beispiele für eine Entwicklung, die ohne eine Regulierung der Immobilienbranche und des Marktes nicht mehr aufzuhalten sein wird. Helfen können nur „schnelle und langfristige Sicherheiten für Kulturnutzungsflächen“, so die Petitions-Initiator:innen des Zukunft. Die Solidarität, die gerade im Laskerkiez und vielen Teilen der Stadt zu spüren ist, mag optimistisch stimmen. Letztlich liegt die Verantwortung für die Rettung eines ganzen Soziotops bei der Politik.


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Dass sich Berlin grundliegend verändert, scheint unaufhaltsam. Diese 12 Bauprojekte liefern einen Vorgeschmack auf die Zukunft der Stadt. Viele berühmte Gebäude der Stadt existieren schon lange nicht mehr. Bereits 2016 rechnete unsere Autorin mit den Entwicklungen in Friedrichshain ab. Mal sehen, wie es weitergeht: Immer aktuelle Meldungen und Meinungen findet ihr in unserer Politik-Rubrik. Mehr zu den Berliner Clubs erfahrt ihr hier.

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