Hinter Berlin liegen sechs Monate Lockdown – aber mit dem Insolvenzschutz ist es vorbei: Die Union blockierte eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Während des vergangenen Jahres war das eine Ausnahmeregelung. Berlin und Deutschland haben die Pandemie noch längst nicht überwunden. Durch staatliche Corona-Hilfen waren Unternehmen vor der Insolvenz geschützt. Was passiert nun? Steht uns eine noch größere Pleitewelle bevor?
Viele Unternehmen stehen kurz vor Verlust der Existenz
Einzelhandel, Gastgewerbe und die Reisebranche sind beunruhigt. Der Insolvenzschutz ist am 30.4.2021 ausgelaufen. Das heißt, dass seit Mai die Meldepflicht für Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit wieder gilt. Viele, vor allem kleine Firmen, sind auf den Insolvenzschutz angewiesen. Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorüber und viele Gelder vom Bund fließen noch immer nicht.
2020 blieb die Pleitewelle aus. Trotz des Herunterschrauben der gesamten Wirtschaft gab es in ganz Deutschland nur rund 160.000 Firmeninsolvenzen – der niedrigste Stand seit 1999, so das Statistische Bundesamt. Dennoch wird die Wiedereinführung der Insolvenzantragspflicht von vielen kritisiert.
Warum wird der Insolvenzschutz nicht verlängert?
Der rechtspolitische Sprecher der CSU, Volker Ullrich, nennt als Grund, dass die Corona-Gelder schon laufen würden. Doch viele Unternehmen warten immer noch auf die Auszahlung von Hilfeleistungen. Außerdem gebe es weiterhin Alternativen, etwa Kurzarbeit oder die neu für dieses Jahr eingeführte Sanierungsregel, ein Schutzschirm, der es coronageschädigten Unternehmen 2021 erlaubt, sich auch bei Zahlungsunfähigkeit aus der Krise zu bewegen. Die SPD kritisiert das Verfahren von CDU/CSU.
Was kommt nun auf Berlin zu?
In Berlin gibt es so viele kleine Unternehmen wie in wohl kaum einer anderen Stadt in Deutschland. Hotels, Gastronomie, der Handel und Reiseunternehmen sind dabei am härtesten von den Umständen der Pandemie betroffen. Seit Monaten müssen sich alle an die Schließungsanordnungen halten, können nur noch stark reduzierte Umsätze machen, welche nicht selten gegen Null tendieren.
Tausende Jobs stehen auf der Kippe. In Berlin hängen nicht selten ganze Familienexistenzen dran. Eine wirkliche Öffnungsperspektive gibt es nicht, obwohl auch in der Reisebranche viele verantwortungsvolle Konzepte auf dem Tisch liegen würden. Wenn man hier nur von Zombie-Firmen spricht, ist das unmoralisch. Menschen, deren Existenz bedroht sind, müssen nun auch noch Verantwortung dafür tragen, dass die laufenden Hilfezahlungen des Bundes so schleppend voran gehen.
Nach dem Winterschlaf ist vor der Pleitewelle?
Berlins Kulturschaffende, die Veranstaltungsbranche und Hotellerie befinden sich derzeit noch in einem Winterschlaf, so Volker Hees, Fachanwalt für Insolvenzrecht. „Erst wenn Firmen aus stark betroffenen Wirtschaftszweigen wie der Hotellerie, der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche ihre Geschäft wieder hochfahren – und damit auch ihre Kostenbasis steigt – wird sich zeigen, welche Unternehmen langfristig eine Chance haben.“ Hees zeigt sich gegenüber der „Wirtschaftswoche“ zuversichtlich, dass es nicht zu einem sprunghaften Anstieg von Insolvenzzahlen kommen wird.
Wenn man jetzt jedoch durch die Straßen Berlins läuft, so sieht man immer mehr leere Schaufenster oder „Räumungsverkauf“-Schilder an der Ladentür. Viele Unternehmen haben es nicht geschafft. Viele Unternehmen werden es nun auch nicht mehr schaffen.
Unbürokratisches Abschneiden kleiner Unternehmen vom Markt
Oben wird fusioniert und übernommen. Am unterem Ende des Marktes bleibt oft nur die Schließung. Wenn sich in einem Unternehmen alle Mitarbeitenden seit einem Jahr in Kurzarbeit befinden und der Chef oder die Chefin nur einmal die Woche schauen muss, ob der Laden noch steht, dann wird diesen bald das Licht ausgehen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geht davon aus, dass die Überbrückungshilfen schnell und unbürokratisch ablaufen würden. Doch die Pandemie begann vor über einem Jahr. Schnell ist hier nur wenig und unbürokratisch wohl nur das Aussortieren von Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt.
Wer schafft es nun noch aus der Krise?
Auch der Handelsverband HDE forderte die Union auf, einen längeren Insolvenzschutz zu unterstützen, doch zu spät: Muss ein Unternehmen nun in diesen Tagen Insolvenz anmelden, verlangen Lieferanten sofort Vorkasse. Mitarbeiter kündigen und Kundenspringen ab. Der Schaden lässt sich dann nicht einfach zurücksetzen. Kleine Unternehmen scheinen in einseitiger Haftung für die staatliche Corona-Politik.
„Wenn die „Bazooka“ mehr gewesen sein sollte als die Worthülse einer Blut-, Schweiß- und Tränen-Rede, muss die Bundesregierung handeln“, schreibt tipBerlin-Redakteur Philipp Wurm über die Sonderregelung zu Insolvenzen. Nach und nach geht es mit den Impfungen in Berlin voran. Nun wird auch Gruppe drei geimpft. Wir wissen auch, wo es in Berlin kostenlose Schnelltests gibt. Solange viele Läden noch geschlossen sind, könnt ihr die schönsten Wochenmärkte in Berlin besuchen.