Kommentar

Kai Wegner regiert Berlin: Fertigmachen zum Schwarz-Rot-Ärgern?

Kai Wegner regiert demnächst Berlin. Der CDU-Chef wird am Donnerstag voraussichtlich neuer Regierender Bürgermeister. Fertigmachen zum Schwarz-Rot-Ärgern?

Die CDU regiert demnächst Berlin. Und Kai Wegner, neuer Regierender, wird SPD-Chefin Franziska Giffey jetzt öfter was flüstern. Foto: Imago/Bernd Elmenthaler
Kai Wegner regiert demnächst Berlin. Der zukünftige Regierende Bürgermeister wird SPD-Chefin Franziska Giffey jetzt öfter was flüstern. Foto: Imago/Bernd Elmenthaler

Die CDU regiert Berlin: SPD stimmt Großer Koalition knapp zu

Sage noch eine, es zählte nicht jede einzelne Stimme. Bei Wahlen, bei politischen Entscheidungen.

Ganze 979 Stimmen Vorsprung im SPD-Mitgliederentscheid entscheiden darüber, dass der Berliner CDU-Chef Kai Wegner aller Voraussicht nach am Donnerstag zum Regierenden Bürgermeister der Stadt gewählt wird. 54,3 Prozent von knapp 12.000 SPD-Mitgliedern stimmten für die Große Koalition. Wie eine solche Koalition halt immer noch heißt. Witz, komm raus.

Einerseits ist das in einer Fast-Vier-Millionen-Einwohnerstadt lächerlich wenig. Andererseits: Hätte Rot-Grün-Rot weiterregiert, wäre der Anspruch Franziska Giffeys auf das Rote Rathaus sogar nur mit 53 Stimmen Vorsprung der SPD gegenüber den Grünen begründet worden. LOL.

Jetzt also eine CDU-SPD-Koalition in Berlin für die nächsten dreieinhalb Jahre. Kann das gut gehen? Oder nur schlecht werden? Fertigmachen zum Schwarz-Rot-Ärgern?

Eine in Entstehung und Verlauf beachtlich bizarre Wiederholungswahl, die Quelle für alle Sorten von beliebten Berlin-Witzen aus den Bundesfinanzausgleich-Geberländern, die zwischenzeitlich sogar die BER-Kalauer vergessen machten, bekommt mit dem Spandauer Kai Wegner, der voraussichtlich ins Rote Rathaus einzieht, die schrägst-mögliche Pointe. Ein Mann, der kaum über Verwaltungserfahrung verfügt, leitet demnächst die größte, spannendste und chaotischste Stadt des Landes. Und will, wirklich wahr!, obendrein die Reform der eigentlich unreformierbaren Berliner Verwaltung in seinen eigenen Zuständigungsbereich reinholen. Kannste dir nicht ausdenken.

Vermag sich noch jemand an die konservativen Breitseiten im Bundestagswahlkampf gegen die grüne Annalena Baerbock zu erinnern, die könne doch nicht ernsthaft ohne jegliche Führungsvorerfahrungen Bundeskanzlerin werden wollen?

Nein? Eben.

Aber es geht ja hier nicht um den Bund. Für Berlin reicht’s.

Und die traditionell hartgesottene Berliner CDU möchte jetzt bitte bitte mit Zucker obendrauf nicht mehr an ihren Wahlkampf erinnert werden, den sie im Wesentlichen mit zwei Argumenten gewannen. Berlin müsse endlich wieder funktionieren. Und wie hießen die Silvester-Randalierer doch gleich mit Vornamen?

Beim SPD-Mitgliederentscheid ging es beinhart zu

Aus dem Mitgliederentscheid taumelt nun eine tief zerstrittene SPD in die schwarz-rote Koalition hinein, nach beinharten Auseinandersetzungen, gern auch mit persönlichen Beschimpfungen, die sich das #NoGroko- und das #NurMitUns-Lager geliefert haben. Da liegt jetzt noch ganz viel breit getretenes Popcorn auf dem Fußboden herum. Die Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke musste sich am Montagmorgen bei Radioeins von Moderator Marco Seiffert die Frage anhören, ob sie jetzt nicht aus der SPD austreten sollte, nachdem ihre eigene Partei mit einer Partei koalieren werde, die nicht wenige in der SPD als rassistisch empfinden.

Nee, werde sie nicht. Aber die Jusos würden jetzt immer sehr kritisch bei der neuen Regierung nachfragen. Das ist ja wohl das Mindeste.

Kann gut sein, dass die Berliner Chefdoppelspitze aus Franziska Giffey und Raed Saleh am 26. Mai einen eher unruhigen Landesparteitag erlebt.

Für Franziska Giffey, die die SPD in diese ungeliebte Koalition mit der CDU geführt hat, ist diese Koalition die letzte Chance. Die Tür zu den Grünen und den Linken hat sie, mit freundlicher Unterstützung der SPD-Funktionäre, so krachend zugeschlagen, dass da mehr als nur der Lack ab ist. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass sie lieber ihren geliebten Posten aus Regierende Bürgermeisterin drangibt, als sich auch noch den Rest der Wahlperiode (die läuft ja weiter) als machtarme Senatschefin mit diesen Berliner Grünen herumzuärgern, die die Frechheit hatten, die SPD in den Sondierungen für eine Weiterführung von Rot-Grün-Rot an den hauchdünnen Vorsprung der SPD vor den Grünen zu erinnern. 

Grüne und Linke: Motzen von der Seitenlinie

Die Grünen und die Linken stehen jetzt beleidigt an der Seitenlinie und motzen von außen aufs Spielfeld. Es gab im SPD-Mitgliederentscheid viele gute Ratschläge aus ihren Reihen an die SPD-Leute. Schöne Grüße auch an die „Rückschrittskoalition.“ Gute Frage übrigens, wie viele Grüne jetzt allerdings insgeheim froh sind, dass die SPD sich jetzt intern ob der Koalition mit der CDU zerfetzt. Das gleiche Schicksal hätte schließlich auch den Grünen selbst drohen können. Bettina Jarasch und Kai Wegner verstanden sich offenkundig ganz gut bei den Sondierungen. Da war der Wahlkampf auch ganz schnell ganz lange her.

In den schwarz-grünen Sondierungen machte Kai Wegner noch Bettina Jarasch schöne Augen. Foto: Imago/Stefan Zeitz

Nun also Schwarz-Rot, nun also der erste Regierende Bürgermeister von der CDU seit 22 Jahren, seit Eberhard Diepgen. Nun also Kai Wegner, der Spandauer mit Auto und Hund. Ein paar Symbolpunkte hat die CDU sich gegönnt. Wahlpflichtfach Religion. Das Tempelhofer Feld könnte an den Rändern bebaut werden. Die per Volksentscheid geforderte Vergesellschaftung großer privater Wohnungskonzerne wird auf die noch längere Bank geschoben. Und, herrjeh, ein Helmut-Kohl-Platz.

Bei Wegners Bürgermeisterwahl zählt wieder jede Stimme

Mal sehen, wann den CDU-Hardlinern aufgeht, wie viel SPD sie sich dann da trotzdem im Koalitionsvertrag eingehandelt haben. Und, mit dem Zehn-Milliarden-Euro-Klimapaket etwa, sogar ein bisschen Grün. Und Franziska Giffey wird darauf setzen, dass sie als mutmaßliche Wirtschaftssenatorin den unerfahrenen Wegner dann doch ganz schnell alt aussehen lässt, mit ihrer kalten Selbstinszenierung als herzwarme Macherin. Und nach dreieinhalb Jahren dann doch wieder ins Rote Rathaus einziehen will. Wie Kai aus der Kiste. Aber wenn das mal kein Trugschluss ist.

Es wird darauf ankommen, ob die vielen Ankündigungen aus dem Schwarz-Roten Koalitionsvertrag mehr werden als: Ankündigungen, wo es dann, leider leider, dann doch mit der Umsetzung schwieriger geworden ist als gedacht.

Wohnungsbauoffensive, jetzt aber wirklich. Schulbauoffensive, nun aber richtig. 29-Euro-Ticket, egal, was die in Brandenburg dagegen haben.

Die CDU wird aber auch wissen, sie darf es jetzt nicht überreißen. Noch ungläubig bis glücksbesoffen, wie sie wirkt, dass die bitteren Oppositionsjahre am Donnerstag tatsächlich vorbei sein sollen, vorläufig. Denn in der SPD rumort es gewaltig. Die Mehrheit im Parlament ist dann doch eher fragil. Die Partei-Linke wird sich wieder sortieren, früher oder später. Schon die anstehende Wahl Kai Wegners am Donnerstag zum Senatschef wird interessant. Wie viele Wahlgänge er braucht. CDU und SPD haben insgesamt 86 Sitze im Parlament. Wegner benötigt mindestens 80 Ja-Stimmen. Da kommt es dann schon wieder auf jede einzelne Stimme an.

Aber dann wäre es nicht mehr Franziska Giffey, die beim Startschuss zum Berlin-Marathon peinliche Baller-Bilder produziert, über die sich hinterher auf Twitter und Instagram alle beömmeln. Sondern Kai Wegner.

Zum Schießen.


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