Kommentar

Räumungsprozess gegen Kisch & Co. beginnt: Der Kiez macht mobil

Kisch & Co. soll schließen, weil ein schwedischer Konzern das Haus gekauft hat. Die Gentrifizierung in Kreuzberg wird immer bedrohlicher – auch deshalb, weil die neuen Eigentümer dem Kiezbuchladen an der Oranienstraße ein völlig durchgeknalltes Angebot gemacht haben, um den Mietvertrag zu verlängern. Jetzt beginnt der Prozess um die Räumung – und der Kiez macht mit zwei Demos dagegen mobil. Ein Kommentar von Erik Heier.

Kisch & Co. muss bleiben: Dieses Transparent war im Sommer 2020 in Kreuzberg zu sehen. Foto: Imago Images/Steinach
Kisch & Co. muss bleiben: Dieses Transparent war im Sommer 2020 in Kreuzberg zu sehen. Foto: Imago Images/Steinach

Buchläden sind Orte, die Seelen streicheln. Es hat ja seinen Grund, dass sie im Lockdown geöffnet bleiben dürfen. Bücher sind uns ein Notausstieg in die Phantasie, ein Tor zu Träumen, eine Linderung von Leid. Der Mensch lebt nicht von Netflix allein.

Deshalb ist es wichtig, dass Buchläden uns erhalten bleiben. Und damit auf in Berlins Epizentrum der Gentrifzierung: nach Kreuzberg. In der Oranienstraße droht der Kiezbuchhandlung Kisch & Co. zum zweiten Mal binnen drei Jahren die Räumung. Anfang 2020 kaufte sich dort ein Luxemburger Immobilienfonds in das Gewerbeobjekt ein, wo der Laden seit über zwei Jahrzehnten seinen Sitz hat. Die Rede war von einem Kaufpreis von 35,5 Millionen Euro für das Gebäude.

Am heutigen Dienstag, 20. April, 18 Uhr, ruft das Bündnis „Volle Breitseite“ zur Protestkundgebung vor dem vom Rausschmiss bedrohten Buchladen in der Oranienstraße 25 auf: mit dem Nasenflötenorchester, Pasteur Leumund und der Jodel-Offensive.

Denn zwei Tage später, am Donnerstag, 22. April, beginnt der Prozess um die Räumung vor dem Landgericht Berlin. Er findet in einem „Hochsicherheitssaal“ statt, wurde in den Saal B129 des Kriminalgerichts Moabit verlegt. An diesem Tag ist für 9 Uhr eine weitere Protestkundgebung vor dem Kriminalgericht in der Wilsnacker Straße 4 angekündigt.

Millionen mit Pappe: Die Tetra-Pak-Familie kauft sich ein Haus

Hinter dem Luxemburger Fonds soll die schwedische Rausing-Familie stehen, die mit Tetra-Paks ein Vermögen gemacht hat, das nicht von Pappe ist. Zum Lesen und Stöbern in Bücherregalen sind sie jedenfalls nicht in die Oranienstraße gekommen. Seit Mai ist der Buchladen ohne Mietvertrag, Ende September erhielt er die Räumungsklage. Stammkund*innen, von Kisch & Co, Initiativen und Bezirkspolitiker*innen warben für den Fortbestand, mit Aktionen auf der Straße und Internet-Videos.

Es heißt, der Vermieter habe eine Verlängerung des Vertrags in Aussicht gestellt, aber dafür Youtube-Videos vom Laden gefordert, die den Fonds positiv darstellen. Ich würde ja gern mal so ein Video sehen, einfach zu Demonstrationszwecken, wie durchgeknallt manche Immobilien-Investoren mittlerweile ticken. Von hier an müssten eigentlich Postillon, Jan Böhmermann oder die „heute-show“ übernehmen.

Petition gestartet: „Volle Breitseite für unsere Kiezbuchhandlung Kisch & Co.“

Die bessere Antwort gab aber das Kiezbündnis „Volle Breitseite für unsere Kiezbuchhandlung Kisch & Co.“. Das hat auf Change.org die Petition „Die Kiezbuchhandlung gegen die Milliardäre“ gestartet, knapp 20.000 Menschen unterschrieben bisher. Am Donnerstag nun verhandelt das Landgericht die Räumungsklage. Auf dem Spiel steht dabei auch die Seele der Oranienstraße.

Rette sie, wer kann.


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Im Sommer 2020 zeichnete sich schon ab, dass die Situation schlecht ist für die Buchhandlung. Peter Laudenbach sprach mit Thorsten Willenbrock von Kisch & Co. über Gentrifizierung und Spekulation. Kreuzberg ist die Heimat dieses Buchladens. Die Oranienstraße im Wandel der Zeit zeigen wir euch hier.

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