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Neue Regierung

Koalitionsvertrag vorgestellt: Berlin soll rot-grün-rote Zukunftshauptstadt werden

Der Berliner Koalitionsvertrag ist nach fünf Wochen Verhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke fertig: 20.000 neue Wohnungen pro Jahr, klimaneutrale Stadt, der ÖPNV wird ausgebaut, das Parken teurer – und ein neuer Feiertag im Jahr 2025. Jetzt müssen die Parteien noch zustimmen. So sieht die rot-grün-rote „Zukunftshauptstadt Berlin“ aus, wie sie im Koalitionsvertrag steht.

Koalitionsvertrag fertig: Verhanderlerinnen Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne), Katina Schubert (Linke) am 24. November. Foto: Imago/Fotostand

Neuer Berliner Koalitionsvertrag hat es in sich

Fünf Wochen Verhandlungen um den neuen Koalitionsvertrags von Rot-grün-rot (ab jetzt nur echt in neuer Reihenfolge) hinterlassen Spuren. Im Guten wie im Schlechten. Werner Graf von den Grünen beispielsweise fasst „intensive Wochen“ so zusammen. Einerseits: „Es gab nicht nur drei Geburtstage, die wir miteinander gefeiert haben, sondern auch viele Spaziergänge. Wir haben sogar einmal ,Du hast den Farbfilm vergessen‘ gesungen.“ Andererseits: „Bei mir sind’s drei, vier Kilo mehr geworden“.

Nina Hagens Fotoliedklage an ihren Michael werden wir übrigens beim Zapfenstreich zu Angela Merkels Kanzlerinnen-Abschied noch mal hören, als Marsch geblasen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Denn, Tusch und Tralalala, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben ihren rund 150-seitigen Entwurf für den Koalitionsvertrag fertig und ihn am 29. November der Presse vorgestellt. Das Gemeinschaftswerk für die Jahre 2021 bis 2026 ist überschrieben mit: „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökokogisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“

Und der hat es durchaus in sich, jedenfalls bei den formulierten Zielen: 200.000 neue Wohnungen binnen zehn Jahren, ökologischer Umbau der Stadt, eine Investitionsoffensive im Gesundheits- und Pflegebereich, ein Landesministlohn von 13 Euro pro Stunde bei öffentlichen Aufträgen (wie ihn Brandenburg schon hat), ein Untersuchungsausschuss zu den mutmaßlichen Neonazi-Anschlägen in Neukölln. Und das Mantra, sich nicht aus der Krise herauszusparen, sondern zu investieren. Hin zur klimaneutralen Stadt. Zukunftshauptstadt eben.

Mit dem Koalitionsvertrag, der von den Parteien jetzt beschlossen werden muss, haben die drei Parteien auch den künftigen Senatszuschnitt vorgestellt. Die Senator:innen dürften erst kurz vor der Vereidigung des neuen Senats am 21. Dezember bekannt gegeben werden. Man möchte, sagte die SPD-Spitzenkandidatin und künftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, über Personalverteilung auch in der SPD nicht reden, bevor die Linke ihren Mitgliederentscheid über den Vertragsentwurf am 17. Dezember abgeschlossen hat. Bei SPD und Grünen sollen Landesparteitage diese Entscheidung treffen.

20.000 neue Wohnungen jährlich – und Popcorn-Bedarf

Die SPD bekommt ihr ersehntes Ressort aus Stadtentwicklung, Bau und Wohnen nach fünf Jahren mit vielen Bissspuren in der Tischkante von der Linken zurück. Berlin will in den nächsten zehn Jahren jährlich 20.000 Wohnungen bauen, vor allem im bezahlbareren Bereich. Das aber nicht auf oder am Tempelhofer Feld. Jedenfalls in der nächsten Legislaturperiode.

Dabei sei das Ziel, „möglichst die Hälfte davon in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment zu errichten.“ Große Wohnungsbauprojekte sollen künftig zentral koordiniert werden. Jährlich soll der Bau von 5.000 Wohnungen öffentlich gefördert werden. Ingesamt sollen die kommunalen Wohnungsunternehmen ihren Bestand bis 2026 durch Neubau und Zukauf auf 400.000 Wohnungen erhöhen. Die Koalition will ein Mietenmoratorium für angespannte Wohnungsmärkte und eine nochmal verschärfte Mietpreisbremse auf den Markt bringen. Nach dem gescheiterten Mietendeckel und dem gerade verfassungsrechtlich zerpflückten bezirklichen Vorkaufsrecht ist das auch bitter nötig.

Koalitionsvertrag: Kommission für Vergesellschaftung

Der Senat will die Strategie des öffentlichen Ankaufs von Grund und Boden weiter fortsetzen und Berlin-eigene Grundstücke künftig nicht mehr verkaufen, sondern in Erbpacht vergeben.

Besonders spannend wird die Zusammensetzung der Expertenkommission, die eine Umsetzung des siegreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ prüfen und binnen 100 Tagen eingesetzt werden soll. Bekanntlich ist die SPD dagegen, die Linke sehr dafür und die Grünen auch so ein bisschen mehr als nicht. Bis zum Jahre 2023 soll diese Kommission „gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz“ vorlegen.

Keine gewagte Prognose: Das wird noch einigen Zoff geben. Allein schon, wie viele Vertreter die Initiative in die Kommission entsenden darf. So viel Popcorn für die nächsten Monate können wir ja gar nicht zurechtlegen.

Höchstens 400 Meter bis zur nächsten Haltestelle

Außerdem übernehmen die Sozialdemokraten die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport, die zuletzt bei der Grünen Ramona Pop angesiedelte Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und – Eltern, Schüler:innen und Lehrer:innen müssen jetzt sehr stark sein – auch erneut die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Wer dort Sandra Scheeres folgt, ist eine der vielen spannenden Personalfragen des Senats.

Interessant übrigens, wie es Franziska Giffey gelang, die Begründung für die Verschiebung des Wissenschaftsressorts aus ihrer Senatskanzlei (ihr Bald-Vorgänger Michael Müller war ja auch Wissenschaftssenator) in die neue Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung zu begründen, ohne dabei das Wort „Doktorarbeit“ zu verwenden. Sie selbst hatte nach Plagiatsvorwürfen ihren Doktor-Titel verloren. Das macht sich für eine Wissenschaftssenatorin, nun ja, nicht ganz so gut. Bei Giffey war die Begründung für die Zuständigkeiten-Verschiebung der Wissenschaft dann so, dass die Fachressortarbeit in den Fachressorts stattfindet und die Senatskanzlei sich auf Koordination, Steuerung und Präsenz in der Metropolenregion und auf nationaler und internationaler Ebene konzentrieren sollte.

So geht die Wissenschaft also zu den Grünen, die außerdem von der SPD das Finanzressort übernehmen und die die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz und Verbraucherschutz behalten.

Was im Verkehrssektor jedenfalls schon mal nicht kommt: eine generelle City-Maut oder eine 365-Euro-Ticket für den ÖPNV. Dafür ist das Ziel, den öffentlichen Nahverkehr sowohl in der Innenstadt wie der Außenstadt stark auszubauen. „Die Verkehrswende geht nicht mehr nur weiter, sondern sie kommt auch am Stadtrand an“, sagte die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarsch. Soll heißen: auch an der Peripherie der Stadt mehr Busspuren, Fahrrad- und Fußgängerwege. Ein Öffi-Takt von fünf Minuten in der Innenstadt und von zehn Minuten am Stadtrand. Der kürzere Weg ist das Ziel. Jede:r Berliner:in soll höchstens 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle gehen müssen.

Autofahren und Tourismus: Es wird teurer – früher oder später

Und weil das Ganze teuer ist – und die Grünen ja auch das Finanzressort übernehmen und noch ein bisschen mehr aufs Geld achten müssen, bekommt der ÖPNV neben Steuermitteln und Tickets eine dritte Finanzierungssäule: von Autofahrer:innen und Tourist:innen.

Ab 2023 müssen Anwohner:innen für die Parkvignette zehn Euro im Monat berappen, eine deutliche Steigerung. Die Kurzzeitparkgebühren in der Stadt sollen moderat steigen. Und perspektivisch sollen Tourist:innen zum Kauf eines „Gästetickets“ verpflichtet werden – das aber nicht vor 2024. Die Tourismusbranche soll in der Corona-Krise nicht allzu schnell mit derlei Ungemach vergrätzt werden.

Bei den Linken liegen, wie bisher, die Senatsverwaltung für Kultur und Europa – hier dürfte Klaus Lederer als Senator gesetzt sein – und die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Neu bekommt die Partei nun die Senatsverwaltung für Justiz und Vielfalt inklusive Antidiskriminierung hinzu, in der sich der Grüne Dirk Behrendt in der vergangenen Legislaturperiode versucht hatte.

Und eine frohe Botschaft haben die neue neuen Senatsparteien auch noch zu vermelden: Es gibt einen neuen Feiertag. Aber erst im Jahre 2025. Am 8. Mai jenes Jahres jährt sich die Befreiung vom Hitler-Faschismus zum 80. Mal. Ein bisschen Vorfreude ist ja immer gut.


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