Kommentar

Konferenz der Ministerpräsidenten: Die Quadratur des Lockerns

Wieder einmal tagte die Ministerpräsidentenkonferenz, kurz MPK. Seit dem 12.03.2020 ist dies die 19. Ausgabe, die sich mit der Corona-Pandemie befasst. Zumindest ließe sich das vermuten. Die Beschlüsse, ein Jahr später, zeugen nicht unbedingt von Lehren aus dem vergangenen Jahr.

Es ist zum Maskenwechseln: Angela Merkel hatte reichlich Mühe, die beschlossenen Lockerungsübungen verständlich zu erklären. Foto: Imago/Rainer Zensen

„Schnauze voll“ – Lehren aus der Ministerpräsidentenkonferenz

Ein Jahr sind wir nun in dieser pandemischen Unterbrechung des Raum-Zeit-Kontinuums gefangen, in dieser realen Variante von „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Seit vier Monaten in dem, was sie Lockdown nennen. Der begann seicht, „light“. Zahlen stiegen, er wurde härter. Zahlen stiegen weiter, es kam Weihnachten. Zahlen stagnierten, er wurde härter. Zahlen fielen, er hielt an – undsoweiter.

Mittlerweile ist der Satz „Die Leute haben die Schnauze voll“ nicht mehr nur Gegenstand diverser Springer-Schlagzeilen, sondern auch Teil der Äußerungen von Ministerpräsidenten, in diesem Fall Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Und fürwahr, das sogenannte Leben gestaltet sich äußerst zäh dieser Tage.

Lockdown mit Lockerungen – ein Lockerungsdown

Nun haben sich also die Giffeys, die Laschets, die Bouffiers, die Palmers, die Poschardts, Streecks und die Nachbarskatze durchgesetzt. Wir öffnen, mit Stufenmodell. Damit ist keineswegs nur das Ausdünnen der allzu wildgewachsenen Haare in jüngst geöffneten Frisörsalons gemeint. Wir müssen zwar teilweise mit „Verweilverboten“ leben, bekommen aber einen weiteren Teil unserer Menschenwürde zurück: Shopping. Vielleicht auch Restaurants. Und ach, irgendwann Kunst und Kultur?

Frisöröffnungen am ersten März 2021: Die Würde des Menschen wird an seiner Haarlänge entschieden. Foto: Imago/Future Image

Es sind – Stufenmodell – vielleicht nicht ganz die „Öffnungsorgien“, vor denen Bayerns Södermarkus gewarnt hat. Vielmehr mutet der kleingedruckt auf eine Din-A4-Seite passende Öffnungsplan in seiner Erklärung an wie der berüchtigte Passierschein A 38. Und der Lockdown hält an, bis 28. März. Aber etwas lockerer, ein Lockerungsdown.

Nur geschieht das alles, werden Schulen und Kitas geöffnet, sind Büros unentwegt offen, während die Zahlen – einer munter spreadenden Mutante sei dank – steigen. Ach, Stichwort systemrelevant: Flugschulen öffnen auch. Und wir sind weit entfernt von den 190 Neuinfektionen, die der 03.03.2020 bereithielt. Gestern hatten wir mehr als 10.000, Tendenz steigend. Das heißt, die Zahl steigt.

Vier Schnelltests für ein Hallejujah

Schnelltests kommen erst in einem Monat, die Taskforce wurde dem unter Andreas Scheuer bestfrisiertesten, aber nicht unbedingt erfolgreichsten Ressort übergeben. Bundeskanzlerin Merkel sieht den Monat März vor, um eine „umfassende Teststrategie aufzubauen“ – den aktuellen, wohlgemerkt. Unternehmen sollen ihren Mitarbeiter*innen einen Schnelltest pro Woche bereitstellen, als „gesamtgesellschaftlichen Beitrag“. An den restlichen vier Tagen dürfen Schulkinder und Arbeitnehmer*innen mögliche Infektionen aus dem Kaffeesatz lesen.

Es wird geimpft, aber leidlich und, wir sind hier im christlichen Abendland, nicht unbedingt am heiligen Wochenende – sofern man denn überhaupt einen Termin bekommt. Hausärzt*innen dürfen demnächst mitkämpfen – wenn genügend Impfstoff zur Verfügung steht, also mehr als die momentan vier Millionen unverimpften Dosen. Digitale Kontaktverfolgung, Homeoffice, Homeschooling? Gehen wir kurz in die Küche, da ist der Empfang besser.

Ministerpräsidentenkonferenz zieht Grenzwert 100 – nach Aufprall bremsen

War vor einem Jahr noch Kontaktreduzierung um jeden Preis das Maß, haben wir nun sämtliches Maß verloren. Ernsthaftes Interesse an einer Eindämmung der Pandemie, an Schutz der Bevölkerung, es scheint ihn nicht zu geben. Wenn, geschieht er zufällig. 

Derart große Ansammlungen wie hier auf dem Tempelhofer Feld Ende Februar mögen unvernünftig wirken, sind mit den Lockerungen aber wieder erlaubt(er). Foto: Imago/Snapshot

Aber immerhin: Wir haben endlich wieder einen (neuen) Richtwert: Schielte zuvor alles auf die Werte 50 bis 35, bei denen sich das Virus eher schlecht als recht eindämmen lässt, gilt nun die 100 als Indikator für die „Notbremse“. In der Fahrschule (auch bald wieder auf, übrigens) lernt man eigentlich, dass man bremst, bevor man frontal auf die Wand prallt, nicht nachdem. In der Pandemie lernt man gar nichts.


Mehr zum Coronavirus

Die Inkonsequenz kommt leidlich bekannt vor? Schon Anfang Januar beklagte unser Autor zwar nicht politisches Versagen, aber politische Verantwortungslosigkeit. Während sich die Stadt den Frühlingsgefühlen hingibt, mahnt Rosanna Steppat Durchhaltevermögen an, ein bisschen noch. Alle Infos zu Schnellteststellen bieten wir hier. Überblick zu Hotlines und regulären Teststellen hingegen gibt es hier. Hier entlang für Informationen zur Impfung in Berlin.

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