Kommentar

PCR-Tests kostenlos für alle: Warum lernt Berlin nicht von Wien?

In Wien und Berlin könnte die Corona-Teststrategie kaum unterschiedlicher sein. Österreichs Hauptstadt ist Vorreiterin, dort können alle Menschen kostenlos PCR-Tests erhalten – und zwar unkompliziert und schnell. Blickt man von Berlin aus nach Süden, kann man das kaum glauben. Zeit, sich ein Beispiel zu nehmen.

Ein Wiener PCR-Test für zuhause. In Berlin kann man neidisch sein auf dieses kostenlose Angebot. Foto: Johann Schwarz/SEPA Media

PCR-Tests in Wien: Laborkapazitäten wie ganz Deutschland

Will man schlechte Laune haben, hilft es, sich die offiziellen Testzahlen anzusehen: Derzeit bringt ganz Deutschland es täglich auf 370.000 PCR-Tests am Tag. Rund 350.000 PCR-Tests, also etwa so viele wie in Deutschland, schafft man auch in Österreich locker am Tag – und zwar nur in Wien. Die Stadt arbeitet derzeit an der Erweiterung ihrer Laborkapazitäten, bald sollen gar 500.000 Tests pro Tag möglich sein, 3,5 Millionen analysierte Proben pro Woche. Eine ganze Stadt testet mehr als das größte Land der EU. In Berlin kann man von Wiener Verhältnissen nur träumen. Was macht die Stadt anders?

Im Gegensatz zu Berlin setzt man in Wien fast gar nicht auf Antigen-Schnelltests, die man bei uns immerhin an jeder Straßenecke bekommt. Aber gerade mit der Omikron-Variante ist deren Verlässlichkeit umstritten. Ein Test ist zwar besser als kein Test, aber mangelnde Qualitätskontrollen und verminderte Sensitivität zählen zu den Problemen, Nachlässigkeit bei der Testdurchführung kommen hinzu. Und während Deutschland derzeit mühsam eine Liste zusammenstellen lässt, welche Anbieter wirklich gute Tests auf den Markt gebracht haben, geht Wien schon längst aufs Ganze und hat den PCR-Test zum Standard gemacht.

PCR-Tests sind viel verlässlicher

„Alles gurgelt“, so heißt die Initiative, die schon im März 2021 begonnen hat. Denn genutzt werden in Wien vornehmlich Gurgeltests, bei denen man mit Salzwasser gurgelt, das mit einem kleinen Röhrchen in einen Behälter spuckt und die ganze Probe dann zur Untersuchung ins Labor schickt. Die Tests kann man zuhause nach digitaler Zertifikation selbst durchführen oder eine der Teststraßen und -stationen nutzen. Das ist nicht nur simpel, sondern auch noch gratis: Die Sets sind kostenlos und an vielen Stellen erhältlich, in Supermärkten oder Tankstellen etwa. Auch abgeben kann man die Selbsttests nahezu überall – und hat das Ergebnis am nächsten Tag, manchmal sogar noch am selben Abend. In Wien ist es also einfach, tagesaktuelle Gewissheit über Infektionen zu erlangen – und das macht jedes Treffen, jeden Theaterbesuch und jeden Abend in der Bar entspannter.

In Berlin hingegen muss man mit Antigen-Schnelltests Vorlieb nehmen. Die Stäbchen in der Nase sind nicht nur deutlich unangenehmer als Gurgeln mit Salzwasser, sondern auch weniger zuverlässig, weil beim Antigen-Schnelltest nach Eiweißen gesucht wird, nicht nach bestimmten Sequenzen im Virus-Erbgut. Die Fälle von Menschen, die einerseits von der schlimmsten Grippe ihres Lebens berichten, andererseits keinen noch so blassen zweiten Streifen auf dem Schnelltest sehen, häufen sich.

Gewissheit erfordert Geduld oder Geld

Wer Gewissheit über eine Infektion haben will, muss sich also auf Arztpraxen verlassen, aufs Hörensagen über gewerbliche Testzentren, die kulanter mit Regeln umgehen, oder auf die landeseigenen Testmöglichkeiten: In den meisten Verwaltungsbezirken gibt es eine zentrale Einrichtung, an der man sich mittlerweile in sehr lange Schlangen einreihen muss. Wer dafür nicht die Zeit hat, braucht halt Geld, denn dann bleibt allenfalls das kostenpflichtige PCR-Testangebot, das auch mal 50 Euro oder mehr kosten kann.

Ein landeseigenes Testzentrum in Berlin, die Menschen stehen für den PCR-Test Schlange. In Wien sind solche Bilder undenkbar. Foto: Imago/Emmanuele Contini
Ein landeseigenes Testzentrum in Berlin, die Menschen stehen für den PCR-Test Schlange. In Wien sind solche Bilder undenkbar. Foto: Imago/Emmanuele Contini

Für die kostenlosen Angebote braucht es ohnehin Anhaltspunkte. Bestätigten Kontakt zu Infizierten etwa, rote Hinweise in der Warn-App. Einen kostenlosen PCR-Test, weil man sich schlicht Sorgen macht, gibt es in Berlin nicht. Im dritten Jahr der Pandemie ist man also im Blindflug und bereit, gegen die Omikron-Wand zu crashen. Und die Sicherheit, die ein negativer Schnelltest bietet, ist vergleichsweise gering.

Die Wiener Strategie ist da um Welten besser – und natürlich teuer, aber das war Deutschlands Schnelltest-Chaos auch. Für bisweilen unseriöse Teststellen, die mit Fantasieabstrichen operierten, wurden im Sommer 2021 astronomische Summen ausgegeben. Spätestens da hätte man vom Wiener Erfolg lernen können. Stattdessen wurden kurzfristig sogar die Schnelltests kostenpflichtig gemacht. Gratis sind sie zwar wieder, aber für Geboosterte bald nicht mehr erforderlich. Es scheint neben einer gewissen Hilflosigkeit in Deutschland auch einen starken politischen Willen zu geben, auf belastbare Daten über die Pandemielage zu verzichten.

PCR-Tests wie in Wien könnten auch in Berlin funktionieren

Man könnte annehmen, dass es für die Omikron-Welle fast zu spät wäre, kostenlose PCR-Tests nach Wiener Vorbild auch in Berlin einzuführen. Aber die Aussicht, dass man auf gute Strukturen verzichten könne, weil irgendwann wieder Sommer ist, hat schon mehrfach den Winter versaut. Und überhaupt ist Berlin gar nicht so behäbig, wie der Spott vermuten lässt. Die Antigen-Schnelltest-Stationen sind schließlich in atemberaubender Geschwindigkeit entstanden. Und mit welcher Konzentration die Booster-Impfkampagne durchgezogen wurde, grenzt schon an ein Wunder, wenn man Berlin nur als Stadt der nicht verfügbaren Amtstermine oder des quälend langsamen Flughafenbaus kennt. Dass innerhalb weniger Wochen Millionen Menschen ganz regulär in Impfzentren ihren dritten Schuss bekommen haben, statt sich auf Glück und gute Tipps zu verlassen wie zu Beginn der Impfungen, ist doch ein gutes Zeichen.

Zutrauen könnte man eine „Alles gurgelt“-Kampagne also auch Deutschlands Hauptstadt. Und angesichts der Fülle von Kultur und Gastronomie wäre das auch bitter nötig. Leider muss man sich in Berlin mit der Unsicherheit arrangieren – und sich angesichts mangelhafter Teststrukturen ins Jahr 2020 zurückversetzt fühlen. Blickt man dann wehmütig bis wütend nach Wien, bewahrheitet sich einmal mehr William Gibsons schöner Satz: „Die Zukunft ist schon da. Sie ist nur ungleich verteilt.“


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