Kommentar

Promis und Parteiwerbung: Danke, ich weiß selbst, was ich will

Zahlreiche Berliner Intellektuelle, Medienmacher und Künstler aller Geschlechter haben sich im Wahlkampfjahr 2021 auf die Seite einer Partei gestellt, auf die der Grünen respektive der Linken. Sie geben mit ihren offenen Briefen und Aufrufen klare Wahlempfehlungen aus: Kultursenator Klaus Lederer (Linke) soll in Berlin Regierender Bürgermeister werden, die Grünen das Land regieren. Die Anliegen und Beweggründe für das Engagement sind sicherlich ehrenwert, nerven aber trotzdem. Ein Kommentar zu Wahlempfehlungen von Prominenten.

Wahlplakat von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Seeliger

Parteiwerbung von Promis: Danke, ich hab schon

Seit ich wählen darf, also seit 1994, habe ich links der Mitte gewählt. Das lag vermutlich an biografischer Prägung, Sozialisation in Kiez und Schule und individueller Politisierung. Ich bin das, was manche despektierlich linksgrünversifft nennen, durch und durch. Grüne und Linke galten in meinem Umfeld sehr lange als die einzigen Optionen, alles andere zu wählen, wäre irre oder reaktionär. Was ich damit sagen will, niemand muss mich darauf hinweisen, dass es eine gute Idee wäre, mein Kreuz grün oder links zu setzen. Es ist mir vollkommen klar.

Nun haben sich von Bela B. bis Sven Regener, von Judith Holofernes bis Kersty und Sandra Grether alle möglichen Menschen positioniert und legen mir nahe, was ich wählen sollte. Grün oder die Linke. Warum ärgert mich das? Erstens sind mir all diese Leute sympathisch, sie sind talentiert, klug und lustig. In einem Wort, ich finde sie im Prinzip alle ganz in Ordnung.

Und doch will ich mir nichts von ihnen sagen lassen, instinktiv überkommt mich sofort ein Trotzgefühl. Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen schreiben tolle Bücher, spielen gute Musik und, und, und. Bestimmt haben sie auch gute politische Ideen und die „richtige“ Haltung, sie nutzen also ihre Prominenz für die „gute Sache“. Doch die Argumentation der offenen Briefe, die sich über die sozialen Medien verbreiten, wirkt oberlehrerhaft und unangenehm.

Prominente haben sich schon immer für Parteien engagiert

Klar, Prominente haben sich schon immer für Parteien engagiert. Günter Grass für die SPD, Joseph Beuys für die Grünen, um nur zwei berühmte Beispiele aus der bundesrepublikanischen Geschichte zu nennen. Ich will mich aber nicht von Literaten, Kuratorinnen, Journalisten oder Verlegerinnen in diesem nicht ganz unwesentlichen Aspekt des öffentlichen Lebens beraten lassen. Es ist übergriffig. Meine politische Meinungsbildung soll auf anderem Wege zustandekommen. Wer schöne Sätze formulieren kann, ein Instrument gut beherrscht oder den Unterschied zwischen Hypnagogic pop und Vaporwave herausarbeiten kann, genießt noch lange nicht die Deutungshochheit auf dem Gebiet der Politik. Warum auch?

Zudem sind die an den Aufrufen beteiligten prominenten Kulturschaffenden keine Superstars in diesem Land, abgesehen vielleicht von Bela B. und wenigen anderen. Die Massenwirksamkeit dieser Aktion würde ich hinterfragen. Denn kennen Sie zufällig Patrick Reising, Benedikt Reising oder Feline Lang? Ich nicht. Die sind bestimmt nett, klug und talentiert, aber trotzdem musste ich googeln. Und nun sagen auch sie mir, ich solle so und nicht anders an der Wahlurne entscheiden. Es sind also irgendwelche Leute, die hin und wieder mal im Radio zu hören sind oder über den Bildschirm flimmern. Moralische Instanzen stelle ich mir anders vor. Vielleicht wollen die Leute damit ihr eignes Gewissen beruhigen, vielleicht konnten sie nicht „Nein“ sagen, vielleicht sind sie einfach nur überzeugt. Ich kann über die Beweggründe nur mutmaßen. Aber sie sind in Wahrheit unerheblich.

Ein Recht auf die eigene Meinung

Die Leute haben sich mit ihrer Haltung in die Öffentlichkeit gedrängt und machen Wahlkampf. Dürfen sie, aber ich darf es nicht gut finden. Ich laufe schließlich als tip-Redakteur auch nicht herum und sage euch, liebe Lesende, was ihr zu tun habt. Ich kann höchstens für mich sprechen und meine Faszination oder Abscheu über diese oder jene Politik zum Ausdruck bringen. Was ihr mit eurer Meinung tut oder nicht tut, kann und will ich nicht beeinflussen, und irgendwie ist es mir auch egal.

Die Moderatorin Marion Brasch und ihr Kollge Jörg Thadeusz sind wegen Wegen Wahlkampf-Engagements unangenehm aufgefallen. Foto: Imago/Future Image
Die Moderatorin Marion Brasch (radioeins) und ihr Kollege Jörg Thadeusz (RBB) sind wegen wegen Wahlkampf-Engagements aufgefallen. Foto: Imago/Future Image

Nicht egal war es aber der Radiomoderatorin und Buchautorin Marion Brasch, die sich öffentlich zum Linken-Kandidaten Klaus Lederer bekannte und kürzlich von der Senderleitung eine Zwangspause verordnet bekam. Ihr prominenter Kollege Jörg Thadeusz ist ebenfalls unangenehm aufgefallen. Der Moderator und Journalist hat in einem vom FDP Berliner Landesverband herausgegebenen Magazin einen Gastbeitrag verfasst. Es ging um das Lieblingsthema der Liberalen, das „frei sein“. Seine Nähe zur FDP wurde vom RBB jedenfalls nicht abgestraft, Thadeusz darf weitersenden. Eine Ungleichbehandlung, die zwar die Verantwortlichen mit vielen Worten zu erklären versuchten, die jedoch in der Stadt für Empörung sorgte.

Nichts gegen Engagement übrigens! Engagement und „Gesicht zeigen“ lässt sich als prominente Person aber auch anders bewerkstelligen. Mit der Unterstützung von Hilfsorganisation, mit Geldspenden, die man in der Öffentlichkeit nicht unbedingt erwähnen muss, mit Präsenz und Solidarität. Jeder Mensch ist auch ein politisches Wesen und das sind natürlich auch kreative, talentierte und kluge Prominente genauso. Sie sollen nur nicht unbedingt Wahlempfehlungen abgeben.

Mich ärgert, dass diese prominenten Menschen zu meinem kulturellen Dunstkreis gehören, daher auch genau zu mir sprechen. Kurz: Ich fühle mich angesprochen und das ist mir unangenehm. Vermutlich erreichen die Aufrufenden sowieso nicht die Kernwählerschaft der AfD oder der CSU, geschweige denn, dass sie irgendwen auch noch umstimmen könnten. Sie erreichen am Ende nur das lingsgrünversiffte Milieu. Sie erreichen mich. Sie predigen zu den Bekehrten. Das ist weder wirksam noch guter Stil. Sie meinen es gut, aber gut gemeint ist eben manchmal schlecht gemacht.


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