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Sexarbeit

Prostitution in der Krise: Wie das Sexkaufverbot die Branche belastet

Seit März herrscht im „Bordell Lankwitzer 7“ wegen des Sexkaufverbots gezwungermaßen die Enthaltsamkeit. Viele Branchen hat der Lockdown hart getroffen. Doch während es nun für Freibäder, Fitnessstudios und Sportvereine wieder bergauf geht, bleibt dem Gewerbe der Sexarbeit offenbar nur eines übrig: abwarten. Doch die Geduld von Bordellbetreiber Aurel Johannes Marx und Sexarbeiterin Jana ist am Ende. Beide lieben ihre Jobs.

Die Betten im Bordell Lankwitzer 7 bleiben leer, nicht einmal die Frauen des Hauses dürfen in Zeiten von Sexkaufverbot und dem Lockdown von Bordellen die Zimmer bewohnen.
Die Betten im Bordell Lankwitzer 7 bleiben leer, nicht einmal die Frauen des Hauses dürfen in Zeiten von Sexkaufverbot und dem Lockdown von Bordellen die Zimmer bewohnen. Foto: privat

Das Bordell Lankwitzer 7 hatte noch nicht einmal die Außenbeleuchtung an, allein die Tür war offen. Und schon stand der erste Gast auf der Matte. So erzählt es Jana, Sexarbeiterin in Steglitz. Würde das Bordell von Seiten der Behörden grünes Licht kommen, wäre Jana zack wieder auf der Matratze. Damals, vor 20 Jahren, wäre sie fast Beamte geworden, doch zwischen Bergen an Papierkram hat sie sich einfach nicht gesehen. Ihr lag das Soziale und Körpernahe mehr. Und so wurde Jana Sexarbeiterin. Nach der Geburt ihres Kindes stieg sie für zwei Jahre aus dem Gewerbe aus und kam danach mit einem Künstlernamen wieder – ihre Kundschaft hatte sie nicht vergessen.

Heute sitzt Jana angezogen auf einen Himmelbett mit orangefarbenem Bezug in einem bordeauxrot gestrichenen gedimmten Raum, neben ihr der Betreiber des Bordells, Aurel Johannes Marx. Sie scherzen miteinander und knuffen sich in die Seite. Dabei ist die Lage alles andere als spaßig. 5.000 Euro sollen bei Jana für sechs Monate reichen – soviel Hilfe gab es einmalig vom Staat. „Drei Monate sind jetzt rum und wir fühlen uns auf den Arm genommen“, sagt Jana empört. Für ihre Wohnung muss sie 700 Euro Miete im Monat aufbringen. Hinzu kommen noch Versicherungen, Rechnungen und natürlich Steuern.

Fünf Euro verlangt sie scherzhalber von einem Freund Aurels dafür, dass sie dem Schornsteinfeger morgen früh die Tür aufmacht. „Ich kann seit Monaten nicht arbeiten und brauche das Geld“, sagt Jana und lacht.

Sexkaufverbot: Der Anfang vom Ende der Prostitution?

Anfänglich hatte Aurel ein paar Frauen, denen das Geld für die Miete fehlte und die demnach nicht wussten, wo sie unterkommen sollen, in seinen Wohnungen untergebracht. Nach vier oder fünf Wochen, als langsam klar wurde, dass das Sexkaufverbot offensichtlich längerfristig gelten könnte, hätten sich jene Frauen andere Unterkünfte organisiert – sie seien bei Freunden oder Familie eingezogen.

Seit März sind Sexarbeiter*innen in Deutschland von dem Arbeitsverbot betroffen. Sie würden bisher vergebens auf echte Hilfen und Unterstützung vom Staat hoffen, heißt es beim Berufsverband für erotische Dienstleistungen. „Während Nachbarländer die Sexarbeit bereits wieder zulassen — die Schweiz ab 6. Juni, Österreich ab 1. Juli – und Arbeitnehmer und Selbstständige in anderen körpernahen Branchen in Deutschland sich über erste Lockerungen freuen, heißt es für Sexarbeitende hier noch: Warten“, erklärt der Verband in einer Pressemitteilung. Der auf Spenden basierende Nothilfe-Fonds des BesD geht zur Neige.

Und 16 Parlamentarier, darunter der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD), setzen sich für ein allgemeines Verbot von Sexarbeit ein.

Das Sexkaufverbot hält an, doch Aurel würde nie eine Frau auf die Straße setzen.
Das Sexkaufverbot hält an, doch Aurel würde nie eine Frau auf die Straße setzen. Foto: privat

Man könnte meinen, Bordellbetreiber Aurel würde diese Initiative zusätzlich in Panik versetzen. Aber er sagt vergleichsweise entspannt: „16 von mehr als 700 Bundestagsabgeordnete haben sich für ein allgemeingültiges Sexkaufverbot ausgesprochen – das sind gerade mal zwei Prozent des Parlaments.“ Wenn man sich die Leser*innenkommentare unter den dazu veröffentlichten Artikeln medienübergreifend anschaue, sehe man schnell, dass die überwiegende Meinung der Bevölkerung in keiner Weise mit dem Vorstoß der 16 Parlamentarier übereinstimme, sagt Aurel: „Es sind immer die gleichen Politiker*innen, die behaupten, dass alle Sexarbeitenden ihrem Job unfreiwillig nachgehen würden und gezwungen sein.“ Und Jana glaubt, diese Politiker*innen hätten sich im Grunde nie tiefergehend mit der komplexen Thematik beschäftigt.

Steigende Kriminalität droht

Dennoch könnte sich die ohnhin schon prekäre Lage der Branche weiter verschärfen, wenn nicht bald ein Ende des Verbots absehbar ist. Dann würden nämlich viele Sexarbeiter*innen in die Kriminalität abrutschen, wenn sie sich nicht jetzt schon strafbar gemacht hätten. Davon ist jedenfalls Jana überzeugt. Aurel sieht das ähnlich. Bei einem dauerhaften Verbot ginge das Gewerbe eben an der Steuer sowie an Jugend- und Gesundheitsschutz vorbei, sagt er.

Jana schlägt wütend mit der flachen Hand auf das orangene Laken: „Wir hier im Bordell sind alle gemäß des Prostituiertenschutzgesetzes angemeldet, besitzen den Hurenpass und gehen regelmäßig zu den vorgeschriebene Gesundheitsprüfungen.“ Regelmäßig wird sie momentan von Kunden angerufen, die wissen wollen, wann sie sie wiedersehen können. Einige haben Jana sogar gefragt, ob sie nicht bei ihnen eine „private“ Ausnahme vom Sexkaufverbot machen könne. Sie hat natürlich abgelehnt.

Für Jana wäre es ein „Schritt zurück“, wie sie sagt, sollten sich Sexarbeiterinnen für zehn Euro in Parks, Tiefgaragen und Dixi-Klos verkaufen müssen. Doch nicht nur könnten Frauen in die Kriminalität abzurutschen. Auch sei es für sie gefährlich, draußen in der Dunkelheit zu arbeiten. Dort drohen sie Opfer von Vergewaltigungen zu werden. Auch würde manchen das Geld nach dem käuflichen Sex von den Freiern wieder abgenommen. „Man wird zum Freiwild“, sagt Jana. Jenes Bild, dass die Prostitutionsgegner laut Aurel vermitteln – jede Hure würde am Tag von zehn bis 15 fremden Männern gedemütigt werden – verstärkt sich nun noch mehr, doch in seinem Bordell sei das nicht die Realität.

Keine Angst, sich anzustecken

Vor dem Verbot hatte die Sexarbeiterin am Tag ihre drei bis vier Freier und betont energisch, dass sie hier keine Massenabfertigung betreiben würden. Kunden kämen meist nur mit Termin zu ihr. Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, habe sie keine, sagt sie. Von jedem ihrer Gäste besitzt sie die Handy- und meistens sogar die Festnetznummer. Es wäre kein Problem, sagt sie, jemanden bei einem Virusausbruch zu kontaktieren. Aber Jana sagt, sie glaube nicht, dass es überhaupt dazu kommen könne.

Eine Frau in jedem Zimmer und eine im Aufenthaltsraum, so würde der Regelbetrieb in der Corona-Krise aussehen. Foto: privat

Und Aurel betont händeringend: „Jedes unserer Zimmer hat ein Fenster, das man öffnen kann, verfügt über einen Desinfektionsspender und ein Waschbecken.“ Es gebe hier genügend Bettlacken, Handtücher und Seife, in den Badezimmern für Kunden und Sexarbeiter*innen könne geduscht werden. Ventilatoren ließen sogar auf dem Flur die Luft zirkulieren. Jana könnte bei Regelbetrieb in der Corona-Krise zwar beispielsweise orale Praktiken nicht ausüben, aber die Gäste würden trotzdem kommen, da ist sie sicher. Jene Begegnung mit dem Gast vorm Bordell vor ein paar Tagen, dem eine offenen Tür des Bordells reichte, um sofort nach den Diensten Janas fragte, spricht für sie Bände.

Wie Aurel sich ein Arbeiten in der Krise vorstellt? Seit Beginn der Krise seien immer wieder dieselben Systematiken zu beobachten, wenn es um die Entstehung von „Masseninfektionen“ ginge. Ansammlungen von Menschenmengen beispielsweise kämen in seinem Bordell überhaupt nicht vor. Dort würden mit den Corona-Regeln ausschließlich Eins-zu-eins-Kontakte stattfinden.

Öffnungsperspektiven statt pauschalem Sexkaufverbot

Als Teil der Kampagne #RotlichtAn zum Internationalen Hurentag am 2. Juni protestierten Jana und Aurel Johannes Marx mit Sexarbeitenden deutschlandweit für legale Anerkennung ihres Berufs und gegen ein Sexkaufverbot. Jetzt müsse den Menschen in der Branche, die die letzten zwölf Wochen vernünftig geblieben wären, eine Öffnungsperspektive geboten werden, sagt Aurel nüchtern. „Ohne Öffnungsperspektiven ist es eine Frage von relativ kurzer Zeit, bis die vernünftigen Leute unvernünftig werden.“

Für Jana ist es auch eine Frage der Gleichbehandlung ihres Berufs mit anderen körpernahen Dienstleistungen. „Bei einer normalen Massage kann man eine 1,5 Meter Abstand auch nicht einhalten“, sagt sie. „Und ob ich mit einem Gast schlafe, das kommt für mich in Bezug aufs Infektionsrisiko aufs Selbe hinaus.“

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