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Kommentar

Rassismus im Alltag und die Frage, ob man Freunde mit Migrationshintergrund hat

Gibt es überhaupt Rassismus und wenn ja, wie sieht er aus? Meistens lassen sich selbst ausgewiesene Rassisten nicht gern mit dem R-Wort bezeichnen. Und wenn man selbst kleine Anflüge von Ignoranz oder Fremdenfeindlichkeit an den Tag legt, erntet man geballte Entrüstung. Ein Kommentar von Jacek Slaski.

Schöne Welt der multikulturellen freundschaften. Sieht so auch die Wirklichkeit aus? Foto: Imago/Westend61
Schöne Welt der multikulturellen Freundschaften. Sieht so auch die Wirklichkeit aus? Foto: Imago/Westend61

Donald Trump und seine Gleichgesinnten erkennen die Präsidentschaftswahlen in den USA nicht an, weil da Leute über die Zukunft des Landes entschieden haben, die nach Ansicht der weißen Herren darüber nicht zu entscheiden hätten. Die ganzen Latinos und Afroamerikaner, die Einwanderer.

Die Empörung und Ignoranz, die in manchen Medien zu einem amerikanischen Coup und baldigem Bürgerkrieg hochgekocht wird, basiert auf nichts anderem als Rassismus. Rassismus ist überall und doch nirgends. Fragt man stramme AfD-Wähler, dann sind sie keine Rassisten. Die Polizei ist vielleicht rassistisch, liest man neuerdings. Wer weiß es schon, da fehlt ja noch die amtliche Studie dazu.

Gibt es diesen archetypischen Onkel überhaupt?

Alles ist relativ. Denkt man scharf nach, dann kennt man als aufgeklärter Großstädter vermutlich keinen Rassisten. Außer den einen Onkel, der bei Familienfesten immer für Peinlichkeiten sorgt. Gibt es diesen archetypischen Onkel überhaupt? Vermutlich. Irgendwer muss ja an den Stammtischen dieser Republik sitzen.

Aber mal weg vom Stammtisch und der Weltpolitik. Jetzt wird sich an die eigne Nase gefasst und man kann sich ja mal ein paar Fragen stellen. Das hat vor einiger Zeit die „Zeit“ vorgeschlagen mit ihrem Rassismus-Selbsttest – und ist ihren Lesern damit gehörig auf die Nerven gegangen.

„Fragst du Weiße beim Smalltalk nach ihren Großeltern?“

30 Fragen waren es insgesamt, etwa „Fragst du Weiße beim Smalltalk nach ihren Großeltern?“ oder „Denkst du, du bist nicht rassistisch, weil du einen Freund mit Migrationshintergrund hast?“ oder „Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?“ und (sehr interessant) „Wischst Du bei Tinder weg, wenn die Person nicht weiß ist?“.

„Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?“. Foto: Imago/Westend61

Die Empörung über den Artikel war groß. Das alles sei nicht wissenschaftlich, schrieben die Kommentartoren. Das ist alles „biased“ – wie man in Neusprech gerne sagt und was eigentlich nur „voreingenommen“ heißt – und überhaupt alles Quark mit Soße. Weißer Soße natürlich. Denn es ging nie um die Frage, ob diese Fragen manchmal doch ihr Ziel nicht verfehlen und ob viele der Empörten nicht doch bei der Antwort auf die Frage: „Wenn du ein Kind hättest, würdest du es in eine Kita mit mehrheitlich Kindern mit Migrationshintergrund schicken – wenn es in der Nähe eine Kita mit mehrheitlich weißen Kindern gäbe?“ zweimal nachdenken müssten.

Stichwort: Autodiebe, Zigarettenmafia und Putzfrauen

Ich verstehe das. Ich bin weiß, das ja, habe zudem einen Migrationshintergrund und zwar den polnischen, das ist in der Hierarchie der Migrationshintergründe eher zu unteres Drittel, würde ich mal sagen. Damit stehe ich irgendwo in der Mitte des Spielfeldes. Alltagsrassismus trifft mich nicht ganz so hart, aber so ganz mittendrin in der Gesellschaft stehe ich auch nicht. Stichwort: Autodiebe, Zigarettenmafia und Putzfrauen. Höhö. Dann kann man auch sein Leben lang in Deutschland verbringen, das kommt immer. Darauf ist Verlass. Auch in studierten Kreisen und bei Leuten, die sich für linksliberal halten.

Aber auch meine Eltern haben mich in den 1980er-Jahren auf eine Schule in Tempelhof geschickt, obwohl wir in Kreuzberg wohnten. Und mein kleiner Bruder ging in Treptow in den Kindergarten, nicht in Neukölln. Klar, Polen sind Rassisten, kann man ja überall nachlesen, so könnte jetzt eine Schlussfolgerung lauten.

Dann ist irgendwer anders Rassist

Dann ist irgendwer anders Rassist, also in dem Fall ich, oder besser noch, meine Eltern. Nur die Kommentatoren nicht. Und natürlich komme ich jetzt und sage: Nein nein, wir sind keine Rassisten und meine Eltern finden auch die Kaczynski-Regierung und den Rechtsrutsch in Polen doof. Und die rechten Tendenzen in Deutschland sowieso. Hilft nichts.

Grenzenloses Feiern jenseits von Klischees. Gibt es. Es gibt aber auch die andere Kehrseite. Foto: Imago/Westend61

Wir sind also auch keine Rassisten. Niemand will das sein, niemand ist einer. „Ich muss keinen multikulturellen Freundeskreis haben, um nicht rassistisch zu sein“, schreibt da ein Facebook-Fan der „Zeit“-Seite unter dem Post und eine Leserin ergänzt: „Ihr foltert uns so lange mit diesem völlig überzogenen Thema, bis selbst der gutmütigste und toleranteste Mensch rassistisch wird.“

Das Thema nervt, es ist unangenehm und doch ist es da, das Gespenst. Es geht um in Europa. Es geht auch um in der Welt. Dabei ist es völlig irrelevant, tausend subjektive Beispiele für Situationen zu finden, wo sich Rassismus nicht belegen lässt. Klar gibt es die. Klar gibt es in einer Stadt wie Berlin dafür viele Belege. Das macht trotzdem den Rassismus nicht weg. Das Problem mit Gespenstern ist, man sieht sie nicht, man bekommt sie nicht zu fassen.


Es ist ein außergewöhnliches Jahr – so außergewöhnlich, dass wir schon im Sommer ein Corona-Spezial der peinlichsten Berliner*innen gemacht haben. Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Die Geschichte von Attila Hildmanns Radikalisierung erzählen wir euch hier. Am 25.10. war die gewaltbereite Verschwörungsszene in Berlin unterwegs. Und die Polizei kam nur zum Zuschauen zur „Querdenker“-Demo. Und wenn Nahestehende auf all das reinfallen? Was man tun kann, wenn Partner*innen an Verschwörungen glauben.

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