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Linke Szene

Rigaer 94: Drei Jahrzehnte Besetzung – Streit mit Bezirksamt eskaliert

Liebig34 ist geräumt, in der Hausbesetzer-Szene Berlins und besonders Friedrichhains kehrt dennoch keine Ruhe ein. Weiterhin wird um den Umgang mit dem teilbesetzten Haus an der Rigaer Straße 94 gestritten. Ein groß angelegter Polizeieinsatz für Donnerstag und Freitag ist just verschoben wurden – nach einem Alleingang des Baustadtrats des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne). Worum geht es im Streit um die Rigaer 94, was sind die nächsten Schritte? Und warum ist der Senat offenbar endgültig genervt von der Bezirkspolitik?

Die Rigaer Straße 94 in Friedrichshain wurde 1990 besetzt. Foto: Imago/Jannis Große

Rigaer 94: Der Streit um Brandschutz eskaliert langsam, aber stetig

Tatsächlich ist der derzeitige Ausgangspunkt des Streits um den Fortbestand des Hauses an der Rigaer 94 offiziell der Brandschutz. Bereits 2016 wurde das Bezirksamt über Probleme mit dem Brandschutz in dem seit 1990 besetzten Haus informiert – der aktuelle Eigentümer pocht nachdrücklich auf eine Überprüfung. Seitdem das leerstehende Haus kurz nach dem Mauerfall bezogen worden war, hatte es immer wieder Besitzerwechsel gegeben – zuletzt 2014 an den Fonds Lafone Investments Limited in London als Eigentümer, mit zwei Gesellschaftern, einem Ukrainer und, über eine komplexe Treuhandkonstruktion, einem Berliner. Keine sorgenlose Geldanlage für die beiden.

Polizisten sichern eine Wohnungsdurchsuchung und Vollstreckung eines Haftbefehls an der Rigaer Straße ab. Foto: Imago/Christian Mang

2016 kam es zu einer Eskalation an der Rigaer 94, nachdem Polizeibeamte einen vermeintlichen Straftäter in dem Haus vermuteten und eine Hausdurchsuchung stattfand. Im Sommer 2016 wurden Teile der Rigaer 94 sowie die Kneipe „Kadterschmiede“ geräumt. Eine spätere Demonstration von 3500 Menschen wurden von der Behörde als „aggressivste und gewalttätigste Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin“ gewertet – die linke Szene wiederum empfand einen enormen Druckaufbau seitens der Beamten, der zur Eskalation geführt habe.

In jedem Fall wurde die Polizei auf Umbaumaßnahmen im Haus aufmerksam. Innensenator Andreas Geisel (SPD) forderte fortan eine Klärung der Eigentumsverhältnisse, um anschließend Umbaumaßnahmen in die Wege zu leiten, die Polizeieinsätze erleichtern – Grundstein des seitdem schwelenden und nun wieder eskalierenden Konflikts, in dem auch die Bezirkspolitik eine wichtige, wenngleich offenbar nicht unbedingt förderliche Rolle einnimmt.

Hinterhof des Wohnprojekts Rigaer 94 im jahr 2001. Foto: Imago/David Heerde

Verschleppt und verzögert? Kritik an Bezirkspolitik bei Liebig 94

Immer wieder hatte sich die Polizei in Sachen Sicherheit an das Bezirksamt gewandt, wirklich geschehen ist nichts. Dies passte zu immer wieder auftauchenden Berichten, weder Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) noch Parteikollegin und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hätten ein gesteigertes Interesse, im Sinne der Polizei zu agieren. Der „Tagesspiegel“ berichtet, dass Herrmann zwischenzeitlich die Bauaufsicht im kleine Kreis instruiert habe, „der Einladung der Polizei zu einem Gespräch über die festgestellten Mängel (…) nicht (zu) folgen“.

Es setzte sich ein Hin und Her der Zuständigkeiten und Aussagen fort, immer wieder wurde sich auch den Eigentümer berufen, der selbst aktiver werden müsse. Immer wieder war seitens des Eigentümers der Einsatz eines Brandschutzgutachters gefordert worden – etwas, das, so wirkt es gar, seitens der involvierten Politiker des Bezirks immer wieder verschleppt und verzögert worden war.

Mit der Zeit wurde das Friedrichshainer Schauspiel um die Rigaer 94 auch der Senatsinnenverwaltung zu grotesk – sie schaltete sich nach einer Vorlage des Innensenators Andreas Geisel (SPD) ein. Tenor: Der Einsatz eines offiziellen Brandschutzgutachters wird unterstützt. Begehungen von Schmidt würden nicht genügen. Seit März 2020 läuft eine Prüfung, ob das Bezirksamt seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr überhaupt in den vergangenen Jahren nachgekommen ist.

Nach einem Angriff auf einen Polizeibeamten stürmt die Berliner Polizei die Rigaer 94 im Januar 2016. Foto: Imago/Christian Mang

Im Januar 2021 dann verpflichtete der Senat das Bezirksamt, „umgehend für eine vollständige Aufklärung der bauordnungs- und brandschutzrechtlichen Situation“ zu sorgen. Der Eigentümer wollte in keinem Fall Schmidt in der Verantwortung für die Überprüfung der Brandschutzmaßnahmen sehen.

Baustadtrat Schmidt macht eigene Sache – und verärgert den Senat

So kam es Mitte März zum Showdown: Für den 11. war – mit massivem Polizeiaufgebot – eine Hausbegehung angesetzt. Kommen wollte eine Vertretung des Eigentümers, dazu Brandschutz-Gutachter. Offenbar wollte der Eigentümer dann doch endlich erfahren, wie es nun wirklich um die Sicherheit in dem Haus steht, über das er und alle in den vergangenen Jahren so viel gehört hatten, von eingebauten Falltüren, von Blockaden, von freiliegenden Kabeln und ähnlichen Gefahrenquellen.

Juni 2016: Teilräumung der „Kadterschmiede“ und Teile des Hauses Liebig 94. Foto: Imago/Christian Mang

Schmidt zeigte sich wenig euphorisch über das Vorhaben und kündigte an, diese Begehung einfach schon zwei Tage vorher selbst zu veranlassen und dann die Ergebnisse weiterzugeben – wogegen der Eigentümer per Eilverfahren klagte. Problem: Schmidt war schneller als der Kläger, eine Mitarbeiterin der Bauaufsicht des Bezirksamts hatte das Gebäude mit einem Anwalt der Bewohner bereits am Dienstvormittag besichtig. Der Eilantrag war somit teilweise seines Gegenstandes beraubt. Kein Zufall, darf man annehmen: Schmidt hatte am vorangegangenen Freitag von dem Eilantrag erfahren und dann Dienstag seine eigenen Leute losgeschickt. Davor hatte zuvor auch Innensenator Geisel gewarnt.

Gericht: Auch Rigaer 94 kein rechtsfreier Raum – und Schmidt nicht genug

Das Verwaltungsgericht entschied am Dienstag, dass auch die Bewohner des besetzten Hauses bestimmten Regeln folgen müssen. Heißt konkret: Eine Brandschutzbegehung der Rigaer 94 durch einen Brandschutzprüfer und Vertreter des Eigentümers müsse genauso ermöglicht werden wie die Kontrolle der Wohnungen in dem Haus. Das bestätigte Dienstag auch der rot-rot-grüne Senat.

Dafür wird nun eine Anordnung erlassen, gegen Schmidts Willen – die allerdings nicht bis Donnerstag, dem geplanten Termin der Begehung inklusive großem Polizeieinsatz, umsetzbar ist. Der neue Termin dürfte in den nächsten Wochen, wohl noch im Frühjahr folgen.


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Egal ob Hausboot, Kommune, WG – die Geschichte der alternativen Lebensformen in Berlin ist spannend. Viele sind nicht mehr übrig: Besetzte Häuser in Berlin – diese Fotos erzählen linke Stadtgeschichte. Bundesweit Aufmerksamkeit bekam die Räumung der Liebig34 – bei der beide Seiten Sympathien verspielten.

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