Der Stadt fehlt es an sozialen Räumen, ob nun für Schulen, Kindergärten oder Sporteinrichtungen der Platz muss her. Der Bebauungsplan der Kleingärten in der Kolonie Eschenallee in Tempelhof sieht bereits seit 1960 eine Schule auf dem Gelände vor. Was jetzt jedoch aus dem Stadtgrün mit jahrhundertelanger Tradition werden soll, sind graue Schulcontainer auf einer zubetonierten Fläche. Ob gebaut wird, ist klar, aber wie und wann, das weiß keine*r. Ein Stimmungsbild übern Gartenzaun.
Auf einem schottrigen Weg schiebt eine Frau ihren Kinderwagen vorbei an niedrigen Hecken. Ihr Weg führt durch die Kleingartenkolonie Eschenallee. Das Kleinkind tollt vor ihr herum, bis es sich fast an einem hölzernen Kasten die Nase stößt. Es ist ein Hochbeet voller Erdbeeren. Die Kolonie hat Pflückwiesen und -beete, wo sich jeder bedienen kann. Überschüssiges Obst wird in Tüten an die Zäune gehängt, zum Mitnehmen für jedermann. Doch bald ist diese Idylle Geschichte. Denn die Kleingartenkolonie soll Schulcontainern weichen.
Bis der erste Bagger vorne an der Paul-Schmidt-Straße steht, will Kleingärtner Heinz ausharren. Er und seine Frau besitzen seit mehr als 30 Jahren ihren Kleingarten am Hang. „Wir haben von Anfang an gewusst, dass unsere Zeit hier begrenzt ist. Das wurde uns schon beim Abschluss des Pachtvertrags gesagt. Aber die Angaben waren unbestimmt“, erinnert sich Heinz.
Was ihn am meisten fuchst: Auf dem Grund und Boden der Eschenallee sollte eine dreizügige Grundschule errichtet werden. Nun aber hat der Bezirksstadtrat Tempelhof davon Abstand genommen. Der Stadtrat will den Platz betonieren — und Container aufstellen für eine temporäre Schule, in der Kinder unterkommen, deren eigene Schulen renoviert werden sollen.
Die Zukunft der Kleingärten – ungewiss
Ob dann jemals eine Grundschule Stein auf Stein gebaut wird oder die Fläche nach vier fünf Jahren bei einer neuen Gesetzeslage weiterverkauft wird, da ist sich Heinz nicht sicher. Was die Kleingartner*innen jedoch nicht wollen: dass man jetzt alles abreißt und das Land dann Jahrzehnte lang brachliegt. Man habe den Eindruck, erst einmal werde abgerissen und dann geplant. So empfindet es zumindest Thomas Koch. Er ist der 2. Vorsitzender der Kolonie und Mitbegründer der Bürgerinitiative Marienhöhe.
Die Schutzfrist der Eschenallee ist in diesem Jahr abgelaufen. Eine Kündigung zu diesem Jahr traf nicht ein, „vielleicht, weil wir so heftig protestiert haben“, so Koch. Ein kleines Schmunzeln huscht über den Mund des Kleingärtners. Der Senat wolle nach eigenen Angaben für die nächsten zehn Jahre fast 7000 Parzellen vor Bebauung schützen — für die Kolonie gilt das nicht. Die Kleingärtner müssen hier von Jahr zu Jahr aufs Neue um ihr Ökosystem bangen. Und so vergeht Koch das Lächeln schnell wieder.
Das Soziale-Infrastrukturkonzept sieht Kündigungen von Kleingärtenanlagen bis 2030 vor. Jahr für Jahr fürchtete der Bezirksverband der Kleingärtner Tempelhof stets bis zum 31. Januar, böse Post zu bekommen. Bis zu diesem Stichtag muss nämlich ein Kündigungsschreiben für den 30. November des selben Jahres eingehen. Anfang 2020 kam dieses befürchtete Schreiben für die Kolonie Morgengrauen dann tatsächlich — fristgerecht. Als Verband sei man momentan dabei zu ermitteln, welche Pächter*innen weiter machen wollen. Dabei habe man erfahren, dass einige Rentner*innen dann das Gärtnern an den Nagel hängen. Doch der Großteil wolle weiterhin einen Kleingarten unterhalten.
Die Kleingärtner*innen hoffen auf eine weitere Gnadenfrist — wegen Corona
Der 1. Vorsitzende Reinhard Schramm grübelt schon länger darüber, ob die angedachten Projekte seitens der Politik überhaupt durchgeführt werden könnten. Viele Gelder, die für die Umgestaltung der Kleingärten gebraucht würden, wären in der Pandemie an anderen Stellen geflossen. Dass sich die Gnadenfrist verschiebt, ist die Hoffnung der gesamten Kolonie Eschenallee, angefangen mit Herrn Koch.
„Ob Vorhaben wegen möglicher Pandemie-Folgen nicht realisiert werden können, ist derzeit nicht einschätzbar“, sagt der Pressesprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klima, Jan Thomsen.
Tempelhof — Spitzenreiter im Abriss von Kleingärten
Wie ist der Stand der Dinge? Welche genaueren Pläne gibt es? Für welche Schulen soll der Ersatzbau sein? Das sind so Fragen, die die Kleingärtner*innen ans Bezirksamt gestellt haben. Dort habe es nur geheißen, man warte auf eine Machbarkeitsstudie. Dass gebaut wird, ist klar, aber wie, das weiß keine*r.
Die Bezirkspolitik reagiert auf tip-Anfragen kühl. „Alle Projekte müssen weiterverfolgt werden, an den Fristen hat sich aufgrund der Pandemie nichts geändert“, so Bezirksstadtrat Oliver Schworck (SPD), zuständig für Jugend, Umwelt, Gesundheit, Schule und Sport. Der Staat habe die gesetzliche Pflicht, Schulplätze für alle schulpflichtigen Menschen zur Verfügung zu stellen. Dass Kleingartenanlagen in vielerlei Hinsicht in dieser Stadt ein wichtiger Bestandteil sein, dessen ist sich auch dieser Bezirk sehr bewusst. „Deshalb wird die Inanspruchnahme auch nur auf die allernotwendigsten Fälle beschränkt“, sagt Schworck. Doch das scheint ein Streitpunkt zu sein.
„Tempelhof schickt sich an, Spitzenreiter im Abriss von Kleingärtengrün zu werden“, kritisiert der Kleingartenvereins-Vize Koch. Er fragt sich, warum es allein nur in diesem Bezirk zehn Kolonien seien. Andere Bezirke würden ihre Kolonien schützen.
Koch suchte das Gespräch mit Baustadtrat Jörn Oltmann und schlug vor, zunächst ein anderes Gebiet, und zwar in der Röblingstraße, mit Schulcontainern zu belegen. Das hätte den Kleingärtner*innen ein bisschen mehr Luft verschafft. Doch jetzt sei dort auch kein Platz mehr für die Ersatzschule, ein Wohn- und Gewerbegebiet werde kommen.
Keine Kleingärten mehr übrig, doch die Nachfrage steigt
Die allerletzte Hoffnung für manche Gartenfreunde könnte eine Ersatzparzelle sein. Aber auch damit sieht es trübe aus. Stadtrat Schworck zufolge verfügt der Bezirk derzeit leider über keine Grundstücke, die als Alternative angeboten werden könnten. Auch Reinhard Schramm vom Bezirksverband der Kleingärtner Tempelhof kann momentan nichts Genaueres über mögliche Alternativen sagen. Und bei der Senatsumweltverwaltung sagt Sprecher Thomsen, mögliche Grundstücke wären in erster Linie durch die Teilung großer Parzellen sowie durch Erweiterung bestehender oder Umnutzung größerer Freiflächen in den Anlagen denkbar. Die Zahl der Inanspruchnahmen von Kleingärten könnte sich aber auch erhöhen, wenn genauere Planungen vorlägen, so Thomsen.
„Vor allem jetzt in der Corona-Krise hat man gesehen, dass Gärten gebraucht werden und dass Berliner*innen das auch verstanden haben“, sagt Bürgerinitiativen-Mitbegründer Thomas Koch. Parzellen in der Kolonien Eschenallee und Marienhöhe seien noch begehrter als zuvor: „400 neue Anträge sollen im Bezirksverband zusätzlich zu denen, die schon vorhanden sind, eingegangen sein!“
Kleingärtner Heinz sagt, allein in Tempelhof stünden über 800 angemeldete Personen auf den Wartelisten der Kleingärten und das seit Jahren. Und er orakelt düster: „Wenn jetzt für uns vorrangig andere Parzellen gefunden werden sollen, gibt es Mord und Totschlag.“
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