Kommentar

TXL-Abschied: Tegel-Rundflüge sind der Gipfel der Ignoranz

Der Flughafen Tegel schließt am 7. November, weil der BER eine Woche vorher öffnet. Zu diesem Anlass bieten manche Airlines Abschiedsrundflüge an. Unsere Autorin findet: Der Flughafen Tegel ist besonders. Aber Nostalgie und fliegen um des Fliegens Willen reichen nicht als Rechtfertigung, um kiloweise CO2 in die Atmosphäre zu pumpen. Ein Kommentar.

Wer Tegel-Rundflüge dämlich findet, muss gleich Ryanair und Co. verbieten, meint wiederum unser Autor Max Müller. Unten geht es zu seinem Text.

TXL Abschied Tegel Rundflüge:  Der Gipfel der Ignoranz
TXL ist ein besonderer Flughafen. Aber muss die Nostalgie so weit gehen, dass man zum Abschied bei Tegel-Rundflügen kiloweise CO2 in die Atmosphäre pumpt? Foto: imago images/Joko

Viele Menschen haben komische Spleens, Hobbys und Vorlieben. Manche sammeln Radiergummis, andere bauen sich ganze Landschaften in den Keller, durch die dann eine Modelleisenbahn tuckert. Wieder andere pflastern die Wände ihrer Wohnung mit Postern von Justin Bieber oder Nicky Minaj oder Ricky Martin. You name them. Das ist vielleicht ein bisschen seltsam, schadet aber niemandem.

Bei manch anderen Spleens und Hobbys ist das nicht so. Die sind seltsam und gleichzeitig moralisch fragwürdig. Motorradfahren gehört dazu, vor allem, wenn man eins hat, mit dem man anderen Menschen extra auf die Nerven geht, weil es extra laut ist. Außerdem fällt darunter: Tegel so sehr zu lieben, dass man einen Abschiedsflug bucht, danach etwa 40 Minuten über Berlin kreist, dabei zusammen mit ein paar anderen Flugzeugliebhaber*innen kiloweise Treibhausgase verursacht und dann wieder in Tegel landet. Oder am BER, das kann man sich aussuchen.

Was bringt ein Tegel-Rundflug zum TXL-Abschied, wenn man am Gang sitzt?

Insgesamt haben die Tegel-o-philen die Wahl zwischen neun Abschiedsflügen der Airlines Eurowings, Sundair und Air France in folgenden Variationen: TXL-TXL, TXL-BER, BER-TXL. Das kostet dann zwischen 88 und 385 Euro, je nach dem, ob man Businessclass oder Economy fliegt, am Fenster sitzt oder am Gang. Welchen Nutzen ein Rundflug haben soll, wenn man am Gang sitzt, könnte man sich jetzt fragen. Oder: Steckt der Kopf dieser Menschen, die so einen Flug gebucht haben, im Sand? Und wenn ja, seit wann? Seit der Anti-Atomkraftbewegung vielleicht, seit den Bildern von den Plastikstrudeln im Meer oder erst, seitdem Sibirien jeden Sommer so doll brennt, dass der Permafrost auftaut?

Flugzeuge schießen ja nicht wie eine Rakete in die Höhe, sondern steigen und landen langsam. Dabei verbrauchen sie besonders viel Kerosin. Und weil bei einer Dauer von 40 Minuten fast der gesamte Rundflug aus Steig- und Sinkflug besteht, sind die Rundflüge besonders schädlich. Der Klimawandel ist in vollem Gange, die Sommer werden immer heißer, das Wasser in den meisten Regionen immer knapper und Kalifornien ist ein Inferno. Und in Tegel fliegen die Menschen um des Fliegens willen.

Tegeler Abschiedsrundflüge: Der Gipfel der Ignoranz
Nostalgie hin oder her: Fliegen ist verdammt schlecht für die Umwelt. Foto: imago images/Joko

Natürlich könnte man jetzt sagen, wenn es solche Angebote gibt, wird es immer Menschen geben, die sie wahrnehmen. Außerdem muss man höher ansetzen, wenn man das Problem wirklich in Angriff nehmen will: Kerosin hoch besteuern, Duty-Free-Bereiche abschaffen, all die direkten und indirekten Subventionen abbauen, die der Luftfahrt zugutekommen. Den Turbo-Kapitalismus hinterfragen. Man könnte auch sagen, dass es nicht besser ist, wenn Menschen für eine Woche nach Malle fliegen, um sich dort besinnungslos zu saufen.

Fliegen um des Fliegens Willen: Rundflüge zum TXL-Abschied sind der Gipfel von fehlendem Bewusstsein

Aber die Rundflüge sind das Eiterhäubchen auf dem fetten Pickel. Wer in den Urlaub nach Malle fliegt, der tut das vielleicht, weil man sonst nur schwer auf die Insel kommt und die CO2-Bilanz von Schiffen auch nicht besser ist. Oder weil er nur eine Woche Zeit hat und sich den Rest des Jahres den Buckel krumm macht. Vielleicht ist er sich auch bewusst, dass Fliegen schlecht für die Umwelt und unsere Zukunft ist und kompensiert den Flug, indem er umweltfreundliche Projekte unterstützt. Es gibt da diverse Anbieter für diese CO2-Kompensation.

Aber selbst wenn die Menschen das nicht tun, sondern sich einfach nur den Folgen ihres Handelns für die Umwelt bewusst sind und abgewogen haben, dass ihr Jahresurlaub das schlechte Gewissen wert ist: Immer noch besser, nein, viel viel besser, als die Rundflug-Heinis. Die tragen zum Spaß, für ein bisschen Nostalgie, für 40 Minuten auf den Flugzeuggang gucken, zur Klimaerwärmung bei. Das nennt man Ignoranz. Oder Dekadenz. Oder seine Kinder lachend in Richtung Kreissäge schicken.


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