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Berlin-Wahl 2021

Wahlprogramm der CDU Berlin: Polizeistaat mit Einsamkeitsbeauftragtem

Wie würde Berlin aussehen, wenn die CDU alles verwirklicht, was in ihrem Wahlprogramm steht? Law-And-Order-Politik mit Überwachungskameras am Görlitzer Park und Kopfnoten für Schüler:innen wären an der Tagesordnung. Aber die Partei beruft auch einen Einsamkeitsbeauftragten. Wir nehmen auf Koalitionsfragen keine Rücksicht und stellen uns eine Stadt vor, die von der CDU mit absoluter Mehrheit regiert wird.

Das Otto-Wels-Haus Unter den Linden gehört zum Bundestag, Kameras sind hier unverzichtbar. Im Wahlprogramm der CDU soll Berlin aber deutlich mehr Videoüberwachung erhalten. Foto: Imago/Steinach
Das Otto-Wels-Haus Unter den Linden gehört zum Bundestag, Kameras sind hier unverzichtbar. Im Wahlprogramm der CDU soll Berlin aber deutlich mehr Videoüberwachung erhalten. Foto: Imago/Steinach

Wahlprogramm der Berliner CDU: SEK steht immer bereit

Wer nach typischen Orten für den konservativen Geist der neuen CDU-Herrlichkeit sucht, muss bloß durch den Görlitzer Park spazieren. Dort sind neuerdings Überwachungskameras an die Masten der Laternen montiert worden. Falls dort trotz des allumfassenden Blicks der Staatsgewalt ein paar Dealer:innen ihre Geschäfte machen, etwa Drogen verkaufen und darüber eventuell mit konkurrierenden Händler:innen in Zwist geraten, rücken SEK-Einheiten an. Falls die inkriminierten Personen murren oder Gesten machen, die provokativ erscheinen könnten, zücken die Polizisten ihre Elektroschockgeräte. Taser gehören nämlich mittlerweile zum Arsenal der Berliner Polizei.

Manchmal marschieren auch schwer bewaffnete Anti-Terror-Einheiten auf die Kreuzberger Grünfläche – wenn der Landesverfassungsschutz „eine erhöhte Terrorgefahr“ meldet. Es könnte sich ja ein neuer Anis Amri, der Massenmörder vom Breitscheidplatz im Jahr 2016, in die Gauner-Kreise gemischt haben.

Der Senat für Inneres hat außerdem die Schleierfahndung eingeführt. Womit de facto „Racial Profiling“ zum Usus wird, vor allem an Schmelztiegeln wie dem Alexanderplatz, dem Hermannplatz, dem Kottbusser Tor. People Of Color leiden unter den Schikanen. Vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes wird geklagt; die umstrittene Polizeipraxis könnte gegen den Gleichheitssatz verstoßen.

Ein Abschiebeknast am BER

Auch sonst hat sich das Straßenbild verändert. Polizisten werden auf ihren Streifengängen immer häufiger von Security-Leuten flankiert. Vor allem dort, wo die Polizei mehr Heckmeck als anderswo vermutet, an der Sonnenallee in Neukölln, auf dem Weddinger Leopoldplatz. Außerdem patrouillieren Mülldetektive durch die Kieze, um die Quellen des Unrats auf den Bordsteinen aufzuspüren.

Weil der CDU-geführte Senat immer mehr Einwanderer:innen abschieben lässt, etwa in den Nahen Osten, wegen verweigertem Asylstatus oder Strafdelikten, reichen Berlins JVAs für das strenge Regiment des Abschiebegewahrsams nicht aus. Daher wird in der Nähe des BER ein Abschiebegefängnis gebaut.

Tatütata und Videoüberwachung: Die Berliner CDU schwört in ihrem Wahlprogramm auf die Polente und Sicherheit im öffentlichen Raum. Foto: bitteschön.tv
Tatütata und Videoüberwachung: Die Berliner CDU schwört in ihrem Wahlprogramm auf die Polente und Sicherheit im öffentlichen Raum. Illustration: bitteschön.tv

An der Schule herrscht mehr Strenge: Die Lehrer:innen delegieren häufiger Diktate in der Grundschule, zudem werden Kopfnoten vergeben: Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung. Zu Knatsch kommt es, weil manche i-Dötzchen Kopftücher tragen wollen – also bunte Textilien, die die Senatsverwaltung für Bildung in Grundschulen und Kitas nicht dulden will. Wer schwänzt, ruft irgendwann den häuslichen Besuch von Kontaktbereichsbeamten auf den Plan. In den Sekundarschulen wird das Fach „Wirtschaft“ zum Teil des Curriculums. Dabei sollen Schüler:innen in unternehmerischer Kompetenz geschult werden. Um Einblicke ins Business zu geben, besuchen Zalando-Manager die Klassen.

Doch die CDU, deren politisches Mindset so tough erscheint, überrascht auch mit einer weichen Seite. Die Senatsregierung hat einen „Einsamkeitsbeauftragten“ ernannt, der die Pest der Vereinzelung in der anonymen Metropole ausrotten soll. Mit seinen Fachleuten hilft dieser Everybody’s Darling alten Menschen aus der Isolation. Sodass ihre Wohnungen in fast vergessenen Mietblocks keine Paläste der Tränen mehr sind.

Wahlprogramm der CDU: Tempelhofer Mischwald

Die größte Brache der Stadt will die CDU zu einem Mischwald machen, der auch auf die sanften Gebirgsketten der Schwäbischen Alb gebettet sein könnte. Die Rede ist vom Tempelhofer Feld. In einer Volksbefragung geben die Berliner dieser naturromatischen Aufforstung ihren Segen.

Ein Überblick über die Verkehrspolitik: Es werden mehr Radwege gebaut, darunter der Rad-Highway unter der Hochtrasse der U1 bis zur Oberbaumbrücke, aber genauso wird Beton angerührt für den 17. Bauabschnitt der A 100 – jene Erweiterung mit Rampe zu einer Überquerung über den S-Bahnring, einer Autobahnpassage über der Spree, einem Tunnel unterm Ostkreuz und weiterem Streckenverlauf bis zur Frankfurter Allee. Weitere Gimmicks für die Verkehrswende: eine Magnetschwebebahn, deren Streckenverlauf noch ungewiss ist. Vielleicht eine Trasse mit einer Endstation am BER?

Außerdem schippern Wassertaxis über die Spree und mit ihr verzweigte Gewässer. Auf einem Areal des Tempelhofer Felds wächst ein Wald – ein Sauerstoffreservoir für die CO2-belastete Stadt.

Olympische Spiele in Berlin 2036

Dank einer unternehmerfreundlichen Wohnungspolitik verschafft die CDU der Baubranche eine Großkonjunktur – sie setzt auf Neubau, mit landeseigenen Wohnungsgesellschaften, aber auch mit privaten Investoren. Die avisierte Stadtsilhouette ist eine Art „Spreehattan“; jedenfalls entdecken die Baumeister die Vertikale. Aufgebockt werden zum Beispiel die Flachbauten von Discountern.

Im Sport wird geklotzt: Berlin bewirbt sich um Olympia 2036, zusammen mit Tel Aviv. Ein Fest, das ein politisches Zeichen für ein neues deutsch-jüdisches Verhältnis sein soll. Hundert Jahre nach den Spielen unter Hakenkreuz-Flaggen und Hitlers manischen Augen. Hertha BSC erhält darüber hinaus die Baugenehmigung für ein neues Stadion im Olympiapark, bezahlt unter anderem von Klub-Investor Lars Windhorst. Damit die Stimmung in der neuen Arena so berauschend werden könnte, dass die  alte Hertha sich in obere Tabellenregionen ballert.

Das komplette Wahlprogramm der CDU Berlin lest ihr hier.


Kurz-Check mit dem CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner

Kai Wegner will Regierender Bürgermeister werden. Wir haben dem CDU-Spitzenkandidaten ein paar Fragen gestellt. Foto: CDU Berlin/Yves Sucksdorff

Mein politisches Vorbild Von allen das Beste.

Das sage ich morgens meinem Spiegelbild Heute wird ein toller Tag!

Beste:r Berliner Bürgermeister:in bisher Eberhard Diepgen für das Zusammenführen der Stadt.

Mein liebster Berliner Kiez Der, in dem ich mich gerade aufhalte.

Regt mich in Berlin an Gespräche mit Berlinerinnen und Berlinern.

Regt mich in Berlin auf Dass Berlin schlecht regiert wird.

Darin war ich nie gut in der Schule Singen – eher laut als richtig.

Dieses Berliner Gebäude kann weg Wir brauchen mehr Gebäude, nicht weniger.

Das mache ich nie wieder Leider kann ich meine Eltern nie wieder in den Arm nehmen.

Dort stürze ich nachts am liebsten ab Ich feiere, ohne abzustürzen.

Meine erste Amtshandlung als Regierende:r Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen.

So soll man sich an mich als Regierende:r erinnern Bürgernah. Pragmatisch. Macher.


Was die anderen Parteien wollen


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