Stadtentwicklung

Warum die Baupläne für das RAW-Gelände den Kiez verderben

Am 22. Februar 2022 stellt die Kurth-Gruppe ihre Pläne für das RAW-Gelände vor. Carsten Joost, Architekt und Gründungsmitglied der Initiative RAW-Kulturensemble, beschäftigt sich seit 1999 mit dem RAW und hat die Planungen für uns analysiert.

So könnte es auf dem RAW bald aussehen. Grau sind bestehende Gebäude, die beigen Blöcke kommen neu dazu. Visualisierung: Carsten Joost/Planungsagentur

Architekt Joost: Der Freiraum RAW wird maximal verbaut

tipBerlin Herr Joost, was ist auf dem RAW geplant?

Carsten Joost Gerade geht es um den großen westlichen Teil des RAW, der Kurth Immobilien gehört und auf dem sich die Kunst- und Kulturnutzungen befinden. Die sollen zum Großteil abgerissen werden: Suicide Circus, Urban Spree, Astra Kulturhaus, Haubentaucher, Teile des Kletterturm-Ensembles – dazu kommt eine massive Bebauung des Parkplatzes. Es entsteht ausschließlich Gewerbe, unter anderem in einem 100-Meter-Hochhaus. Die Freifläche wird maximal verbaut. Auf dem östlichen Teil des RAW soll ebenfalls ein Hochhaus entstehen. Das Ganze könnte wie ein zweiter Mercedes-Benz-Platz werden.

tipBerlin Was ist das Problem daran?

Carsten Joost Man darf den Gentrifizierungsdruck, den eine solche Bebauung auf das angrenzende Milieuschutzgebiet hat, nicht unterschätzen. Da wird ein Schmuddelkiez zur Top-Adresse der Immobilienbranche. Jede andere Stadt würde ein Kulturzentrum wie das RAW, für das sie bekannt und beliebt ist, viel mehr wertschätzen. Aber der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gibt Kurth-Immobilien freie Hand. Eigentlich müsste der Bezirk hier seine Planungshoheit ganz anders ausüben, eine ergänzende Bebauung müsste sich in das RAW-Ensemble einfügen. Und es braucht mehr Freiflächen als geplant.

Carsten Joost ist in den Nuller-Jahren bekannt geworden als Gesicht der Initiative Mediaspree versenken und bis heute stadtpolitisch aktiv. Foto: privat

tipBerlin Was glauben Sie, warum der Bezirk so agiert?

Carsten Joost Der Baustadtrat Florian Schmidt hofft, indem er dem Investor seine Wünsche erfüllt, weitreichende Zugeständnisse zu einer nutzungsgebundenen Belegung durch ausgewählte Mieter zu erhalten. Dazu hat er kein Problem mit extremen Baumassen. Zudem gibt es eine Abneigung gegen einen Partytourismus auf dem RAW, man strebt eine Beruhigung an. Man darf aber nicht vergessen, dass auch Kurth Immobilien viele Clubs auf dem Gelände haben will – aber das werden andere Clubs, als wir sie kennen. Steriler, weniger lebendig.

RAW-Gelände: Ein fatales Gutachten besiegelt die Zukunft

tipBerlin Sie wollen das RAW lassen, wie es ist?

Carsten Joost Es ist unumstritten, dass es auf dem RAW Freiflächen gibt, die ohne Abriss bebaut werden können. Aber das müssen und sollten keine 150.000 Quadratmeter Geschossfläche sein, wie es die Planung von Kurth vorsieht. Der Zwang, so viel Baumasse zu erzeugen, beruht auf einem Gutachten. Dieses hat die Grundstückskosten mit Fixkosten zusammengefasst, die außerhalb der Baukosten entstehen, so dass am Ende dieser enorm hohe Flächenbedarf steht, der angeblich benötigt würde, um das zu refinanzieren.

Bei den Fixkosten wurden zum Beispiel auch 10 Millionen Euro für das House of Music eingeplant, dabei ist das bereits fertig und in Vermietung. Das ist der auffälligste Schnitzer, der da drin ist. Dann wurden auch die Kosten für Tiefgaragen eingerechnet, damit die Autos nicht oberirdisch den Kiez verstopfen. Überall, wo gebaut wird, wurden Tiefgaragen druntergerechnet. Dabei werden die sowieso nicht ohne Untergeschosse bauen.

Hochhäuser ohne Untergeschosse, das geht doch gar nicht. Und so geht das immer weiter mit der künstlichen Erzeugung von Baumasse, so dass am Ende die Fixkosten sich auf unglaubliche 104 Millionen Euro belaufen, obwohl das riesige Grundstück nur 28 Millionen Euro gekostet hat.

Das RAW-Gelände in Friedrichshain ist ein Streetart-Mekka. Foto: Imago/Rolf Kremming

tipBerlin Wer hat dieses Gutachten beauftragt?

Carsten Joost Der Bezirk hatte das Gutachten auf unsere Empfehlung hin in Auftrag gegeben. Wir wollten eine wirtschaftliche Berechnung, weil wir davon ausgingen und immer noch davon ausgehen, dass, weil das Grundstück so billig war – nur 500 Euro pro Quadratmeter – nur rund die Hälfte der Baumasse entstehen muss. Dann fügt sich das Ensemble auch ein in den Kiez. Aber dieser Gutachten-Auftrag ist voll nach hinten losgegangen. Jetzt geht die Baumasse durch die Decke. Das geht sehenden Auges ins Kiezverderben.

tipBerlin Gibt es noch Möglichkeiten, die aktuellen Pläne zu ändern?

Carsten Joost Der Bezirk hat das Gutachten einfach so akzeptiert. Was jetzt vorgestellt wird, ist der städtebauliche Wettbewerb auf Basis der 150.000-Quadratmeter-Geschossfläche. Wenn der Bezirk jetzt doch weniger fordern würde, könnten ihm die bisherigen Planungskosten in Rechnung gestellt werden. Es ist trotzdem möglich, dass Verbände wie zum Beispiel die Naturfreunde noch gegen die Bauplanung klagen. Aber es verlässt sich keiner drauf, dass man das juristisch kippen kann, man kann nur hoffen, dass da Vernunft einkehrt.

Joosts Alternativkonzept für das RAW-Gelände

tipBerlin Sie haben ein Gegenmodell entworfen.

Carsten Joost Ja, ich habe mal durchgeplant, wo man die tatsächlich zur Refinanzierung nötigen 70.000-Quadratmeter-Geschossfläche unterbringen könnte. Damit habe ich mir nicht nur Freunde gemacht, weil selbst das eine sehr dichte Bebauung wäre.

Alternativplanung für das RAW mit nur der Hälfte der aktuell angestrebten Baumasse und deutlich weniger Abriss. Visualisierung: Carsten Joost/Planungsagentur

tipBerlin Wie stehen denn die Kultureinrichtungen auf dem RAW zu den Plänen der Kurth-Gruppe?

Carsten Joost Der Bezirk sagt, die Baumasse und ihre Verteilung seien konsensual. Also in Einigkeit aller Akteure abgesegnet. Weil die Mieterinnen und Mieter zustimmen. Aber das müssen die, sonst bekämen sie künftig keine Mietverträge mehr. Die stehen unter Druck, das geben sie auch zu. Wer nicht beteiligt ist, obwohl wir das mehrfach schriftlich angemahnt haben, das ist die Initiative RAW Kulturensemble. Wir sind die einzigen, die, wie es sich in der Bürgerbeteiligung gehört, unabhängig den Stadtteil vertreten. Wir haben das in der Vergangenheit auch mit Unterschriftensammlungen und Einwohneranträgen bewiesen, dass wir da ein Akteur sind. Unsere Initiative fordert die Beendigung des Masterplanverfahrens und ein neues Gutachten, das von vernünftigen Zahlen ausgeht.


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